Die Linke Luisa González hatte im ersten Wahlgang der ecuadorianischen Präsidentschaftswahlen klar am meisten Stimmen erhalten. Doch in der Stichwahl in gut zwei Wochen wird sie es schwer haben. Denn inzwischen haben sich die Mitte-Rechts-Parteien zusammengerauft. Sie unterstützen einen 35-jährigen Polit-Neuling, dem gute Chancen eingeräumt werden.
Eigentlich ist der zweite Wahlgang am 15. Oktober eine klare Richtungswahl zwischen Links und Rechts. Mehr noch: Es geht darum, ob der frühere, linksgerichtete Präsident Rafael Correa wieder die Fäden ziehen soll. Correa, Verfechter des «Sozialismus des 21. Jahrhunderts», hatte dem Land einen beeindruckenden Aufschwung gebracht, wurde aber schliesslich wegen Korruption verurteilt und lebt heute im Exil.
Der erste, von Gewalt überschattete Wahlgang am 20. August fand in einem bedrohlichen Klima statt. Elf Tage zuvor war der aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio bei einem Wahlkampfauftritt erschossen worden. Villavicencio gehörte der Mitte-rechts-Partei «Movimiento Construye» an.
Die grosse Überraschnung
Die 45-jährige Luisa González, eine Anhängerin von Rafael Correa, erzielte im ersten Wahlgang mit 33,26 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis. Die grosse Überraschung war jedoch Daniel Noboa, ein konservativer Geschäftsmann, der auf 23,73 Prozent kam. Er ist der Kandidat des Mitte-rechts-Wahlbündnisses «Acción Democrática Nacional» (ADN). Er will Steueranreize für Unternehmen schaffen, den Justizapparat stärken, die Cyberkriminalität bekämpfen und das Strafvollzugssystem verbessern. Kaum jemand hatte ihn im Vorfeld der Wahlen gekannt, kaum jemand hat ihm Chancen eingeräumt. Er stammt aus einer reichen Unternehmerfamilie und ist der Sohn des dreimaligen Präsidentschaftskandidaten Álvaro Noboa. Noboa Junior hat laut Wahlanalysen vor allem die Jungen angesprochen, denen er bessere Ausbildungsplätze verspricht.
Zwar hat Luisa González, eine Rechtsanwältin, im ersten Wahlgang das klar beste Ergebnis erzielt. Doch ihre gut 33 Prozent der Stimmen könnten für den zweiten Wahlgang nicht reichen. Dass sie der Partei und der «politischen Familie» von Rafael Correa angehört, ist sowohl ein Vorteil als auch ein Handicap.
Correa stand von 2007 bis 2017 an der Spitze des Staates. Er brachte dem Land eine bislang nicht gesehene politische Stabilität und drittelte die extreme Armut im Land. Das haben auch heute viele seiner Anhängerinnen und Anhänger nicht vergessen. Correa war USA-kritisch, Dollar-kritisch, ging gegen rechtsgerichtete, private Radio- und Fernsehstationen vor. Einige seiner Ideen gründeten auf der «Philosophie» des Bolivianers Evo Morales und des Venezolaners Hugo Chávez.
Flucht nach Belgien
Mehr und mehr pflegte Correa jedoch einen autoritären Politstil, verfolgte Andersdenkende und knebelte die Medien. Dennoch ist er dank seiner sozialen Erfolge noch immer vor allem in ärmeren Bevölkerungskreisen beliebt. Correas Bewegung wird «Correísmo» genannt. Seine Partei heisst heute «Revolución Ciudadana» (Bürgerrevolution). Seine Anhängerinnen und Anhänger nennen sich «Correístas».
Correas rechtsgerichtete Nachfolgeregierung unter Lenin Moreno machte viele seiner Errungenschaften rückgängig und strebte mehrere juristische Verfahren gegen ihn an. Correas Entourage bezeichnete dies als «Rache der erfolglosen Rechten an der erfolgreichen Linken». Der Ex-Präsident flüchtete schliesslich nach Belgien, wo er politisches Asyl erhielt. Ein ecuadorianisches Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit zu acht Jahren Gefängnis wegen Bestechlichkeit. Sicher ist, dass es in Ecuador mit Correas Nachfolgeregierungen ziemlich bergab ging.
Ausgereiztes Stimmenpotential?
Jetzt also wollen die «Correístas» mit Luisa González das Steuer wieder herumreissen. Während des Wahlkampfs versprach sie, dass sie ihrem ehemaligen Mentor und Präsidenten Correa zu einem Comeback verhelfen werde. Ihr Ziel ist es, ihn zu einer zentralen Figur ihrer Regierung zu machen, zu einer Art Spitzenberater.
Das gefällt nicht allen. Laut Umfragen wollen immer weniger Menschen in Ecuador etwas mit der Vergangenheit, mit den «Correístas», zu tun haben. Die gut 33 Prozent, die Luisa González erzielte, könnten ein Hinweis darauf sein, dass das Wählerpotential der Correístas» ausgereizt ist. Das sieht die linke Kandidatin anders. Sie weist darauf hin, dass ihre Partei bei den Parlamentswahlen am 20. August mit fast 40 Prozent der Stimmen das klar beste Ergebnis und am meisten Sitze errungen hat.
Laut jüngsten Meinungsumfragen geht Noboa als Favorit in den zweiten Wahlgang. Doch noch ist nichts entschieden. Entscheidend könnte das Fernsehduell zwischen den beiden am Sonntag, dem 1. Oktober, sein. Luisa González gilt als rhetorisch beschlagene, frisch auftretende Kämpferin. Ob ihr dies reicht, um den Rückstand wettzumachen, bezweifeln allerdings viele.
Drogen-Staat Ecuador
Doch wer auch immer gewinnt: Er oder sie ist nicht zu beneiden. Das Land steht vor riesigen Problemen.
Ecuador ist in die letzten Jahren zu einem Top-Drogenumschlagplatz geworden. Allein im letzten Jahr wurden 200 Tonnen Rauschgift beschlagnahmt. Der Staat am Pazifik ist Durchgangsland für Drogen aus Kolumbien, Peru, Costa Rica oder Mexiko. Von hier aus wird Rauschgift, vor allem Kokain, in die USA, aber auch nach Europa und Asien geschleust.
Gewalt und politische Morde sind an der Tagesordnung, was ausländische Investoren abschreckt. Innerhalb der letzten zwölf Monate gab es 19 politische Attentate und neun politische Morde. Drogenbanden bekämpfen und beschiessen sich auf offener Strasse. Viele dieser Gangs operieren für internationale Drogenkartelle. Ecuador ist längst zu einem der gefährlichsten Länder Lateinamerikas geworden. Die Mordrate liegt sogar höher als in Mexiko.
33 Prozent sehr arme Menschen
Zu schaffen macht dem Land auch die Korruption, der Menschenhandel, der Waffenschmuggel, der illegale Bergbau und die schwachen politischen Institutionen. Der Rechtsstaat ist oft auf verlorenem Posten. Das Fehlen einer funktionierenden Rechtsstaatlichkeit öffnet international organisierten kriminellen Strukturen die Türen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben das Vertrauen in die Institutionen und die Politik verloren.
Ecuador hat auch mit riesigen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Nach Angaben der Weltbank leben derzeit 33 Prozent der Menschen in Ecuador unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Betroffen sind ländliche Gebiete und vor allem die Andenregion. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird derzeit wieder grösser, was die linke Kandidatin Luisa González immer wieder im Wahlkampf betont. Die Folgen der andauernden Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie haben das Land in seiner Entwicklung um Jahre zurückgeworfen.
Laut «El Universo», der grössten Zeitung in Ecuador, erwarten über 40 Prozent der Befragten nichts Gutes, weder von Luisa González noch von Daniel Noboa. Und weitere 40 Prozent antworten auf die Frage, ob es denn jetzt besser würde, mit: «Ich weiss es nicht.»