Jetzt ist es also offiziell: Die russische Wahlkommission hat entschieden, dass die Kandidatur von Alexei Nawalny bei der Präsidentschaftswahl vom 18. März nicht zugelassen wird. Begründet wird die Entscheidung des Gremiums mit bedingten Vorstrafen des 41-jährigen flamboyanten Kreml-Kritikers. Tatsächlich ist Nawalny in verschiedenen Verfahren wegen angeblichen Betrugs, die vom Europäischen Gerichtshof als unfair beurteilt worden sind, zu bedingten Haftstrafen verurteilt worden. Und es gibt ein von Putin durchgebrachtes Gesetz, wonach strafrechtlich verurteilte Bürger nicht in ein staatliches Amt gewählt werden können.
Kein Kenner der russischen Verhältnisse zweifelt aber daran, dass die Entscheidung der Wahlkommission auf einen entsprechenden Wink Putins zurückgeht. Hätte der Kremlchef ein anderes Ergebnis gewünscht, so hätte die Kommission selbstverständlich eine Begründung gefunden, um Nawalny zur Präsidentschaftswahl zuzulassen.
Nawalnys Ausschluss ist dennoch ein Zeichen der Schwäche seitens des Putin-Regimes. Es zeigt an, dass den Kreml die Mobilisierungsfähigkeit und das jugendlich-kämpferische Charisma des unerschrockenen Putin-Kritikers beunruhigt. Diese Fähigkeiten hat Nawalny in den letzten Jahren schon verschiedentlich demonstriert. Inzwischen ist er durch seine auf Youtube zu sehenden Filme, in denen er die luxuriösen Immobilien zeigt, über die etwa der russische Ministerpräsident Medwedew und andere Grössen aus Putins Machtzirkel verfügen sollen, einem Millionenpublikum im In- und Ausland zu einem Begriff für spektakuläre Korruptionsenthüllung geworden. (Link zum Film über Medwedews Villen.)
Nawalnys Aufstieg zum führenden Oppositionspolitiker in Russland bedeutet indessen keineswegs, dass er als Kandidat die Wiederwahl Putins ernsthaft gefährden könnte. Aber schon ein blosser Achtungserfolg mit einem Stimmenanteil von vielleicht 15 Prozent würde der seit 18 Jahren herrschende Machthaber offenbar als Beeinträchtigung seiner Autorität empfinden.
Der wichtigste Grund für Putins Popularität, die ihm in Umfragen immer wieder bescheinigt wird, ist heute wohl darin zu suchen, dass er für einen Grossteil der Bevölkerung als Garant für Stabilität und damit als eine Art Schutzherr gegen Anarchie und Chaos gilt. Anarchie, Chaos und Gewalt zählen insbesondere seit den Erfahrungen im vergangenen Jahrhundert zu den tief eingefleischten Traumata in der russischen Gesellschaft. Deshalb spricht viel für die These des Osteuropahistorikers Jörg Baberowski, der unlängst in einem NZZ-Gespräch meinte, Putin werde ja nicht eigentlich geliebt, aber er werde respektiert, weil er nach den tiefen Verunsicherungen des sowjetischen Zusammenbruchs „die Ordnungssicherheit wieder hergestellt“ habe. Dazu passt als Motiv auch die alte Weisheit, dass man lieber den Teufel wählt, den man schon kennt, als denjenigen, den man nicht kennt.
Umso bemerkenswerter ist es, dass Putin selbst diesen Pfeilern seines Herrschaftssystems offenbar nicht genügend vertraut, um die Präsidentschaftswahl im März ohne obrigkeitliche Manipulationen über die Bühne zu bringen. Wäre es anders, hätte er es nicht nötig, einem Aussenseiter wie Nawalny die Zulassung als Herausforderer zu verweigern.