
Seit 6. Januar und noch bis Mitte April steht Frankreichs ehemaliger Staatspräsident drei Mal wöchentlich vor einem Pariser Strafgericht. Bei dem Prozess geht es, nach über einem Jahrzehnt der Ermittlungen, um die mutmassliche Finanzierung von Nicolas Sarkozys Präsidentschaftswahlkampf 2007 durch Millionensummen aus den Kassen des damaligen libyschen Diktators, Muammar al-Gaddafi.
Unser Frankreichkorrespondent beobachtet die Pariser Politik seit Jahrzehnten. Der Fall Sarkozy ist einer der grossen Skandale der Fünften Republik. Hans Woller rollt ihn nach dem gegenwärtigen Stand der Informationen auf. Viele Einzelheiten sind für die hier zutage tretende politische Unkultur bezeichnend; deshalb werden sie in die Darstellung einbezogen. Die Lesezeit: ca. 17 Minuten.
«Wäre diese Geschichte Thema einer Fernsehserie, würde man sagen, das Drehbuch ist völlig unglaubwürdig.» Dieser Satz von Nicolas Sarkozy ist seit der Eröffnung des «Sarkozy-Gaddafi-Prozesses» – so die offizielle Bezeichnung – in Frankreichs Medien an allen Ecken und Enden zu hören oder zu lesen. Ein Satz, der sich gegen ihn selbst verkehrt hat.
Mit anderen Worten: So gut wie jeder greift sich heute, angesichts der Ausmasse dieser Affäre, an den Kopf. Eigentlich kann das im Frankreich des 21. Jahrhunderts nicht möglich gewesen sein.
Es ist, ohne Übertreibung, ein historischer Prozess, hinter dem sich eine echte Staatsaffäre abzeichnet. Immerhin ist da ein ehemaliger Staatspräsident, dem in einer Anklageschrift von über 500 Seiten vorgeworfen wird, seinen Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen 2007, aus denen er als Sieger hervorging, mit Geldern aus der Schatulle des libyschen Diktators, Muammar al-Gaddafi, finanziert zu haben – 1,5 Millionen oder 5 Millionen oder 6,5 Millionen Euro, niemand weiss genau, wie viele – sollen geflossen sein; insgesamt 50 Millionen Euro sollen in Aussicht gestellt worden sein.
Die Hauptvorwürfe gegen Nicolas Sarkozy: Bestechlichkeit und Bildung einer kriminellen Vereinigung – Anklagen, die im Fall eines Schuldspruchs bis zu zehn Jahre Haft nach sich ziehen könnten.
Sarkozys Auftreten
Jede Miene in seinem Gesicht, jedes Zucken seiner Schultern, jeder tiefschwarze Blick, den Nicolas Sarkozy durch den Gerichtssaal im neuen Pariser Justizpalast wirft und jede mühsam beherrschte Äusserung verrät, dass der ehemalige Staatspräsident es als eine unverschämte Zumutung empfindet, dass er drei Monate lang drei Mal pro Woche ab 13.30 Uhr hier zu erscheinen und mit zwölf Mitangeklagten – darunter zwei Innenminister während seiner Präsidentschaft von 2007 bis 2012 – auf der Anklagebank Platz zu nehmen hat .
Dabei lässt er seit drei Wochen keine Gelegenheit aus, Richtern und Staatsanwälten zu verstehen zu geben, dass sie – zumindest gegen ihn – angeblich nichts, aber auch gar nichts in der Hand hätten, zumindest keine handfesten materiellen Beweise. Reichlich ungeschickt hat er der Justiz gleich zu Anfang des Prozesses sogar vorgeworfen, dass sie in seinem Fall zu intensiv gearbeitet und keine Mittel gescheut habe. Sarkozy wörtlich: «Es heisst ständig, die Justiz habe nicht genügend Mittel. Was mich betrifft, war das offensichtlich nicht der Fall.»
Ein Dokument
Man schrieb das Jahr 2012, Sarkozy war am Ende seiner Amtszeit angelangt, die massgeblich von ihm betriebene Militärintervention der Nato in Libyen seit mehreren Monaten beendet und Gaddafi, nach 42-jähriger Alleinherrschaft, in einem Kanalisationsrohr in der Nähe der Stadt Syrthe am 20. Oktober 2011 gestellt und getötet worden – von wem genau, bleibt bis heute unklar.
Da tauchte im April 2012 ein Dokument in arabischer Sprache auf, wonach Gaddafi mehr als fünf Jahre früher, im Dezember 2006, zugestimmt haben soll, 50 Millionen Euro in Sarkozys Präsidentschaftswahlkampf zu investieren, und zwar im Tausch gegen die diplomatische Rehabilitierung Libyens, gegen verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Frankreich und juristische Gefälligkeiten gegenüber einem libyschen Straftäter aus der allernächsten Umgebung Gaddafis, der in Frankreich in Abwesenheit verurteilt worden war. Immer vorausgesetzt, dass Nicolas Sarkozy wenige Monate später, im Mai 2007, zum Präsidenten gewählt wird.
Dieses von der Investigativ-Plattform «Mediapart» veröffentlichte Dokument, das aus der Feder des früheren libyschen Geheimdienstchefs, Moussa Koussa, stammt und an den Direktor des libyschen Staatsfonds, Bachir Saleh adressiert war – einer der abwesenden Angeklagten in diesem Prozess –, war der Auslöser für die zehn Jahre dauernden gerichtlichen Untersuchungen gegen Frankreichs Ex-Präsidenten und mehrere seiner engsten Vertrauten.
Von Nicolas Sarkzoy wird das Dokument bis heute hartnäckig als üble Fälschung bezeichnet, obwohl gleich zwei Gerichte und drei Graphologen es im Lauf der letzten Jahre für echt und authentisch erklärt haben.
Der Vermittler
Die zweite wichtige Quelle für die Ermittler, ja im Grunde der Auslöser dieser ganzen Libyen-Affäre, war ein gewisser Ziad Takieddine, ein franco-libanesischer Geschäftsmann, der in Frankreich seit Mitte der 90-er Jahre als Vermittler bei Rüstungsaufträgen im Nahen und Mittleren Osten Dutzende Millionen an Kommissionen gescheffelt, in Paris in Saus und Braus in einem noblen Hotel Particulier gelebt, vier Luxuslimousinen in seiner Tiefgarage stehen hatte und in seinem vornehmen Domizil rauschende Feste feiern liess, an denen auch einige Politiker und alte Bekannte aus Sarkozys Umgebung teilgenommen hatten, dieselben, die sich bei einer anderen Gelegenheit im Mittelmeer auf Takieddines Yacht im Beisein ihrer Gattinen geräkelt und die Dolce Vita genossen hatten.
Heute will keiner der Angeklagten, weder Ex-Präsident Sarkozy noch seine engsten Weggefährten, diesen Takieddine jemals wirklich gekannt, bzw. möglichst wenig mit ihm zu tun gehabt haben. Ja die Herrschaften, allen voran Sarkozy, überschlagen sich seit Prozessbeginn mit Äusserungen, wonach dieser Mann im Grunde ein Fall für die Psychiatrie, absolut nicht glaubwürdig, ja irgendwo übergeschnappt sei.
Doch leider hatte Takieddine tausende Dokumente – Mails, Notizen, Fotos und vieles mehr – über seine Kontakte mit Sarkozys Umfeld fein säuberlich auf einer Festplatte aufbewahrt.
2011, nachdem Frankreichs Präsident seine Haltung gegenüber Gaddafi fast über Nacht diametral geändert, ja die internationale Militärintervention in Libyen gegen den altgedienten Diktator massgeblich vorangetrieben hatte, hat Ziad Takieddine – aus welchen Gründen auch immer – diese Festplatte der Investigativplattform «Mediapart» zukommen lassen. Nach Eröffnung der gerichtlichen Untersuchungen ein Jahr später sollte diese Festplatte auch in die Hände der Ermittlungsbehörden gelangen.
Das Problem beim Prozess heute: Der Angeklagte und Zeuge, Ziad Takieddine, ist nicht anwesend. Der windige Vermittler bei internationalen Waffengeschäften war Anfang 2020 in einer anderen Affäre zu fünf Jahren Haft verurteilt worden und hatte sich kurz vor der Urteilsverkündung in den Libanon abgesetzt.
Blick zurück: 2005
2005 war das Jahr, in dem alles begann. Nicolas Sarkozy hatte sich damals bereits für die Präsidentschaftswahlen 2007 in Stellung gebracht, indem er sich unter Präsident Chirac das strategisch wichtige und gut informierte Innenministerium gesichert hatte – der Ort, an dem im Prinzip alle heiklen und bedeutenden Informationen zusammenkommen.
In seiner allernächsten Umgebung fungierten dort in diesen Jahren 2005 bis 2007 zwei seiner engsten und ältesten Weggefährten: Claude Guéant, ein ehemaliger Präfekt und braver Parteisoldat mit dem Erscheinungsbild eines Mönchs, wurde Sarkozys Kabinettschef im Innenministerium und Brice Hortefeux, mit dem Sarkozy angeblich seit dem zarten Alter von 18 Jahren befreundet ist, wurde beigeordneter Minister. Beide sollten später, nachdem Sarkozy Präsident geworden war, jeweils sogar selbst für einige Monate Innenminister werden.
Im Jahr 2005 aber, zu einer Zeit, als der libysche Diktator noch von sämtlichen westlichen Staaten geächtet war, entwickelte ausgerechnet das französische Innenministerium unter Nicolas Sarkozy eine regelrechte Reisediplomatie zu Gaddafi und seinem Umfeld.
Suspekte Paralleldiplomatie
Ende September 2005 flog zunächst der gestrenge Claude Guéant in einer Art Geheimmission für drei Tage nach Tripolis. Weder der Élyséepalast, noch das Aussenministerium waren informiert, ebenso wenig die französische Botschaft in Libyen und auch die Personenschützer, die bei ähnlichen Reisen üblicherweise dabei sind, wurden von Guéants Wochenendausflug in Unkenntnis gelassen. Begleitet wurde Guéant bei dieser Geheimmission allerdings von dem unerlässlichen Mittelsmann bei Kontakten mit den libyschen Machthabern: dem wohlbekannten Ziad Takieddine. Der nachträglich vorgeschobene Grund für Guéants Reise: die Vorbereitung eines Treffens zwischen Innenminister Sarkozy und Muammar al-Gaddafi.
Schon damals stellte sich die Frage, die jetzt, seit Prozessbeginn, von Staatsanwälten und Untersuchungsrichtern immer wieder gestellt wird: Warum reiste ausgerechnet der französische Innenminister zu Libyens international noch isoliertem Alleinherrscher? Offizielle Begründung von Sarkozy bis heute: Man habe über das Migrantenproblem diskutiert. Als Erklärung etwas dürftig. Das grösste Problem bei der vorbereitenden Reise von Sarkozys Kabinettschef Guéant: Er traf bei dieser Gelegenheit Abdallah Senoussi, Gaddafis Schwager und Chef des militärischen Nachrichtendienstes.
Selbiger Senoussi war 1999 aber in Frankreich in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden, als Drahtzieher des Terroranschlags auf den Flug UTA 772 über der Wüste des Niger im September 1989, bei dem 170 Menschen, darunter 57 Franzosen, ums Leben gekommen waren.
Vor Gericht nun beteuerte Guéant, er sei bei seinem Besuch von den Libyern überrumpelt worden, man habe ihn zu Senoussi gebracht und erst bei seiner Ankunft in einem Restaurant habe er verstanden, dass es sich bei dem Mann, den er treffen sollte, um Senoussi handelte.
Die Richter machten nicht den Eindruck, als würden sie dem mittlerweile 80-jährigen, einst mächtigen und heute vereinsamten Claude Guéant diese Geschichte abnehmen. Die Ermittler jedenfalls sahen in dieser ersten, geheim gehaltenen Begegnung den ersten Schritt für eine der Gegenleistungen von französischer Seite für die mutmassliche Finanzierung von Sarkozys Wahlkampf 2006/2007 durch libysche Gelder: dafür zu sorgen, dass die lebenslange Haft für Senoussi aufgehoben und der internationale Haftbefehl gegen ihn ausgesetzt wird. Nach Sarkozys Wahl zum Präsidenten 2007 haben die Ermittler eine ganze Reihe von Anzeichen dafür gefunden, dass Frankreich tatsächlich in diese Richtung aktiv geworden war.
Sarkozy in Gaddafis Beduinenzelt
Auf die diskrete Reise von Kabinettschef Guéant folgte wenige Tage später, am 6. Oktober 2005, Sarkozys Libyen-Visite, die in den Augen der Untersuchungsrichter der Ausgangspunkt für den Korruptionspakt zwischen dem künftigen Präsidentschaftskandidaten Sarkozy und dem libyschen Diktator war.
Der Angeklagte Sarkozy nannte diese Vermutung vor seinen Richtern nun «grotesk» und zeigte sich empört, dass man sich erlaubt, ihm die Frage zu stellen, ob bei seinem mehrstündigen Zusammentreffen unter Gaddafis Zelt von der Finanzierung seines künftigen Wahlkampfs die Rede gewesen sei. Er fühle sich von solchen Fragen «beschmutzt», betonte der ehemalige Staatspräsident, der, wie so oft seit Prozessbeginn, seine Wut nur mühsam zurückhalten konnte und bei den Verhandlungen immer wieder eine Attitude an den Tag legt, die da sagen will: Wie kann man es überhaupt wagen, mich, einen ehemaligen Staatspräsidenten, zu verdächtigen, so zu behandeln und mir solche Fragen zu stellen.
Nach dem Libyen-Ausflug des französischen Innenministers, folgte im Dezember 2005 noch ein Besuch des zweiten engen Vertrauten von Sarkozy, Brice Hortefeux. Auch bei ihm stellt sich die Frage: Was macht ausgerechnet ein beigeordneter Minister für Frankreichs Gebietskörperschaften kurz vor Weihnachten 2005 in Tripolis? Und vor allem: Warum hat auch er den in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilten Terroristen, Abdallah Senoussi, getroffen? Beim Prozess erzählte er doch tatsächlich die gleiche Geschichte, wie vor ihm Sarkozys damaliger Kabinettschef Guéant: Die Libyer hätten ihn übertölpelt und plötzlich sei er Senoussi gegenüber gesessen .
Beachtlich ist auch: Sowohl der enge Vertraute Hortefeux, als auch sein Kollege Guéant behaupteten vor Gericht, sie hätten ihren Chef, Nicolas Sarkozy, über ihre Treffen mit Senoussi damals nicht informiert.
Sarkozy lässt sie fallen
Nicolas Sarkozy hingegen rührt in seinen Aussagen vor den Richtern seit Wochen nicht den kleinen Finger, um seinen alten Weggefährten beizustehen. Ganz im Gegenteil. Seine oberste Priorität: die eigene Haut retten. Seit Prozessbeginn, wann immer er auch kann, lässt er seine alten Kumpanen alleine im Regen stehen, sagt, sie seien eben naiv gewesen, und tut so, als hätten beide aus eigenem Antrieb und ohne seine Kenntnis gehandelt. Dutzende Male antwortete Sarkozy auf Fragen des Gerichts, man solle gefälligst die Herren Guéant und Hortefeux befragen, er habe damit nichts zu tun.
2007: Beginn der Gegenleistungen?
Nicolas Sarkozy steht heute unter anderem wegen Bestechlichkeit vor Gericht. Konkret heisst das, er ist verdächtigt, für die Millionensummen, die für seinen Wahlkampf 2007 aus Libyen geflossen sein sollen, Gegenleistungen versprochen bzw. erbracht zu haben. Eine dieser Gegenleistungen bestand darin, dazu beizutragen, Gaddafi und sein Regime wieder auf die internationale Bühne zurückzubringen. Und Sarkozy, der dann zum Präsidenten der Republik Gewählte, hat im Dezember 2007 ganz offensichtlich eine Gegenleistung geliefert, die an Symbolik, aber auch an Lächerlichkeit und Fragwürdigkeit kaum zu überbieten war.
Der Staatsbesuch
Im jenem Dezember 2007 traute ganz Frankreich und auch das gesamte Ausland den Augen nicht, kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicolas Sarkozy, gerade mal sechs Monate im Amt des Staatspräsidenten, hatte zum Jahresende 2007 nichts Eiligeres zu tun, als Libyens Diktator zu einem Staatsbesuch zu empfangen.
Bei ganz besonderen Anlässen und besonderen Gästen dauert ein solcher Staatsbesuch in Frankreich drei Tage. Gadaffi aber wollte aus Paris gar nicht mehr weg und blieb sechs endlos lange Tage – sogar eine Jagd im Wald von Rambouillet musste man für ihn arrangieren. Das Kopfschütteln in Frankreich nahm kein Ende.
Der Diktator, dem man gestattet hatte, sein Beduinenzelt im Garten des Hotel Marigny neben dem Élyséepalast aufzustellen, kostete seinen Triumph bis zum letzten Moment aus. Präsident Sarkozy machte eiserne Miene zum bösen Spiel, protzte ein wenig damit, dass reihenweise Milliardenverträge mit französischen Unternehmen parafiert wurden, konnte jedoch den Eindruck nicht aus der Welt schaffen, dass er im eigenen Haus und im eigenen Land von Libyens Herrscher gnadenlos an der Nase herumgeführt worden war.
Heute wird Sarkozy verdächtigt, dass diese spektakuläre Visite Gaddafis eine der Gegenleistungen für die mutmasslich aus Libyen geflossenen Millionensumme für seinen Wahlkampf 2007 war. Auf jeden Fall war der Diktator aus dem Wüstenstaat dank dieser Inszenierung zurück auf der internationalen Bühne.
Die zweite Gegenleistung, die jedoch nicht zustande kam, für die man sich in der Umgebung des frisch gewählten französischen Präsidenten ab Sommer 2007 aber sehr wohl bemüht hatte, war die Aufhebung des internationalen Haftbefehls gegen den in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilten Schwager Gaddafis, Abdallah Senoussi. Selbiger Senoussi der 2005, zu Beginn der ganzen Affäre, mit Sarkozys engsten Vertrauten in Tripoli verhandelt hatte.
Auch noch ein Atomreaktor?
Und es gibt noch eine mögliche Gegenleistung, die Sarkozy der libyschen Seite spätestens im Jahr 2007 ganz offensichtlich in Aussicht gestellt hatte, die aber glücklicherweise nie zustande kam. Die Rede ist von nicht weniger als einem Memorandum zwischen Sarkozy und Gaddafi über die mögliche Lieferung eines französischen Atomreaktors an Libyen! Zur Entsalzung von Meerwasser! Sämtliche Atomenergieexperten Frankreichs standen damals Kopf und fragten sich, ob an der Spitze des Staates noch alles mit rechten Dingen zuging.
Frankreichs Atomkonzern AREVA und seine Chefin, Anne Lauvergeon – «Atomic Anne» – bremsten damals mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und sorgten letztlich dafür, dass das Projekt im Sande verlief. Diese Woche war Anne Lauvergeon als Zeugin vor Gericht geladen und ihre Aussagen liessen Sarkozy in äusserst dunklem Licht erscheinen.
«Es gibt Dinge, die man einfach nicht tut», schrieb die ehemalige Präsidentin des Atomkonzerns Nicolas Sarkozy vor den Richtern ins Stammbuch. Nämlich: einen Atomreaktor an einen Staat liefern zu wollen, der nicht das Geringste an Sicherheitsgarantien zu bieten hat, der als blutrünstige Diktatur und Hort des internationalen Terrorismus galt und dessen staatliche Strukturen ebenfalls keinerlei Garantien boten für einen bedenkenlosen Umgang mit ziviler Atomenergie.
Und Anne Lauvergeon liess es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass man sich angesichts der Ereignisse in Libyen im Jahr 2011 glücklich schätzen muss, dass aus dieser Lieferung des Atomreaktors nie etwas geworden ist. Dies obwohl, wie man bei dieser Gelegenheit erfahren konnte, Sarkozys Umfeld bis ins Jahr 2010 nicht aufgehört hatte, für diese atomare Lieferung zu plädieren.
Sarkozys Antwort vor den Richtern? Erstens sei diese Mme Lauvergeon Sozialistin – sie war in ihren jungen Jahren im Beraterstab von Präsident François Mitterrand gewesen –, er habe sie nach seiner Wahl zum Präsidenten 2007 in ihrem Amt belassen, ihre Aussagen heute seien wohl der Dank dafür, Undank sei nun einmal der Welten Lohn. Also sprach und funktioniert ein Nicolas Sarkozy und behauptet, trotz aller widersprechenden Indizien, es habe nie die Absicht bestanden, Libyen einen Atomreaktor zu liefern.
Ein verdächtiger Toter und ein Überlebender
Diese Woche war auch der ehemalige Chef des französischen Geheimdienstes, DGSE – bis 2007 im Amt – als Zeuge vor Gericht geladen. Er hat dabei nicht nur ausgesagt, dass er damals sowohl Guéant als auch Hortefeux, die beiden engsten Vertrauten von Innenminister Sarkozy, ausdrücklich vor dem zwielichtigen Mittelsmann, Ziad Takieddine, gewarnt hatte. Vielmehr hat der heute 82-jährige Alain Juillet als Kenner des Milieus auch darauf verwiesen, dass es in dieser Affäre unter Gaddafis ehemaligen Gefolgsleuten ja schliesslich, nach dem Zusammenbruch von Gaddafis Imperium, aus dessen Umfeld auch einen äusserst suspekten Toten zu beklagen gibt und einen anderen, der ein Attentat und mehrere Schussverletzungen wie durch ein Wunder überlebt hat.
In der Donau ertrunken?
Der Tote hiess Schukri Ghanem,war unter Gaddafi Premier- und später Erdölminister, hatte Letzterem 2011 den Rücken gekehrt und war nach Wien ins Exil gegangen. Dort ist er am Morgen des 29. April 2012 tot in der Donau aufgefunden worden. Dies geschah nur einen Tag nachdem die Investigativplatform «Mediapart» in Frankreich das Dokument vom Dezember 2006 veröffentlicht hatte, in dem Gaddafi zugesagt haben soll, Sarkozys Wahlkampf mit 50 Millionen Euro unterstützen zu wollen.
Selbst dem amerikanischen Botschafter in Wien war dieser Tod mehr als verdächtig, wie aus einem Mail an die damalige US- Aussenministerin, Hillary Clinton, zu entnehmen ist, doch die österreichischen Behörden entschieden ungewöhnlich schnell auf einen natürlichen Tod.
Ein Tod, der allerdings vier Jahre später, 2016, noch suspekter wurde, als er ohnehin schon war. Denn da wurde den französischen Untersuchungsrichtern ein Notizbuch übergeben, in dem Schukri Ghanem über alle möglichen Bestechungen seitens des libyschen Regimes Buch geführt hatte. In diesen Aufzeichnungen erscheinen im Monat April 2007, kurz vor der französischen Präsidentschaftswahl, drei Eintragungen über Zahlungen an Nicolas Sarkozy und sein Umfeld in einer Gesamthöhe von 6,5 Millionen Euro.
Pistolenkugeln in Südafrika
Die zweite Person, auf die Frankreichs ehemaliger Geheimdienstchef dieser Tage vor den Richtern in Paris verwiesen hatte, heisst Bachir Saleh. Er ist kein geringerer als der ehemalige Verwalter des milliardenschweren libyschen Staatsfonds, der Herr an der früheren Geldquelle.
Nach dem Zusammenbruch von Gaddafis Herrschaftssystem im Jahr 2011 hatte Frankreich – aus welchen Gründen auch immer – diesen Mann aus Libyen herausgefiltert und ihm diskret in Frankreich Unterschlupf gewährt. Dies auch noch, als Bachir Saleh von Interpol per internationalem Haftbefehl gesucht wurde.
Erst als Ende April 2012, ausgerechnet zwischen den beiden Durchgängen der französischen Präsidentschaftswahlen, aufflog, dass dieser Herr in den besten Pariser Hotels ein und ausgeht und sogar mit dem ehemaligen Premier- und Aussenminister de Villepin fotografiert worden war, wurde man in Sarkozys Umgebung aktiv und schaffte in einer gewissen Panik Bachir Saleh in einer filmreifen Geheimdienstaktion – überwacht von Sarkozys Freund und Chef des Geheimdienstes, Bernard Squarcini – ausser Landes. Erst nach Niger, schliesslich nach Südafrika. Dort sollte Saleh wenige Monate später von professionellen Killern umgelegt werden, doch er überlebte wie durch ein Wunder. Zum Prozess in Paris ist der Angeklagte Bachir Saleh selbstredend nicht erschienen.
Und noch ein Prozess
Schwer wiegt gegen Nicolas Sarkozy schliesslich auch noch die Tatsache, dass er sich aufgrund von dunklen Machenschaften während der gerichtlichen Untersuchungen in der Libyenaffäre noch eine weitere Anklage eingehandelt hat, sozusagen einen Kollateralschaden des derzeit laufenden Sarkozy-Gaddafi-Prozesses.
Die Rede ist von der Affäre um den schon mehrfach genannten, in den Libanon geflohenen franco-libanesischen Geschäftsmann und zwielichtigen Vermittler bei grossen Rüstungsgeschäften, Ziad Takieddine. Er war bei den Ermittlungen der Untersuchungsrichter seit 2012 einer der Hauptbelastungszeugen gegen Sarkozy und hatte unter anderem ausgesagt, Anfang 2007 selbst drei Mal Geldkoffer ins französische Innenministerium zu Sarkozy persönlich oder zu seinem Kabinettschef, Claude Guéant, getragen zu haben.
Im November 2020 aber, nach seiner Flucht in den Libanon, hat Takieddine in einem mysteriösen Interview im französischen Info-TV BFM und in der Wochenzeitung «Paris Match» plötzlich seine Aussagen zurückgezogen und behauptet, Sarkozy habe nie Geld aus Libyen erhalten. Am nächsten Abend schon sass Ex-Präsident Sarkozy damals im Studio der Hauptnachrichtensendung des französischen Fernsehsenders TF1, triumphierte und wetterte gegen die Untersuchungsrichter und all das Unrecht, das man ihm angetan habe.
Doch die in Beirut gefilmten Aussagen Takieddines wirkten derart unglaubwürdig und gestellt, dass Presse und Justiz prompt begannen, Nachforschungen anzustellen und es dauerte nicht lange, bis klar war: Man hatte Ziad Takieddine, der sein Millionenvermögen verloren hatte bzw. es in Frankreich hatte zurücklassen müssen, Geld geboten – von bis zu vier Millionen Euro ist die Rede –, damit er seine ursprünglichen Aussagen gegen Sarkozy widerruft.
Mit dabei bei dieser Manipulation waren der Chefredakteur des Wochenmagazins «Paris Match», Hervé Gattegno, und die so genannte «Königin der Paparazzi», Mimi Marchand, Boss einer Fotoagentur und vernetzt und auf Du mit dem gesamten französischen Show-Business und den Mächtigen im Land, darunter mit dem Ehepaar Macron oder mit Nicolas Sarkozys Gattin, Carla Bruni.
Nicolas Sarkozy selbst, der trotz einer ganzen Reihe von Indizien, die gegen ihn vorliegen, vorgibt, von all dem nichts gewusst zu haben, ist nun auch in dieser Affäre angeklagt. Er habe mit betrügerischen Mitteln versucht, auf ein laufendes Justizverfahren Einfluss zu nehmen und dessen ordnungsgemässen Ablauf durch Tricks zu behindern, so die Untersuchungsrichter.
Es ist dies nur ein weiteres von einem halben Dutzend Gerichtsverfahren, die gegen den ehemaligen Staatspräsidenten nun seit Jahren laufen. In einem dieser Verfahren ist Sarkozy im Dezember vergangenen Jahres in letzter Instanz definitiv verurteilt worden – zu drei Jahren Gefängnis, davon zwei auf Bewährung. Noch trägt Nicolas Sarkozy bei seinem Prozess in der Libyen-Affäre nicht die elektronische Fussfessel, die ihm das Jahr Gefängnis, zu dem er verurteilt wurde, eingetragen hat. Seine Haftrichter sind offensichtlich verträgliche Menschen und wollten dem ehemaligen Staatspräsidenten wohl zumindest diese Erniedrigung ersparen.
Spätestens Ende April aber wird Sarkozy in seinem, Carla Brunis Luxusdomizil im 16. Pariser Arrondissement, festsitzen und um Erlaubnis fragen und begründen müssen, wenn er dieses Domizil verlassen will. Und sei es nur, um einem Heimspiel seines angeblichen Lieblingsclubs Paris Saint-Germain beizuwohnen. Dessen Kauf durch das Herrscherhaus von Katar hatte Sarkozy 2010 unter dubiosen Bedingungen in die Wege geleitet. Doch das ist wieder eine andere Affäre.