Die letzten zwei Wochen verliefen für Polens Regierungslager hektisch. Schwelende Konflikte um eine neue Regierung waren eskaliert und hatten zu einer ernsthaften Krise geführt (Journal 21, 22.09.2020). Vor allem einer der zwei kleinen Koalitionspartner, die SP (Solidarisches Polen), hatte sich der mächtigen PiS (Recht und Gerechtigkeit) widersetzt. Unmittelbarer Anlass war die Abstimmung über ein verschärftes Tierschutzgesetz, das Big Boss Jaroslaw Kaczynski am vorletzten Freitag nur mit Hilfe der Opposition durchbrachte.
Der SP von Justizminister Zbigniew Ziobro drohte in der Folge sogar ein Rauswurf. Alternative Szenarien von einer Minderheitsregierung bis hin zu baldigen Neuwahlen wurden herumgeboten. In der letzten Woche jagten sich dann die Sitzungen der Parteiführer und der Parteigremien. Schliesslich wurde am letzten Samstag in einer kurzen Pressekonferenz der Parteichefs der Abschluss eines neuen Koalitionsvertrages verkündet. Es wurden aber keine konkreten Details bekanntgegeben.
Machterhaltung im Vordergrund
Eine Einigung lag im Interesse aller Beteiligten. Dass Kaczynski als gewiefter Taktiker die Konfrontation sogar gesucht hat, um zu einer Einigung zu kommen, ist durchaus möglich. Eine Minderheitsregierung wäre ein mühsames Unterfangen gewesen und hätte wohl über kurz oder lang zu Neuwahlen geführt. Denn einen neuen Koalitionspartner zu finden, wäre sehr schwierig gewesen.
Premierminister Mateusz Morawiecki soll bereits erfolgslos bei der zentristischen, ländlich verankerten PSL (Polnische Volkspartei) sondiert haben. Er hätte wohl noch so gerne Ziobro und seine Partei aus der Regierungskoalition wegbefördert. Ziobro und Morawiecki sind alles andere als „best friends“. Beide haben Aspirationen auf die Nachfolge des 71-jährigen Kaczynski als Chef des Rechtsbündnisses und politisch das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Während Ziobro innerhalb des Regierungslagers rechts aussen steht, ist Morawiecki eher im Zentrum anzusiedeln.
Ziobro hatte hoch gepokert, um sich einen möglichst grossen Einfluss bei der Neuverteilung der Regierungsposten zu sichern. Er wollte sich wohl auch als starker Mann profilieren und seine Stellung innerhalb des gesamten Regierungslagers verbessern. Allerdings wäre ihn dann ein Alleingang teuer zu stehen gekommen, er hätte seine politische Zukunft ruinieren können. Deshalb hat er weitgehend eingelenkt und sich Kaczynski wieder untergeordnet.
Neue Regierung
Vorgestern wurden nun die zukünftige Regierung und die dafür nominierten Kandidaten von Premierminister Mazowiecki und den drei Parteichefs vorgestellt. Die neue Regierung besteht nur noch aus 14 Ministerien statt der bisherigen 20. Drei wurden abgeschafft und drei mit andern fusioniert. Nur gut die Hälfte der bisherigen Minister behielt ihre Jobs.
Die kleinen Koalitionspartner bekommen nur noch je ein Ministerium, vorher hatten sie zwei besetzen können. Ziobro behält mit dem Justizministerium einen wichtigen Posten. Jaroslaw Gowin, der Führer des zweiten Koalitionspartners, der liberal rechtskonservativen Porozumienie (Verständigung), erhält mit dem Wirtschafts- und Arbeitsressort ebenfalls ein einflussreiches Ministerium. Unter den neu Nominierten gab es auch kontroverse Personen. Vor allem der Bildungsminister ist umstritten. Er ist bisher durch eine sehr aggressive Haltung gegenüber der LGBT-Bewegung hervorgetreten.
Kaczynski in der Regierung
Die eigentliche zentrale Neuerung besteht darin, dass Kaczynski selbst zwar kein Ministerium besetzt, aber als Vizepremier einem neuen Sicherheitskomitee vorstehen soll, welches das Justiz-, Verteidigungs- und Innenministerium koordinieren, sprich: überwachen soll. Das ist sicherlich auf den ersten Blick eine etwas seltsame Konstruktion.
Kaczynski hätte ja selbst den Premierposten übernehmen können, wie es auch von einigen PiS-Politikern öffentlich gewünscht worden ist. Das wollte er aber offensichtlich nicht. Ein Grund ist wohl, dass er sich nicht mit operativen zeitraubenden Aufgaben belasten will. Dass er überhaupt in die Regierung wechselte – bisher war er nur „einfacher“ Abgeordneter –, hängt mit den grossen Spannungen im Regierungslager zusammen. Kaczynski muss als breit akzeptierter informeller Chef die Konflikte unter Kontrolle halten und erneute gefährliche Krisen abwenden.
Für Premierminister Morawiecki ist das zwar eine Rückstufung, zugleich aber auch eine Entlastung. Mit der unmittelbaren Rückendeckung von Kaczynski wird es ihm leichter fallen, die Regierungsgeschäfte zu führen. Wichtige Entscheidungen konnte er ja auch bisher nur in Absprache mit Kaczynski fällen.
Wie geht es weiter
Die neue Regierung und ihre Minister müssen noch vom Parlament bestätigt werden. Das ist allerdings kaum mehr als eine Formsache. Zwar verfügt die Regierungskoalition nur über eine knappe Mehrheit im Sejm. Es ist aber mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass es nach der erfolgten Einigung keine Abweichler mehr geben wird.
Spannender dürfte die Bekanntgabe des Regierungsprogrammes werden. Einige allgemeine Eckpunkte waren schon vor dem grossen Krach unbestritten. Eine Weiterführung der Justizreformen soll eine noch weitgehendere Kontrolle des Justizapparates ermöglichen. Private Medien sollen durch Renationalisierung und Dekonzentrierung stärker auf PiS-freundlichen Kurs gebracht werden. Bisher sind die oft ausländisch dominierten privaten Print- und TV-Medien immer noch mehrheitlich neutral oder kritisch eingestellt, ganz im Gegensatz etwa zu Orbans Ungarn. Wie weit weltanschaulich-ideologische Positionen berücksichtigt werden, ist noch unklar. Wahrscheinlich dürfte die sonst schon sehr strenge Abtreibungsregulierung weiter verschärft werden.
Wie das Programm überhaupt umgesetzt werden kann, hängt auch von der Corona-Pandemie ab. Lange Zeit war Polen gut weggekommen. Das hatte der PiS Bonuspunkte verschafft. In letzter Zeit hat sich die Situation allerdings schnell verschlechtert. In nicht mal zwei Wochen haben sich die dokumentierten Neuansteckungen von 1’000 auf fast 2’000 Fälle nahezu verdoppelt. Das ist für eine Bevölkerung von über 38 Millionen zwar immer noch verkraftbar. Es gibt aber relativ viele akute Herde. Experten rechnen mit einer weiteren Eskalation und kritisieren die bisher ergriffenen Massnahmen als ungenügend. Polen könnte bald in eine schwierige Situation kommen.
Das dürfte auch politische Konsequenzen haben. Das Regierungslager wird vermehrt unter Druck geraten. Allerdings stellt die relativ schwache und gespaltene Opposition vorläufig keine grosse Gefahr dar. Interne Spannungen im Regierungslager dürften wieder zunehmen. Aber eine erneute Krise kann man sich schlichtwegs nicht mehr leisten.