Letzten Samstag stellte die herrschende nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) ihr Wahlprogramm vor.
An der gut inszenierten Veranstaltung in der ostpolnischen Stadt Lublin kündigte Parteichef und Big Boss Jaroslaw Kaczynski an, eine „polnischen Version des Wohlfahrtstaates“ zu schaffen. Konkret versprach er eine massive Steigerung des Minimallohnes. Dieser soll stufenweise bis 2023 um fast 80 Prozent angehoben werden. Zudem wird die bereits dieses Jahr eingeführte 13. Rente für Rentner weitergeführt und in zwei Jahren durch eine 14. Rente ergänzt werden. Auch die Bauern sollen deutlich höhere Subventionen erhalten.
Premierminister Mateusz Morawiecki versprach eine weitere Modernisierung der Wirtschaft und konkret deutlich erhöhte Investitionen in Umfahrungstrassen, Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur.
Soziales Füllhorn
Dass die PiS deutliche soziale Verbesserungen in Aussicht stellt, passt zwar perfekt zu ihrer bisherigen Linie, überrascht aber doch etwas. Wahrscheinlich will Kaczynski damit erneut eine absolute Mehrheit sicherstellen. Denn die soziale Komponente ist Umfragen zufolge eine der Hauptgründe für die Unterstützung der PiS.
Allerdings geht er damit auch ein gewisses Risiko ein. Zwar läuft die Wirtschaft immer noch gut. Die Arbeitslosigkeit ist mit gut 5 Prozent auf einem Rekordtief. Dieses Jahr dürfte wieder ein Wachstum des BIP von über 4 Prozent resultieren, aber die Aussichten sind unsicherer als auch schon. Die deutlichen Lohnerhöhungen könnten vor allem kleinen und mittleren Unternehmen Probleme bereiten.
Kaczynski vertraut wohl auf die bei den letzten Wahlen schon durchgezogene erfolgreiche Strategie. Lieber zu viel versprechen und dann wieder etwas zurückrudern. Hauptsache, man gewinnt die Wahlen und kann danach durch wichtige realisierte Projekte die Unterstützung hochhalten. Klassisches Beispiel hierfür sind die zügig eingeführten populären staatlichen Kinderzulagen.
Traditionalistischer Kurs
Die Hochhaltung traditioneller Werte, einer katholisch geprägten „polskosc“, eines Polentums, ist für die PiS wichtig. Sie garantiert ihr einen fast bedingungslosen Rückhalt bei den konservativen Stammwählern. Bezeichnenderweise nahm auch Kaczynski bei seiner Rede vom letzten Samstag darauf Bezug.
Er suggerierte wieder einmal mehr, dass die katholische Religion einfach zur polnischen Identität gehöre und grenzte damit die kleinen religiösen Minderheiten und die wachsende Zahl von Nichtreligiösen aus.
Dabei spielt auch die katholische Morallehre eine bedeutsame Rolle. In letzter Zeit gewann vor allem die Frage der Homosexuellen und Transsexuellen an Brisanz (Journal21, 29.7. 2019). Zwar distanzierte sich die PiS von Ausschreitungen, wie sie in der ostpolnischen Stadt Bialystock stattgefunden hatten, sprach sich für die Respektierung der „Privatsphäre“ aus.
PiS-Politiker machten aber keinen Hehl daraus, dass sie die LGBT-Bewegung und die in vielen Städten organisierten Regenbogen-Demonstrationen ablehnten. Sie unterstützten auch konservative Priester wie den Erzbischof von Krakau. Dieser verstieg sich beispielsweise zu der Aussage, früher habe man die rote Plage gehabt, jetzt habe man die LGBT-Plage.
LGBT-Demonstrationen fanden nach Bialystock in weiteren Städten statt, ohne grössere Zwischenfälle. Auch am letzten Samstag wurde in Katowice eine Regenbogenumzug organisiert, an dem sich mehrere Tausend Personen beteiligten.
Affären schaden kaum
Obwohl die Umfragen in den Sommermonaten nicht besonders präzise sind, zeigte sich ein klare Tendenz. Die PiS führte immer mit deutlichem Abstand vor allen andern Parteien, meist mit einem Anteil von über 40 Prozent. Eine kürzliche gross angelegte Umfrage sagte ihr mit über 43 Prozent erneut eine absolute Mehrheit im Sejm voraus. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die PiS ihr Glanzresultat aus den Europawahlen vom Mai wiederholen kann (Journal21, 4. 6. .2019).
Das ist etwas erstaunlich, belasteten die PiS doch in der letzten Zeit zwei brisante Affären. Zuerst wurde aufgedeckt, dass der Parlamentspräsident zu ausgiebig Regierungsflugzeuge benutzt hatte und dabei unerlaubterweise auch Familienmitglieder mitgenommen hatte. Dabei kam die Wahrheit nur scheibchenweise ans Tageslicht. Schliesslich trat er wohl auf Anweisung von Kaczynski zurück, nachdem auch in Umfragen eine deutliche Mehrheit – darunter auch viele PiS-Wähler – seinen Rücktritt gefordert hatte.
Kurz darauf platzte eine weitere sehr unschöne Affäre. Ein Vizeminister im Justizministerium hatte vor über einem Jahr einer IT-Spezialistin einen speziellen Auftrag erteilt. Sie sollte Richter, die sich besonders kritisch gegenüber der Justizreform geäussert hatten, im Internet blossstellen und attackieren, auch aufgrund von Material aus offiziellen Personalakten. Trolls mit unflätigen bis beleidigenden Inhalten wurden ins Netz gestellt.
Der Vizeminister musste zurücktreten. Es zeigte sich in der Folge, dass noch weitere Beamte und Richter ähnliche Aktionen gemacht hatten. Das Medienecho war gross, der Imageschaden beträchtlich.
Schwache Opposition
Dass die PiS bisher sämtliche Affären relativ unbeschädigt überstanden hat, hängt auch mit dem Zustand der Opposition zusammen. Diese ist nicht besonders gut aufgestellt und gespalten, ganz im Gegensatz zur aktiven und einheitlich auftretenden PiS.
Seit den Europawahlen haben sich bei der Opposition grosse Veränderungen ergeben. Die breit aufgestellte Europäische Koalition ist auseinandergebrochen. Die grösste Oppositionspartei, die liberal-konservative PO (Bürgerverständigung), hat zusammen mit kleinen Gruppierungen die KO (Bürgerkoalition) gegründet. Sie erzielte in den Umfragen stets das zweitbeste Resultat, aber mit grossem Rückstand auf die PiS. Sie kann nach den Umfragen mit einem Wähleranteil von rund einem Viertel rechnen.
Die KO hatte ihr Wahlprogramm am letzten Freitag vorgestellt. Da ihr Leader, der ehemalige Aussenminister Grzegorz Schetyna, wenig beliebt ist, hat sie vor kurzem eine Rochade vorgenommen. Als Spitzenkandidatin und Premierministerin in spe amtet nun Malgorzata Kidawa-Blonska, ehemalige Regierungssprecherin und Parlamentspräsidentin.
Das Programm beinhaltet eine breite Palette von Massnahmen, von sozialen Verbesserungen für Frauen und Rentner bis hin zur Wiederherstellung von rechtsstaatlichen Verhältnissen in Institutionen wie dem Gerichtswesen oder dem staatlichen Fernsehen. Das Programm kommt etwas zu brav daher, es fehlt an neuen zündenden Ideen. Der Wahlslogan „Morgen kann es besser sein“ ist auch nicht gerade ein Reisser.
Neue Akzente
Einen echte Neuerung stellt die Koalition aus drei linken Parteien dar, der sozialdemokratischen SLD (Bündnis der demokratischen Linken), der linken Kleinpartei Razem (Zusammen) und der erst dieses Jahr gegründeten linksliberalen Partei Wiosna (Frühling). Sie kann nach den Umfragen mit einem Wähleranteil von gut 10 Prozent rechnen.
Damit wird die Linke wieder im Parlament vertreten sein. Sie verbindet in ihrem Programm traditionelle soziale Anliegen, wie eine deutliche Erhöhung der Mindestlöhne, mit liberalen weltanschaulichen Positionen, etwa einem modernen Abtreibungsrecht.
Ein Novum stellt auch die rechts der Mitte stehende Polnische Koalition dar. Die traditionsreiche Bauernpartei PSL (Polnische Volkspartei) bildet ihren Kern. Beigetreten ist ihr auch die rechtspopulistisch ausgerichtete Gruppierung des Rocksängers Pawel Kukiz, die aber nach ihrem überraschenden Erfolg bei den letzten Wahlen immer mehr an Bedeutung eingebüsst hat. In den Umfragen kommt die Polnische Koalition meist nur relativ knapp über die Fünfprozenthürde. Meist unter dieser Hürde bleibt hingegen die KP (Die Konvention der Rechten), ein Zusammenschluss rechtnationalistischer kleiner Gruppierungen.
Wahlausgang ohne Überraschungen ?
Das Abschneiden dieser kleinen Gruppierungen dürfte einen Einfluss auf den Wahlausgang haben. Kommen beide nicht in den Sejm, ist eine absolute Mehrheit für die PiS sehr wahrscheinlich. Schaffen es aber beide, könnte die PiS diese doch noch verfehlen.
Obwohl die heisse Phase des Wahlkampfes erst jetzt richtig beginnt, ist kaum mit grösseren Überraschungen zu rechnen. Die Meinungen sind weitgehend gemacht. Die PiS hat sich mit ihrem bisherigen Wahlkampf schon deutlich profilieren können. Sie hat auch ihre Stars Kaczynski und Morawiecki häufig auf Wahlveranstaltungen geschickt, vor allem in die Provinz und aufs Land. Mit sogenannten „Familienpicknicks“ versuchte sie ihre „Volksverbundenheit“ zu unterstreichen. Es ist durchaus möglich, dass sie auf dem Land den Wähleranteil von 60 Prozent aus der Europawahl noch toppen kann.
Es müsste wohl schon eine Riesenaffäre platzen, um die PiS von der Macht zu verdrängen.