Journalistinnen und Journalisten leben mitunter gefährlich. Nicht immer bleibt es bei Anfeindungen im Netz. Medienschaffende werden, wie jüngst in Amerika, auch gezielt getötet.
Bisher sind laut dem in New York domizilierten Committee to Protect Journalists (CPJ) dieses Jahr 51 Medienschaffende getötet worden, die meisten unter ihnen, je 15 Betroffene, in Mexiko und in der Ukraine. Nicht alle Todesfälle erregen so viel Aufsehen wie jener der palästinensisch-amerikanischen Fernsehreporterin Shireen Abu Akleh, die am 11. Mai 2022 im Westjordanland nach Angaben der israelischen Armee (IDF) «mit grosser Wahrscheinlichkeit» von einem ihrer Soldaten erschossen worden ist.
Falls ja, dann aber «unabsichtlich», so unabsichtlich ein Schütze auf jemanden zielen kann, auf dessen Helm und schutzsicherer Weste in weissen Lettern gross das Wort «PRESS» prangt. Dumm nur, dass am selben Tag, an dem die Journalistin erschossen wurde, ein Sprecher der IDF verlauten liess, Shireen Abu Akleh und ihre Crew seien «mit Kameras bewaffnet gewesen, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben». Trotzdem, der Fall ist für Israel jetzt erledigt und auch das amerikanische Aussenministerium ist nicht sonderlich bemüht, die näheren Umstände des tödlichen Schusses in Jenin aufzuklären.
Lästig bleibt lediglich, dass nun fast die Hälfte aller demokratischen Angehörigen des US-Senats von der Regierung Biden fordert, allenfalls Amerikas Militärhilfe an Israel in der Höhe von jährlich 3,8 Milliarden Dollar zu überdenken. Dies, falls die IDF in bestimmten Fällen weiterhin operierten, ohne für tödliche Zwischenfälle zur Rechenschaft gezogen zu werden. «Unglücklicherweise hat es keine unabhängige, glaubwürdige Untersuchung (des Todes von Abu Akleh) gegeben, sagte Senator Patrick Leahy (Vermont) im Parlament: «Zwar gibt es eine Reihe von Untersuchungen, was tödliche Schüsse von Soldaten der IDF betrifft. Sie resultieren aber nur selten in der Übernahme von Verantwortung.»
Beunruhigend indes ist der Umstand, dass jüngst auch in den USA ein Journalist in Ausübung seines Berufes ermordet worden ist. Jeff German, ein investigativer Reporter des «Las Vegas Review-Journal», wurde Anfang September höchstwahrscheinlich von einem Gemeindebeamten erstochen, über den er im Mai eine Geschichte geschrieben hatte, die den Täter als schlechten Amtsführer beschrieb. Der 69-jährige Journalist war, wie ein früherer Redaktor des Blatts bemerkte, «ein Reporter von der Wiege bis zur Bahre» gewesen: «In seinen Venen zirkulierte zähflüssige Tinte.»
Für Germans Verhältnisse war es keine besonders aufregende Story, hatte er doch während Jahrzehnten in Las Vegas über lokale Mafiosi, andere ortsansässige Verbrecher, korrupte Politiker und gierige Casino-Titanen geschrieben, ohne dass ihm ausser vereinzelten Drohungen oder Einschüchterungsversuchen etwas Gravierenderes passiert wäre. Ungemach für seine Zeitung droht aber posthum, denn die Strafverfolgungsbehörden haben im Rahmen ihrer Ermittlungen persönliche Unterlagen Germans konfisziert, die allenfalls Rückschlüsse auf Informanten in jenen Amtsstellen, Gremien oder Unternehmen erlauben, über die der Reporter recherchiert hatte. Jedenfalls hat das «Review-Journal» beantragt, die Notizen Jeff Germans versiegelt zu lassen.
In amerikanischen Journalistenkreisen wird nun lokal und national die Frage diskutiert, inwiefern Germans Ermordung etwas mit dem Klima wachsender Feindseligkeit gegenüber Medien zu tun haben könnte, wie sie Donald Trump gezielt schürt, wenn er die Presse als «Volksfeind» beschimpft. Zwar fragte ein Journalist an einer Pressekonferenz zum Mordfall in Las Vegas den Sheriff des Clark County, ob er Trumps «Normalisierung der Gewalt» gegenüber Journalistinnen und Journalisten verurteile. Doch der Gesetzeshüter antwortete, es wäre «unangebracht», darüber bei dieser Gelegenheit zu sprechen. Immerhin rang er sich zur Bemerkung durch, die Tötung eines Journalisten sei «Besorgnis erregend».
Die «Los Angeles Times» schrieb in der Folge, die Ermordung Jeff Germans sei «ein schockierendes Beispiel», das für viele im Nachrichtengeschäft «ein zunehmend gefährlicher werdendes Arbeitsumfeld» verkörpere. Ein Kommentator des nationalen Radiosenders NPR bemerkte, dass amerikanische Medienschaffende zwar häufig Todesdrohungen erhielten, es aber nur selten zu Morden käme.
Dem National Press Club in Washington D. C. zufolge sind in den USA seit 1837 mindestens 39 Journalistinnen und Journalisten getötet worden. In jenem Jahr ermordete ein Mob, der die Sklaverei befürwortete, in Illinois den Sklaverei-Gegner und Verleger Elijah Parish Lovejoy und warf seine Druckpresse in einen Fluss. Seit 1992, als das CPJ seine Statistik zu führen begann, sind in Amerika 16 Journalistinnen und Journalisten getötet worden, unter ihnen 2015 die Reporterin und der Kameramann einer Fernsehstation in Virginia. 2018 erschoss ein erzürnter Leser, der zuvor wegen Verleumdung erfolglos gegen die Zeitung geklagt hatte, fünf Mitarbeitende auf der Redaktion der «Capital Gazette» in Annapolis (Maryland).
Es ist wohl naiv zu hoffen, die Ermordung Jeff Germans bleibe ein Einzelfall in einer Kultur, in der, von Demagogen angefacht, die Verteufelung und die Entmenschlichung der Presse zunehmend salonfähig werden. Unlängst hat ein amerikanisches Gericht zwei Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung «Proud Boys» wegen Obstruktion eines offiziellen Vorgangs verurteilt. Das Duo hatte im Netz eine Gruppe namens «Murder the Media» gegründet – ein Slogan, den sie am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das US-Capitol mit Filzstift auch auf eine Türe des Parlamentsgebäudes schmierten. Nicht zu vergessen: 1/6 war ein Ereignis, das Amerikas republikanische Partei nach wie vor als «legitimen politischen Diskurs» einstuft.