Für einmal auf ganz andere Weise gibt das Kunsthaus Zug Einblick in die eigene Sammlung. Kriterium ist die Farbe: Blau gesellt sich zu Blau, Rot zu Rot, Grau zu Grau. Das stört herkömmliche Hierarchien.
«Lust auf Farbe – Paul Klee bis Olafur Eliasson» lautet der Titel der Sammlungspräsentation des Zuger Kunsthauses. Der Untertitel lässt eine Chronologie vermuten und zusätzlich eine Fokussierung auf «grosse Namen». Grosse Namen gibt es in der vergleichsweise kleinen Zuger Sammlung tatsächlich zuhauf, denn das Haus ist dank der hier domizilierten «Stiftung Sammlung Kamm» der Ort mit den umfangreichsten Beständen an Werken der Wiener Moderne (Gustav Klimt, Egon Schiele, Richard Gerstl, Albert Kubin, Koloman Moser usw.) ausserhalb Österreichs. Es gibt hier zudem, dank der Grosszügigkeit weiterer Sammler und dank der selber entwickelten Strategien, manch Hochkarätiges an Gegenwartskunst in den Depots.
Im Zentrum der neuen Ausstellung stehen allerdings nicht die Highlights Kamm’scher Provenienz. Der langjährige Museumsdirektor Matthias Haldemann durchforstete «seine» Sammlung auch nicht primär im Hinblick auf Rang und Namen der Künstler, auf kunstgeschichtliche Abläufe, künstlerische Gattungen oder auf Bildinhalte. Er ging eigensinnig vor und gruppierte die Werke, was bisher kaum irgendwo zu registrieren war, nach dem Verhältnis der Künstlerinnen und Künstler zur Farbe generell und vor allem zu bestimmten Farbklängen. So gesellt sich in den einzelnen Räumen Blau zu Blau, Rot zu Rot, Gelb zu Gelb, Grau zu Grau, Weiss – und damit Abwesenheit von Farbe – zu Weiss. Am Rand gesellt sich auch Vielfarbigkeit zu Vielfarbigkeit – mit Klee, Macke, Marc, Jawlensky und mit Konstruktiven wie Lohse, Loewensberg und Graeser.
Gegen Schubladen, für frische Blicke
Was ist der Sinn dieses Zugriffs? Originalität um jeden Preis? Bruch mit konventioneller Museumspraxis? Kaum, denn der Herangehensweisen an Sammlungspräsentationen sind so viele, dass Provokationen kaum mehr möglich sind. Beispiele? In Genf durchpflügte Ugo Rondinone die Sammlung. In Zürich werden mehrere Künstlerinnen bald Ähnliches tun. Das Kunsthistorische Museum in Wien konfrontierte kürzlich gar Rubens’«Pelzchen» mit einem Selbstakt von Maria Lassnig.
Viel wichtiger als Sensationshascherei ist für Haldemann zweifellos, mit anderen als den üblichen Kriterien die Werke der hauseigenen Sammlung neu zu kontextualisieren, konventionelle, vom Kunstsystem gepflegte und vom Publikum oft widerstandslos hingenommene Hierarchien und Zuweisungen an Schubladen zu hinterfragen. So setzt er die Werke einem frischen Blick aus. Vielleicht stiftet er gar heilsame Verwirrung. Berühmtes steht neben Unbekanntem. Chronologien werden durchbrochen, Motive durcheinandergeschüttelt. Abstraktion steht neben Gegenständlichkeit. Haldemann nimmt auch bewusst in Kauf, dass grössere Werkgruppen einzelner Künstlerinnen und Künstler nicht en bloc gezeigt, sondern auseinandergerissen werden. Olafur Eliasson und Annelies Štrba sind dafür Beispiele, deren Werke in ganz verschiedenem Umfeld aufscheinen und dem entsprechend anders zu uns sprechen.
Sammlungspolitik des kleinen Hauses
Anhand der Werke Eliassons und Štrbas werden auch Grundzüge der Zuger Sammlungspolitik deutlich. Mit dem weltweit bekannten Multimediakünstler Eliasson unterhält Matthias Haldemann seit Jahren einen intensiven Kontakt, der eine beeindruckende Präsenz des international gefragten Stars in der Sammlung des Zuger Hauses ermöglichte. Ähnliche langfristige Künstlerkontakte mit Folgen für die Sammlung gibt es zum Beispiel auch mit dem amerikanischen Konzeptkünstler Richard Tuttle, mit dem hintersinnig spielerischen Russen Pavel Pepperstein oder mit dem fotografierenden ungarischen Schriftsteller Péter Nádas. Die grosse Präsenz der Zuger Fotokünstlerin Annelies Štrba in der Sammlung zeigt, dass Haldemann, wenn er über die eigene Region hinausweisende Qualitäten ortet, sich auch der Kunst mit Zuger Wurzeln zuwendet. Neben Štrba ist in der aktuellen Ausstellung auch den Zugern Josef Herzog, Hannah Villiger, Bernhard Schobinger und dem lange in Zug tätigen Fotokünstler Guido Baselgia zu begegnen.
Chancen für Einzelgänger
Die unkonventionellen Auswahlkriterien der Zuger Sammlungspräsentation bringen es mit sich, dass auch Werke Eingang in die Ausstellung finden, die als «Einzelgänger» oder «Waisenkinder» wegen fehlenden Umfeldes nur schwer gezeigt werden können. Eine Landschaftszeichnung Cézannes korrespondiert jetzt aber, der grünen Farbe wegen, bestens mit einer der seltenen Landschaftsfotografien von Hannah Villiger, oder ein mit blauem Stift gezeichnetes Porträt Kokoschkas mit einer blauen Grafik von Serge Poliakoff. Die grosse Malerei «My Country» der Aborigines-Künstlerin Kathleen Petyarre (1938–2015) fügt sich mit Werken von Annelies Štrba und Olafur Eliasson zu einem farblich stimmigen Ensemble.
Als eigentlicher Sonderfall erweist sich der Basler Rudolf Maeglin (1892–1971). Sein Gemälde «Gaskessel» (1932) gewinnt wegen des tiefen Rots des Baukörpers eine eindrückliche Präsenz. Wegen dieses Rots, das sich mit der Farbigkeit einer beinahe monochromen Malerei Peter Steins (1922–2015) in unmittelbarer Nachbarschaft oder mit in Rot gehaltenen «Flachen Arbeiten» von Adrian Schiess bestens versteht, fand dieses Werk wohl Eingang in die aktuelle Präsentation. Das Kunsthaus Zug widmete Maeglin 2012 eine Einzelausstellung. Nun lenkt es unseren Blick erneut auf diesen Maler. Maeglin, gutbürgerlich aufgewachsen, studierte Medizin, hängte aber den Arztberuf bald an den Nagel, wandte sich handwerklichen Tätigkeiten zu, wurde Maler und widmete sich in seiner Malerei der Arbeit auf Baustellen in der Stadt Basel: Ein wichtiger, in seiner Bedeutung wohl weitgehend unterschätzter Vertreter der Neuen Sachlichkeit in der Schweiz aus dem Umfeld Niklaus Stoecklins.
Das Kunsthaus Zug ist in seiner Dimension überschaubar. Es herrscht eine beinahe familiäre Atmosphäre. Man kennt sich und auch die eigene Sammlung – und mag sich denn auch gerne überraschen lassen von den unüblichen Gegenüberstellungen der Werke, welche auf vielleicht irritierende, aber doch anregende Weise das Vertraute in Frage stellen. Vielleicht treten die Besucherinnen und Besucher auch gern ein auf die spielerischen Angebote an mancherlei Seh- und Farbentests. Zusätzlich lässt sich schmökern in wichtiger Fachliteratur zu verschiedenen Farbtheorien und ihren Anwendungen in Malerei, Skulptur, Städtebau, Architektur, Design oder Psychologie.
Kunsthaus Zug: Lust auf Farbe. werke aus der Sammlung – Paul Klee bis Olafur Eliasson, bis 23. September
Alle Fotos: Niklaus Oberholzer