Die Genferin Sylvie Fleury (*1961) hat sich mit griffigen und witzigen Interventionen längst im internationalen Markt positioniert. Das Kunstmuseum Winterthur zeigt in einer Retrospektive eine grosse Auswahl von Werken voller vergnüglicher Spielereien und hintergründiger Bezüge.
Welche Schublade passt? Malerei, Skulptur, Konzeptkunst, Video, Performance, Rollenspiel? Witz, raffinierte spielerische Oberflächlichkeit oder Tiefgang? Feminismus oder Antifeminismus oder beides gleichzeitig? Überhaupt alles zugleich und für alle? «YES TO ALL» schrieb Sylvie Fleury kürzlich in grossen Lettern über den Eingang zur Münchner Villa Stuck, die ihr eine Ausstellung ausrichtete.
Doch muss überhaupt, was die Künstlerin jetzt in Winterthur zeigt, in eine Schublade passen? Oder ist nicht gerade das Sprengen von Etiketten und Grenzen ein Garant für einen vergnüglichen Ausstellungsbesuch? Dem wäre generell – und nicht nur im Zusammenhang mit Sylvie Fleury – zuzustimmen. Der Titel der Ausstellung lautet «Shoplifters from Venus» (Ladendiebe von der Venus). Das verspricht jedenfalls das Vergnügen der Ironie.
Das Vergnügen beginnt schon auf der Sammlungsetage des Kunstmuseums, bevor man in die weissen Räume des Erweiterungsbaus hinabsteigt. Da steht, in einem holzgetäferten Raum und auf einem niedrigen Sockel, ein Paar Damenschuhe des trendigen kanadisch-britischen Designers Patrick Cox, ein edel gestyltes Produkt aus den 1980er-Jahren. Doch man stutzt: Die Oberfläche des Sockels ist in der Manier Josef Albers‘ bemalt, allerdings in Farben, die man von Albers nicht kennt. Und das Design der Schuhe nimmt klar auf Piet Mondrians Malereien Bezug.
An den Wänden des Kabinetts hängen Werke von Verena Loewensberg, Camille Graeser und Josef Albers: Konstruktivistisches also überall. Sylvie Fleury schreibt sich mit ihrer Setzung mit dem Titel «Patrick & Piet & Josef» also ein in die Kunst- und Designgeschichte der Moderne – allerdings hinterhältig und auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Cox‘ Schuhe sind original, Josef Albers‘ Quadratmalerei auf dem Sockel verpasst Fleury, als Gegensatz zu den subtilen Grautönen des Originals an der Wand, süsse Boudoir-Farben. Mondrian kommt auf dem Umweg über den Schuh-Designer Cox ins Spiel. Der wiederum bediente sich in den 1980er-Jahren der Strategie des Modekönigs Yves Saint-Laurent, der 1965 sein berühmtes Mondrian-Kleid entwarf.
Plagiat also allüberall, doppelt oder, bezieht man Fleury mit ein, gleich dreifach, und überdies eine Vermischung von ikonischer Kunst der Moderne mit Lifestyle und Kommerz, von hoher Kunst und kurzlebigen Modetrends. Dazu gesellt sich ein weiterer Winkelzug: Diese Mondrian zitierende Designerwelt Saint Laurents und Cox‘ hat wohl mit der von Theosophie und anderer Esoterik geprägten Geistigkeit Mondrians wenig bis nichts zu tun. Zur Wehr setzen konnte sich der Urvater der Moderne allerdings nicht: Als die Trivialisierung seiner Werke einsetzte, war er schon längst tot.
Leichtfüssig
Sylvie Fleury setzt sich mit einem Lächeln leichtfüssig über alle Grenzen und über manche Tabus hinweg. Sie scheint dem Oberflächlichen zugetan, klopft es aber sogleich auf seine Vielschichtigkeit ab. Prompt stösst sie auf tieferliegende Bedeutungsfelder und legt allerlei Paradoxien des Kunstbetriebes frei: Wo ist Kunst, wo Kommerz? Wo reichen sich Prestige-Kunst und Prestige-Design die Hand? Mit welchem Recht entscheidet die Institution Museum über «High» und «Low»? Was ist die Rolle des Handels im Komplex dieser Werte-Fragen?
Mit viel Cleverness befeuert Fleury solche Diskussionen, wenn sie in einen Museumsraum Taschen mit weltweit gehandelter Design-Produktion, mit Parfums und andern kostbaren und gleichzeitig wertlosen Schönheitsmitteln zu Gruppen fügt (Bild ganz oben). So erklärt sie die Shoppingwelt zur Kunstwelt und umgekehrt – wohl im Wissen darum, dass die Cucci-, Chanel- und Hermès-Taschen die Oberflächlichkeit einer Scheinwelt der Schönen und Reichen promoten.
Sylvie Fleurys Haltung ist ambivalent: Sie schafft ironische Distanz und scheint sich gleichzeitig zugehörig zu fühlen. Ob das alles auch auf die Kunstwelt oder wenigstens auf deren oberes Marktsegment zutrifft? Vielleicht zieht ein Besuch der Ausstellung ein Nachdenken über diesen ganzen Komplex nach sich. Das wäre nicht der schlechteste Effekt.
Die Ladendiebin
Sylvie Fleury bewegt sich schon seit den 1990er-Jahren an den Schnittstellen von Kunst und Kommerz und bringt dabei oft ihr eigenes Ich als Kunstfigur ins Spiel – darin mit ihrer in dieser Beziehung radikaleren Altersgenossin Pipilotti Rist verwandt. Doch in manchen in der Retrospektive in Winterthur gezeigten Arbeiten setzt sie andere Schwerpunkte.
Was sich als roter Faden durch alle Räume zieht – und auch im Ladendieb-Ausstellungstitel ironisch aufblitzt –, sind ihre Bezüge zur Kunstgeschichte vor allem der amerikanischen Moderne. Da wird Sylvie Fleury zur «Ladendiebin».
Diese Moderne war mehrheitlich sehr männlich geprägt; Künstlerinnen (zum Beispiel Lee Krasner, Joan Mitchell, Agnes Martin, selbst Louise Bourgeois) erreichten den Durchbruch, wenn überhaupt, sehr spät. Das stachelt Sylvie Fleury sichtlich an. Sie schmeisst ihre schicken Puderdosen und andere Make-up-Utensilien auf Carl Andres Stahlplatten – nicht auf echte, bloss auf Plagiate – und lässt sie zersplittern. Oder sie setzt kokett und mit erotischen Konnotationen spielend einen tiefroten Lippenstift aufs Kupfer-Quadrat. Sie verziert die verspiegelten kubischen Wandelemente «Stacks» des strengen Minimal-Künstlers Donald Judd (wiederum Plagiate) mit üppig quellenden und farblich kontrastierenden organischen Tropfenformen («Eternal Wow on Shelves»). Die harte Farbigkeit von Frank Stellas Malereien mutiert zu sanften, landläufig dem Weiblichen zugeordneten Tönen («Frankie Goes to Hollywood»): Weibliche Emotion gegen männlichen Rationalismus also – um platte und natürlich falsche Stereotypen ins Spiel zu bringen.
Geschickt, aber oft eindimensional
Oder: Fleury setzt Monochrom-Malereien, deren Farbpalette den Make-up-Dosen der Künstlerin zu entstammen scheint, heroisierend in breite Katzengold-Rahmen («Flawless Finish – Perfect Beige»).
Schliesslich appliziert Fleury, um nun in einer anderen Abteilung der Kunst-Warenwelt zur «Ladendiebin» zu werden, in Digitaldruck ihr eigenes Bild lebensgross auf einen Spiegel und thematisiert so virtuos Distanz und Nähe zwischen Besucher und der Künstlerin, die sich gerade mit ihren Luxustaschen beschäftigt («No Man’s Time»): Ein Gruss wohl an Michelangelo Pistoletto und seine Spiegelmalereien der 1960er Jahre. Die lila Vorhänge im gleichen Raum: Eine Hommage an Luciano Fabro. Weiter: In einem kleinen Raum blickt eine modisch gekleidete Schaufensterpuppe wie ein ungezogenes Kind in die Ecke – und erinnert an Kippenbergs «Martin, ab in die Ecke und schäm dich» von 1989.
All das ist geschickt inszeniert. Fast alles sitzt. Die Pointen springen – mindestens für ein Insider-Publikum, das die Anspielungen einordnen kann – ins Auge, wie es zur «Event-Kunst» unserer Tage eben gehört. Ein klares Statement: Ohne Plagiat keine Kunst. Ein weiteres: Kunst ist Kommerz und Kommerz kann Kunst sein.
Doch trotz allem Humor und trotz spitzbübisch eingesetzten kunsthistorischen Bezügen könnte sich manches als recht eindimensional oder gar als blosser Gag bald einmal abnützen. Das Intrigante der eingangs geschilderten Installation «Patrick & Piet & Josef» kommt nicht in allen «White Cube»-Räumen des Winterthurer Erweiterungsbaus zum Tragen. Vielleicht ist die Schau schlicht zu umfangreich und neigt damit zu Wiederholungen.
Ein Genuss ist jedoch der Besuch in einem kleinen Raum, eng gefüllt mit den Raketen, mit denen sich Sylvie Fleury seit vielen Jahren beschäftigt («Spaceships on Venus»). Da herrscht ein lustvolles Spiel mit phallisch himmelwärts gerichteten Flugkörpern zwischen metallisch harten und weich-kuscheligen Materialien. Sie stehen bereit zum Abschuss auf den Planeten der Liebesgöttin.
Sylvie Fleury wurde 1961 in Genf geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Fotografin, arbeite kurzeitig beim IKRK in Genf und begann um 1990 eine Zusammenarbeit mit John Armleder und Olivier Mosset. Sie zeigte ihr Arbeiten ab den 1990er Jahren in internationalen Kunstinstitutionen – zum Beispiel im Landesmuseum Graz, im Migros-Museum in Zürich, in MAMCO in Genf, im Kunstmuseum St. Gallen, im ZKM in Karlsruhe, in der Villa Stuck in München. 1993 war sie in der Aperto-Schau der Biennale Venedig und an der Biennale São Paulo vertreten. Sylvie Fleury erhielt zweimal das Eidgenössische Bundesstipendium sowie 2008 den Meret-Oppenheim-Preis.
Kunstmuseum Winterthur beim Stadthaus. Bis 20. August.
Im Verlauf der Ausstellung erscheint ein Katalog.