Selten, ach was: noch nie haben wir in einem Film das Eingreifen der russischen Mafia dermassen herbeigesehnt wie hier. Endlich würde dem infamen Treiben dieses Weibsstücks ein Ende bereitet, endlich wäre Schluss mit den – gekonnt innerhalb des Legalen betriebenen – kriminellen Machenschaften dieser Legierung aus Honigseim und Kruppstahl. Sie heisse Marla Grayson, sagt die Stimme aus dem Off, die zur Eröffnung gleich eine Publikumsbeschimpfung veranstaltet. Ihr meint, ihr seid die Guten? Sie jedenfalls sei kein Lamm, sondern eine verfluchte Löwin, gemäss ihrem Credo, dass es nur zwei Sorten Leute gibt: die, die nehmen, und die, die drankommen, Raubtiere und Beute, Löwen und Lämmer.
«The woman you love to hate»
Damit ist die Basis gelegt zu einer abgründig-zynischen, bösartig-witzigen Etüde in Raubtierkapitalismus. Dessen Apotheose am Schluss, die Vermählung von kompletter Markterschliessung und Mafia, wird nur ein winziges Stückchen Blei stören– abgeschickt just von einem der noch und noch und aufs Übelste betrogenen Guten. Das wird dann die letzte der unzähligen Wendungen dieses brillanten dritten Films des Engländers J (=Jonathan) Blakeson gewesen sein. Bereits in seinem fintenreichen Erstling, «The Disappearance of Alice Creed» (2009) mit Gemma Arterton, Martin Compston und Eddie Marsan, hat er gezeigt, dass er weiss, wie man sein Publikum überrascht.
Marlas Geschäftsmodell funktioniert vorzüglich. In einem gediegenen Neuengland bestens vernetzt mit korrupter Ärztin und ebensolcher Leitung einer Alterseinrichtung, wo die Beruhigungsspritze genauso immer schon wartet wie die Phalanx muskulöser Wärter, braucht sie nicht zu befürchten, dass die von ihr behändigten, bevorzugt alleinstehenden, noch durchaus rüstigen, aber dank einfältigem Richter bereits entmündigten Pensionäre je wieder über sich verfügen werden. Erneut ist die Engländerin Rosamund Pike «the woman you love to hate»: womöglich noch infamer und perfider als das «Gone Girl» in David Finchers Film von 2014 – wobei sie mit derselben Eleganz auch historische Figuren wie eine Marie Curie (2019) oder eine Ruth Williams zu verkörpern weiss, die Frau des Königs von Botswana (in «A United Kingdom»). Welten trennen diese schwarze Komödie von einem Ärgernis mit teilweise vergleichbarer «feministischer Agenda», «Identity Thief» (2013) von Seth Rogers, in dem die plumpe Melissa McCarthy als rücksichtsloser «white trash» und Männeralbtraum einen anständigen Angehörigen des Mittelstands massakriert, bis der Film Angst vor der eigenen Courage bekommt.
Umwerfender Peter Dinklage
Doch nun ist Marla zum ersten Mal auf Widerstand gestossen. Wer sie sei, fragt sie die angebliche Jennifer Peterson (eine wunderbar ingrimmige Dianne Wiest). Ihr schlimmster Fehler, antwortet ihr diese, im Vertrauen darauf, dass ihr Sohn die Dinge schon wieder zurechtrücken werde, wobei sie noch nicht einmal weiss, dass ihr Haus bereits ausgeräumt ist und zum Verkauf ausgeschrieben steht, die schöne Einrichtung auf dem Rasen verhökert, der Schlüssel zum Bankschliessfach gefunden und damit dessen diamantener Inhalt. Doch ach, auch die «russische Mafia» ist nicht mehr, was sie im Kino einmal war. Der Sohn wird von seiner Entourage zwar gefürchtet wegen seiner Wutanfälle mit drohender Todesfolge, doch hier sehen wir ihn erst einmal gehemmt durch die Sorge um seine Anonymität.
So schickt er zunächst seinen Anwalt vor (einen köstlich eingebildeten Chris Messina), und wir glauben schon an eine Wende zum Besseren, aber Marla windet sich aus jeder Schlinge, selbst als Jennifer es beinah schafft, sie zu erdrosseln – und wie haben wir gehofft, dass es ihr gelingen möge. Zusammen mit ihrer Spiessgesellin und Geliebten Fran (Eiza González) findet sich Marla zwar auf der Flucht vor den Gangstern, doch als sie auch hier dem sicheren Tod entrinnt, beschliesst sie, es mit dem Boss aufzunehmen. Umwerfend Peter Dinklage als dieser Roman Lunyov, das Löwenhaupt die Zwergengestalt vergessen machend. Der Auftritt an den Ringen in seinem Kraftraum lohnt allein schon den Besuch des Films. Keine Frage, hier treffen zwei Ebenbürtige aufeinander. Der Merger ist dann naheliegend, aber auch etwas absehbar – wäre da eben nicht diese Schlusspointe, die wieder an das Gute glauben lässt.