„Scheitert der Euro, scheitert Europa“, so Angela Merkel, am 7. September 2011 im Bundestag. Unsinn.
Wenn Politiker, Ökonomen, Experten, Kommentatoren von der Euro-Krise reden, hängen dem viele wie einen Refrain an, dass „danach die EU“ in Gefahr gerate. So auch Angela Merkel, die sonst Gescheites zum Euro sagt. Klar, sie wollte den Deutschen in Erinnerung rufen, dass die europäische Einigung, dass die EU zu den höchsten Gütern in Europa gehören und nicht scheitern dürfen. Aber diese elementare Wahrheit mit dem Schicksal des Euro zu verknüpfen war dumm und falsch.
Lange Fehlerliste
Natürlich, ein Scheitern des Euro würde die Europapolitik schwer treffen. In der EU würde eine Kontroverse losbrechen, wie man nun weitermachen solle: mehr oder weniger Integration? Und die Welt sähe, dass die europäischen Länder einen historischen Fehler gemacht haben und, unbegreiflich, fähig sind, solche Fehler zu machen. Sie geben Anlass zum Zweifeln, geradezu zum Lachen über die Inkompetenz europäischer Politiker.
Inkompetenz? Nicht nur da und dort, nein: Es ist eine Kumulation von dilettantischen Fehlern und Ansichten. Ökonomischer Leichtsinn entgegen allen historischen Erfahrungen (Währungsunion ohne politische Union). Politischer Leichtsinn (der Glaube, die Währungsunion werde die politische Union von selber nach sich ziehen). Gutgläubigkeit, Naivität und Kontrollmangel (gegenüber den griechischen Fälschungen zur Erfüllung der Eintrittskriterien). Leichtfertiger, rechtlich umstrittener, vielleicht illegaler Umgang mit den Vorschriften des Maastricht-Vertrags (Missachtung des Verbots gegenseitiger Haftung der Länder für die Schulden der anderen).
Nachträgliches Kopfschütteln
Weiter: Nichtbeachtung von Vorschriften, die man den laxeren Ländern auferlegt, durch deren Urheber (Deutschland und Frankreich entziehen sich selber als erste den Sanktionen bei der Überschreitung der Budgetdefizitgrenze von 3 Prozent, die sie im „Stabilitätspakt“ den anderen aufdrängten). Jahrelange Blindheit für unsolides Gebaren (gegenüber den Ländern, die sich von den niedrigen Zinsen zu groteskem Schuldenmachen verleiten liessen).
Eine unwahrscheinliche Serie von Dilettantismus, die bei den aussereuropäischen Ländern und auf den Finanzmärkten, bei Kreditgebern und Finanzspekulateuren Kopfschütteln über den ökonomischen Sachverstand in Europa auslöst. Vielleicht, vielleicht wird der Auftrag des EU-Gipfels an den Präsidenten Herman van Rompuy, bis Ende Jahr längerfristige Perspektiven vorzulegen, ein nachhaltigeres Denken anregen. Doch um improvisierte Hauruck-Operationen zum Vermeiden des Kollapses werden die Euro-Länder noch lange nicht herumkommen.
Sarazins Analyse ist richtig
Ein ökonomischer Laie, der dieses Fiasko kapieren will, muss die magistrale Beschreibung durch Thilo Sarrazin in seinem Buch „Europa braucht den Euro nicht“* lesen. Unbegreiflich und beunruhigend, wie der Grossteil der Eliten Deutschlands darin ein populistisches Skandalbuch sieht. Stimmt, vor zwei Jahren äusserte Sarrazin in „Deutschland schafft sich ab“ unhaltbar xenophobe Thesen gegen die Einwanderer.
Aber seine Euro-Analyse beschreibt die Euro-Krise mit stupendem Sachverständnis, mit Akribie, Einsicht in die kleinsten Details und in verständlicher Sprache. Gelegentlich mit naiven historischen Betrachtungen, aber höchst nuanciert und auch selbstkritisch. Er verschweigt nicht, dass er selber längere Zeit den Optimismus über den Euro teilte und von seinen Missgeschicken überrascht wurde.
Fundament auch ohne Euro
Aber nichts, nichts deutet darauf hin, dass die EU gefährdet wäre, wenn der Euro verschwände. Was vor seiner Erfindung in vierzig Jahren aufgebaut wurde: der Binnenmarkt, seine vier Freiheiten (der freie Güter-, Arbeitnehmer-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr in der gesamten EU von heute 500 Millionen Bürgern), die Agrarpolitik, die liberale Wettbewerbspolitik, die Regional-, die Handels-, die Verkehrs-, die Industrie-, die Umwelt- und viele andere EU-Politiken und -Harmonisierungen – sie alle sind ein kompaktes, umfassendes, allen Ländern und Bevölkerungen gemeinsames und ihnen dienendes Fundament, auch ohne den Euro.
Diese Politiken haben nach einem Verschwinden des Euro nicht den mindesten Grund, auch zu verschwinden. Alles das funktionierte und prosperierte dreissig Jahre lang ohne den Euro. Und es funktioniert weiter, seit er geboren wurde: neben ihm und mit ihm, in allen EU-Ländern in einem gemeinsamen Marktraum ohne jeden Unterschied zwischen denen mit und ohne Euro. Zehn EU-Länder, darunter Grossbritannien, Dänemark, Schweden und einige Ost-Länder, sind dem Euro ferngeblieben, sind aber Teil der EU, des Binnenmarktes und aller dieser traditionellen EU-Politiken.
Kalkulationen würden schwieriger
Und das verursachte weder ihnen noch den Euro-Ländern noch zwischen ihnen die mindesten Friktionen. Die EU ist mehr als der Euro und nicht abhängig von ihm. Sie ist ein Fundament, auf das der Euro aufgepfropft wurde. Dieses Fundament berührt es nicht, wenn der Euro verschwindet.
Die Euro-Zone brachte und bringt ihren Mitgliedern zusätzliche Vorteile im Binnenmarkt: Zum Beispiel werden Export- und Import-Kalkulationen der Unternehmen einfacher als gegenüber einem Dutzend verschiedener Währungen. Diese Erleichterungen würden bei einem Verschwinden des Euro wegfallen. Aber zum Überleben und Weiterfunktionieren im Binnenmarkt haben diese Unternehmen den Euro nicht nötig.
Politische Gefahren
Etwas anderes wäre ein Auseinanderbrechen der EU infolge politischer Folgewirkungen der Euro-Krise. Austerity-Massnahmen könnten in Griechenland, in Spanien oder Italien Politiker an die Macht bringen, die aus der EU austreten wollen. Oder sogar in den Ländern, die den Schuldenstaaten beispringen müssen: In den Niederlanden macht der Rechtspopulist Geert Wilders mit einem EU-Austritt Wahlpropaganda.
Das wäre aber nicht dem Zusammenbrechen des Euro anzulasten, sondern seiner Schaffung und Praxis: der leichtfertig-leichtsinnigen Ausgaben- und Schuldenpolitik, die ihre tiefen Zinsen jenen Ländern ermöglicht hat. Aber selbst die Griechen werden sich nicht verführen lassen, eine Union zu verlassen, die ihnen aus der Patsche hilft.
*) Thilo Sarrazin: Europa braucht den Euro nicht. Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012.