Am vergangenen Wochenende haben in der Schweiz zum zweiten Jahrestag des russischen Angriffskrieges verschiedene Solidaritätsdemonstrationen für die Ukraine stattgefunden. In Zürich marschierte eine Allianz linker Gruppierungen vom Landesmuseum zum Helvetiaplatz. Zu den Rednern zählte der Historiker und frühere grüne Zuger Nationalrat Jo Lang. Hier der Text seiner Rede, in der er sich mit dem von ihm kritisierten «ökonomischen Putinismus» auseinandersetzte.
Liebe Antiimperialistinnen und Antiimperialisten, liebe Friedensbewegte
Es gibt zwei Arten von Schweizer Solidarität mit der Ukraine: eine billige und eine teure und damit echte. Die billige verdrängt die wichtigste aller Fragen: die Aufrüstung Putins aus der Schweiz. Die echte stellt sich Fragen wie: Könnte Putin seinen Krieg gegen die Ukraine noch finanzieren ohne die Abermilliarden, die er dem Schweizer Rohstoffhandel und seinen hiesigen Oligarchen verdankt? Könnten Putins Bomber und Raketen noch starten ohne die Spezialmaschinen, die er Schweizer Firmen verdankt?
Gelder und Güter für die russische Kriegsmaschine
Die russische Kriegsmaschine wurde über Jahre aus der Schweiz mit Geldern und Gütern gefüttert. So liefen etwa 60 Prozent des russischen Rohstoffhandels über die Schweiz. Und die Fütterung geht – wenn auch vermindert – weiter. Von den 150 Oligarchen-Milliarden sind weniger als 8 Milliarden sanktioniert. Die Schweizer Dual-Use-Maschinen in den russischen Kriegsfabriken kennen ohnehin keine Sanktionen.
Der Schweizer Fossil- und Finanz-Kapitalismus und der russische KGB-Mafia-Kapitalismus sind eng miteinander verbunden. Über russisch kontrollierte Firmen und Banken, von denen es in der Schweiz etwa 2000 gibt. Beispiele sind die Gazprom, Nordstream, Sberbank. Über die Oligarchen, von denen 85 über ein «Goldenes Visum» verfügen. Und über zahlreiche weitere Firmen und Banken, die Putin zudienten. Beispiele sind Glencore, Trafigura und die Grossbanken. Als die russische Staatskasse wegen der Krim-Annexion 2014 klamm war, sprangen Glencore und ihr wichtigster Einzelaktionär, der Staatsfond von Katar, ein. Sie pumpten Ende 2016 11 Milliarden Dollar in den staatlichen Ölgiganten Rosneft.
Die Mitte und der ökonomische Putinismus
Von der Schweizer Wirtschaft hätte Putin nicht so massiv profitieren können, wenn die Politik nicht mitgemacht hätte. Drei Beispiele aus den Rohstoff-, Oligarchen- und Maschinen-Bereichen. Im Frühjahr 2006 distanzierten wir Zuger Alternativ-Grünen uns von den zwei russischen Pipeline-Firmen, die für Putin den Erdgaskrieg gegen die Ukraine führten. Wir nannten sie «Ostmafia». Der Präsident der kantonalen CVP, Gerhard Pfister, distanzierte sich auch – von uns. Das «Erfolgsmodell Zug» mit den zahlreichen russischen Firmen und Oligarchen hat er gegen unsere Kritik beharrlich bis vehement verteidigt.
Warum stehen die meisten Oligarchen-Milliarden weiterhin zur Disposition Putins? Weil das Geldwäschereigesetz die Berater und Anwälte nicht einbezogen hat! Die Hauptverantwortlichen dieses Lochs sind die beiden Walliser Anwalts-Lobbyisten, der Mitte-Ständerat Beat Rieder und der Mitte-Nationalrat Philipp Bregy. Zu den wichtigsten Profiteuren des Walliser-Mitte-Lochs gehört Putins Kriegskasse.
Übrigens hat die Mitte, die immer wieder als besonders ukrainefreundlich dargestellt wird, den Vorschlag der Aussenpolitischen Kommission für ein 5-Milliarden-Hilfspaket zugunsten der Ukraine im letzten Juni abgelehnt – gemeinsam mit der FDP und der auch verbal unsolidarischen SVP.
Freisinniges Pro-Putin-Powerplay
Warum kann Putin auch dank Schweizer Maschinen die ukrainische Zivilbevölkerung massakrieren – mit Raketen oder mit Patronen wie in Butscha? Nach der Krim-Annexion beschloss das Seco, Russland keine Dual-Use-Maschinen mehr zu liefern, weil diese in der Kriegsproduktion eingesetzt würden. Gegen diese für einmal richtige Massnahme zogen die Maschinenindustrie und die FDP ein massives Pro-Putin-Powerplay auf.
Im Dezember 2015 verlangte Ständerätin Karin Keller Suter eine Liberalisierung der Export-Praxis gegenüber Russland. Im März 2016 desavouierte Bundesrat Johann Schneider-Amman das Seco mit der Aussage: «keine ideologische Prüfkriterien». Diese Begründung erinnert an den alten Bergier-Bericht und ruft nach einem neuen. Natürlich wähnt sich auch die FDP als Pro-Ukraine-Partei. Übrigens trägt die FDP die Hauptverantwortung dafür, dass die Schweiz immer noch nicht der Sanktionen-Task-Force Repo (Russian Elites, Proxies and Oligarchs) angehört.
Die Schweiz steht in besonderer Schuld
Damit wäre ich bei den wichtigsten Forderungen:
- Sofortige Beschlagnahmung der Oligarchen-Vermögen zugunsten der humanitären und Wiederaufbau-Hilfe für die Ukraine. Dazu reicht der Mafia-Artikel 72 im Strafgesetzbuch.
- Einführung einer Kriegsgewinnsteuer – primär zugunsten der Ukraine – für Rohstoffkonzerne, die auch 2023 bedeutend höhere Gewinne machten als vor dem Krieg, für Firmen, die direkt oder indirekt Kriegsmaterial herstellen, für die Pharma, die in den letzten zwei Jahren ihre Exporte nach Russland massiv steigerte.
- Konsequente Durchsetzung der Sanktionen
- Schaffung einer Rohstoffmarktaufsicht (Rohma) analog zur Finma
- Stopfen des verhängnisvollen Rieder/Bregy-Lochs im Geldwäschereisetz.
Zum Schluss noch dies: Die gleichen Kreise, die politische Beihilfe zur Putin-Aufrüstung leisteten, nützen nun deren Folgen aus, um die Schweiz aufzurüsten. Die Schweiz würde die Aufrüstungs-Milliarden gescheiter in den Wiederaufbau der Ukraine stecken.
Putin zerstört die Ukraine auch dank Geldern und Gütern aus der Schweiz. Deshalb steht unser Land gegenüber der Ukraine in besonderer Schuld.