Erst die griechischen Wahlen haben etwas Nachdenken ausgelöst, wie ein griechischer Austritt aus der Euro-Zone praktisch vor sich gehen könnte, dieses Risiko scheint nach den Wahlen auf einmal grösser. Die Schwierigkeiten liegen so hoch, dass er kaum machbar scheint. Versuchen wir uns einmal vorzustellen, wie er vor sich ginge:
Ausgangslage und erste Entscheidungen
Erster Akt: Die griechische Regierung fasst den Beschluss auszutreten.
Zweitens: Im Maastricht-Vertrag der EU von 1992, wo ein Kapitel die Gründung der Währungsunion regelt, ist der Ausschluss eines Euro-Staates nicht vorgesehen. Ein Austritt zwar auch nicht, doch wenn ein Staat ihn will, werden werden ihn die anderen de facto hinnehmen müssen, denn auch von Sanktionen sagt der Vertrag kein Wort.
Drittens: Allerdings, die anderen Euro-Staaten könnten die Griechen zweifellos mit finanziellem Druck zum Austritt zwingen. Die Drohung, dem griechischen Staat die Kredite nicht mehr zu geben, die seinen Bankrott verhindern, würde wohl genügen.
Viertens: Aber wollen die anderen Euro-Länder den Austritt überhaupt? Er würde ihnen viel mehr Probleme bescheren als ein Verbleib. Er würde auf den Finanzmärkten sofort die Frage auslösen, welches Land als nächstes drankomme, es begänne die Spekulation auf einen Austritt Spaniens, dann Portugals und Italiens, und die ganze Euro-Union sähe der Gefahr ihres Kollapses ins Auge. Darum klingen die Schwüre fast aller betroffenen Politiker (neuerdings nuanciert bei IWF-Direktorin Lagarde und EU-Kommissionspräsident Barroso), Griechenland müsse bleiben, echt.
Fünftens: In diesem Spiel wird bis zu den griechischen Wahlen allerdings auch gepokert. Die Euro-Politiker sagen „Glaubt nicht, dass wir euch noch helfen wenn ihr unsere Austerity-Bedingungen nicht erfüllt“ und die Griechen „ihr blufft ja nur, ihr werdet müssen“.
Euro-Krise und Demokratie: groteskes Ungleichgewicht
Sechstens: Noch nie hat ein Volk die Zukunft Europas dermassen in der Hand gehabt. Seine wirtschaftliche, finanzielle, politische und institutionelle Zukunft. Existenzielle Fragen gehen in den griechischen Wahlen wie auch im konfusen Dialog mit den anderen Mächten durcheinander. Austerity oder Wachstum? Ist die Währungsunion gut oder schlecht? Ist die EU eine Solidargemeinschaft oder eine Wirtschaftsdiktatur, die wir nicht mehr akzeptieren?
Ein paar Millionen Griechen geben die Antworten, aber nicht auf diese Sachfragen, sie können nur unter Parteien mit pauschalen Programmen und Schlagworten auswählen. Vorausgehen wird ein Strudel von Für- und Wider-Argumenten, in den sich alle Euro-, alle EU-Staaten und der Internationale Währungs-Fonds einmischen.
Siebtens: Hier zeigt sich eine gewaltige Disproportion zwischen einem hochwichtigen Sachentscheid, dem konfusen globalen Debattengremium und den einfachen, zwischen Emotionen hin- und hergerissenen und über ökonomische Preziositäten wohl nicht sehr gut informierten griechischen Bürgern und Bürgerinnen. Frappantes Beispiel einer noch kaum diskutierten Demokratiekrise in der ganzen westlichen Welt: Sachfragen stehen im Zeitalter von Globalisierung, Social Media, Facebook und Google mit den aus dem 19.Jahrhundert stammenden demokratischen Entscheidungsprozeduren in einem grotesken Ungleichgewicht
Zwei Wochen Chaos
Achtens: Beim ersten Gerücht begänne eine Euro-Flucht ins Ausland. Die griechische Regierung muss den Beschluss total geheim halten. Fast unmöglich, aber nehmen wir an, es gelingt.
Neuntens: An einem Montagmorgen hören die Griechen ab 6 Uhr: der Euro wird abgeschafft und die Drachme wird einziges gesetzliches Zahlungsmittel.
Zehntens: Nebenbei: Ein flämischer Professor schlägt vor, den Euro nicht durch die alte Drachme zu ersetzen sondern durch einen „Süd-Euro“, dem sich später in einer selbständigen Währungsunion andere südliche Länder wie Spanien, Portugal und Italien anschliessen, die zum Austritt aus dem „Nord-Euro“ gezwungen sind.
Elftens: Die Banken des ganzen Landes müssen ab Montag 8 Uhr Unmengen von Drachmen zum Umtausch bereit haben. Wahrscheinlich hat sie die Zentralbank seit der Einführung des Euro noch in ihren Kellern. Am Sonntag müssen Camions voll Drachmen durch das Land fahren. Das bemerken alle, die Kapitalflucht beginnt.
Zwölftens: Zum Umtausch muss man den Griechen Zeit lassen. Eine Woche, zehn Tage.
Dreizehn: Jeder Grieche wird nur das Minimum an Drachmen eintauschen, das er in den nächsten Wochen nötig hat. Viele werden ihre übrigen Euros ins Ausland verschieben. Dafür musste man früher mit Koffern voll Banknoten über die Grenze, heute genügen ein paar Knopfdrücke auf der Homebank.
Vierzehn: Um letzteres zu unterbinden, müsste den Banken zehn Tage lang verboten werden, Euros ins Ausland zu transferieren. Ein anderer flämischer Professor würde die Banken sogar schliessen. Undenkbar.
Griechenland ohne Drachmen
Fünfzehn: In Griechenland wird nur das Minimum Drachmen bleiben, welche Bürger und Wirtschaft zum kurzfristigen Überleben nötig haben. Wenn ich wieder brauche, lasse ich Euros aus meinem Konto in Frankfurt kommen und wechsle sie in Drachmen.
Sechzehn: Während zehn Jahren wird sich die Euro-Menge in den Händen von Griechen nur langsam leeren und die Drachmenmenge nur langsam zunehmen.
Siebzehn: Gerade noch die zum Überleben nötigen Drachmen im Land - niemand gibt und bekommt noch Kredit - eine massive Kontraktion der Wirtschaft: das lässt das Land auf eine Subsistenzwirtschaft zurückfallen (Wirtschaft nur gerade zum Leben). Das wäre viel schlimmer als die Austerity, welche die Euro-Partner fordern.
Achtzehn: Wenn der Wechselkurs für die Drachme tief angesetzt wird, könnten die Griechen mehr für den Export produzieren. Aber mit Ausnahme von Tourismus, Olivenöl und Feta haben die Griechen kaum mehr Exportprodukte bzw. Dienstleistungen, die Devisen einbringen. Sie könnten eine Abwertung gar nicht richtig ausnützen.
Neunzehn: Noch ein Dilemma: je tiefer der Wechselkurs, desto grösser die Versuchung, die Euros bei sich zu behalten.
Zwanzig: Das Resultat ist das Gegenteil von dem, was der Austritt bringen soll: ein wirtschaftliches Wiederaufleben Griechenlands, Stabilität der Euro-Zone und Erlösung von den Problemen, die ihr Griechenland auflädt.
Doch möglich? Oder gar besser?
Gut, unmöglich ist der Austritt nicht, der geschilderte Ablauf machbar. Aber er hätte so schlimme Folgen, dass sowohl die Griechen wie ihre Euro-Partner mit grösster Energie an der Mitgliedschaft festhalten werden. Der grosse Unsicherheitsfaktor in dieser Prognose ist das griechische Stimmvolk. Der zweitgrösste eine Fehlkalkulation im Poker zwischen ihm und den Geldgebern.
Aber ist das nicht nur kurzfristig besser? Ohne den griechischen Austritt bleiben der Euro-Zone ihre Probleme, sie wird sich noch zehn Jahre durchwursteln müssen und ist nicht endgültig vor einem Zerfall gefeit. Da und dort ist ein Murmeln zu hören, eine Rosskur wäre besser als ein langsames Dahinsiechen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende?