Damit übernimmt nach vier Wahlen innerhalb von zweieinhalb Jahren zum ersten Mal eine reguläre Regierung die Amtsgeschäfte, nachdem der bisherige Premierminister, Benjamin Netanjahu, von Wahl zu Wahl als Chef von Übergangsregierungen fungiert hatte.
Vorbild Trump
„Bibi“ Netanjahu ist damit am Ende seiner 12-jährigen Karriere als Ministerpräsident angelangt, möglicherweise überhaupt am Ende seiner politischen Karriere. Den Mitgliedern und Anhängern der neuen Regierung dürfte dies nur recht sein. Denn so unterschiedlich sie auch ideologisch gestrickt sein mögen, sie waren und bleiben vereint einem Ziel verschrieben: Netanjahu muss weg. So werden bereits Gesetzentwürfe diskutiert, nach denen ein abgewählter Regierungschef auch nicht mehr als „einfacher“ Abgeordneter auftreten kann.
Ob es dazu kommt und wie lange dies gut geht, wird sich allerdings noch erweisen müssen. Immerhin ist Netanjahu weiterhin Chef des „Likud“ – der bislang grössten Partei – und er scheint entschlossen, alles zu unternehmen, um weiterhin aktiv zu bleiben und der neuen Regierung das Leben so schwer wie irgend möglich zu machen. So hatte er bereits das Zustandekommen der neuen Koalition zu hintertreiben versucht. Einmal, indem er diese als „gefährliche Links-Koalition“ verteufelte, obwohl gerade dies nun überhaupt nicht zutrifft. In seiner Polemik erinnerte Netanjahu an seinen alten Verbündeten im Weissen Haus: So wie Donald Trump nach und seit dessen Wahlniederlage spricht auch Netanjahu von Betrug und bezeichnet das Zustandekommen der neuen Koalition als den „grössten Wahlbetrug in der Geschichte Israels“.
Weites politisches Spektrum
Und er versuchte mit allen möglichen Tricks, bereits für die Koalition gewonnene Abgeordnete und mögliche weitere Kandidaten wieder abzuwerben. In der neuen Regierung sind insgesamt acht Parteien vertreten: Von der rechten „Yemina“ („Nach Rechts“) Partei des früheren Netanjahu-Vertrauten Naftali Bennett bis hin zur ersten arabischen Partei, die an einer israelischen Regierung beteiligt ist, von der (einst führenden, heute aber bedeutungslosen) Arbeiterpartei über die linksliberale Meretz-Partei bis hin zur „Blau-Weiss“ Zentrumspartei von Verteidigungsminister Gantz und zur liberalen Zentrumspartei „Yesh Atid“ („Es gibt eine Zukunft“) des ehemaligen Journalisten, Autoren, Schauspielers, aber auch Finanzministers Yair Lapid. Die übrigen Parteien sind sämtlich rechts angesiedelt.
Lapid musste auf solch eine überwiegend rechte Ansammlung von kleinen bis ganz kleinen Parteien zurückgreifen, um die bei einer Regierungsbildung erforderliche Mehrheit von 61 der 120 Abgeordneten hinter sich zu bringen. Und er musste dabei auch das Zugeständnis machen, dass „Yemina“-Chef Bennett bei Regierungsbildung Ministerpräsident wird und das Amt erst nach zwei Jahren an Lapid übergibt. Gerade Netanjahu sollte nach Jahren engster Zusammenarbeit mit Bennett wissen, dass dieser mindestens so rechts ist wie er selbst: Bennett war jahrelang Chef des Jüdischen Siedlerverbandes im (seit 1967 besetzten) Westjordanland und als solcher alles andere als ein Anhänger der Verständigung mit den Palästinensern oder gar der international propagierten „Zweistaatenlösung“. Und selbst die Beteiligung einer arabisch-islamischen Partei hatte bei Bennett einige Zweifel ausgelöst, aber inzwischen hat er eingelenkt und dem Führer dieser Partei, Mansour Abbas, bescheinigt, ein aufrechter Vertreter der israelisch-arabischen Bürger zu sein.
Umstrittene Demonstration
So versöhnlich solche Worte auch klingen mögen, sie können kaum darüber hinwegtäuschen, dass auch mit der Koalitions-Amtseinführung in Reichweite die Probleme kaum zu Ende sein dürften. Ein neues Problem taucht nur wenige Tage vor diesem Termin auf:
Rechtsradikale Gruppen wollten den „Jerusalem-Marsch“ nachholen, der im Mai hätte stattfinden sollen, dann aber wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der „Hamas“ im Gazastreifen sowie im Westjordanland und auch in jüdisch/arabischen Wohngebieten in Israel selbst aufgekündigt wurde. Damals hatte man der Polizei in Jerusalem den Vorwurf gemacht, die Demonstrationen nicht unter Kontrolle gebracht zu haben, diesmal war es die Polizei selbst, die warnte, dass es zu einer neuen Eskalation mit unberechenbaren Folgen kommen könne.
Die Polizei machte deswegen von ihrem Recht Gebrauch und untersagte den Marsch. Sie hatte nicht mit der Reaktion der ultrarechten Veranstalter gerechnet, die mit dem Zug durch die Jerusalemer Altstadt des vor 54 Jahren begonnenen „Sechstagekrieges“ gedenken – bei dem der arabisch bewohnte Ostteil Jerusalems erobert wurde. Ganz Jerusalem sei Teil Israels, argumentierten die Veranstalter und sie schlugen auch die Mahnung in den Wind, erneute Provokationen dieser Art könnten einen erneuten Ausbruch von Feindseligkeiten mit „Hamas“ auslösen: Man werde sich doch nicht von „Hamas“ diktieren lassen, was man in Jerusalem tun könne oder dürfe, lautete die Antwort.
Immerhin hielt Noch-Ministerpräsident Netanjahu förmlich in letzter Minute Beratungen über das Problem ab, und man forderte die Jerusalem-Marschierer auf, nicht vom Damaskus-Tor durch das muslimische Viertel der Altstadt zu ziehen, sondern besser den Weg vom Jaffa-Tor durch das armenische zum jüdischen Viertel zu nehmen. Der Rat dürfte auch eine Folge der Beunruhigung sein, die das Thema unter anderem in Washington ausgelöst hat. Aber die Marschierer dürften damit nicht einverstanden sein. Denn ihnen geht es nicht in erster Linie um Erinnerung an historische Ereignisse, sondern in erster Linie um Provokation. Koste es, was es wolle. Die neue israelische Regierung darf sich auf einiges gefasst machen.