Über die Frage, was man gegen Hass und Aggression in sozialen Netzwerken tun kann, diskutiert Tim Guldimann mit Renate Künast, Mitglied des deutschen Bundestages und frühere Bundesministerin, und dem deutschen Publizisten Hasnain Kazim.
Hasnain Kazim schrieb zum Thema das Buch «Post von Karlheinz» und erhielt schon als 16-Jähriger die ersten Hassbriefe. Seit dem Ratschlag seiner Lehrerin, sich nicht einschüchtern zu lassen, sagt er sich: «Ich lasse die nicht gewinnen, ich halte nicht meinen Mund.»
Für Renate Künast gilt seit ihrer Erfahrung als Sozialarbeiterin im Berliner Männerknast das Judoprinzip, die aggressive Energie auszunützen, um sie zurückzugeben. Soll man die Täter mit Respekt behandeln? Künast erzählt, wie sie im Bundestag mit ihrem Zwischenruf SPD-Kollegen zurechtgewiesen hat, die vom «Mob» und «Pack» der Rechtspopulisten sprachen. So etwas sage man nicht, denn diese seien danach mit der Losung «Wir sind das Pack» auf die Strasse gegangen.
Warum haben die Agressionen im Netz zugenommen? Sind es die technischen Möglichkeiten im Netz oder liegt es an einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft? Künast hält nichts von der Spaltungstheorie: «Als ich jung war, das war eine gespaltene Gesellschaft.» Frauen hatten viel weniger Rechte. Es liesse sich zudem nachweisen, dass Rassismus, Homophobie, Islamophobie Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus früher in der Gesellschaft genauso, wenn nicht noch stärker vorhanden waren. Aber heute haben solche Einstellungen mit den sozialen Medien und der AfD einen Lautsprecher.
Haben Gerichtsklagen eine Chance? Kazim hat das oft versucht, meistens hat es nichts gebracht. Und wo überhaupt ermittelt wurde, wurden die Verfahren in den meisten Fällen eingestellt. Auch Künast hat Verfahren angestrengt, von denen viele zu nichts führten. Doch als das Landgericht Berlin im September 2019 die Beschimpfung der Politikerin als «Drecksfotze» nicht verurteilen wollte, weil dieser Angriff in einem Sachzusammenhang mit Politik gestanden habe, zog sie den Fall an das Bundesverfassungsgericht weiter und gewann.
Dieses Urteil stellte vor allem zwei Dinge klar: Erstens die besondere Wirkung des Digitalen und zweitens den Vorrang des Schutzes der Persönlichkeitsrechte von Menschen, die sich in öffentlichen Ämtern engagieren. Das wird die Referenz für künftige Gerichtsentscheide sein. Künast erwartet deshalb, dass das Landgericht Berlin von Facebook die Herausgabe der Nutzerdaten verfügen wird, was dann eine Zivilklage ermöglicht.
Das Netz ist kein rechtsfreier Raum, es ist aber angesichts der rasanten Entwicklung der Technik viel zu oft ein rechtsdurchsetzungsfreier Raum. Fortschritte sind nicht möglich, wenn die Rechtsmittel auch international mit der Entwicklung nicht mithalten. «Die Zukunft der Demokratie wird im Netz entschieden», so Renate Künast.
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Journal 21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.