Schon lange nicht mehr haben Präsidentschaftswahlen so grosse Wellen geworfen. Bereits der erste Wahlgang vom 28. Juni hatte Polen in den Bann gezogen (Journal21 23.06.2020). Die Beteiligung war mit fast 65 Prozent so hoch ausgefallen wie noch nie seit 1995. Und dies trotz Coronakrise mit strikten Auflagen, was teilweise Schlangestehen vor den Wahllokalen bedeutete.
Der Amtsinhaber und Kandidat der herrschenden rechtskonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) Andrzej Duda gewann erwartungsgemäss die erste Runde. Sein Resultat von 43,5 Prozent war aber nur leicht besser als es die letzten Umfragen vorausgesagt hatten. Das galt auch für seinen wichtigsten Herausforderer Rafal Trzaskowski, den Kandidaten der grössten Oppositionspartei, der liberalkonservativen PO (Bürgerverständigung). Der spät ins Rennen eingestiegene Bürgermeister von Warschau hatte eine beachtliche Aufholjagd hingelegt und erreichte 30,5 Prozent.
Die Polarisierung zwischen Opposition und Regimelager liess seine Chancen auf einen Wahlsieg trotz des grossen Abstandes intakt. Umfragen zeigten schon lange an, dass in einem zweiten Wahlgang ein Kopf-an-Kopf-Rennen zu erwarten war. Kurz nach dem ersten Wahlgang prognostizierte eine Umfrage für beide Kandidaten 45 Prozent. Zehn Prozent waren noch unentschieden.
Die Ausgangslage
Schon am Abend der ersten Wahlrunde deutete sich an, wie sich die beiden Kandidaten profilieren wollen.
Andrzei Duda trat in einer Kleinstadt in Zentralpolen auf, hielt eine halbstündige Rede vor Fähnchen schwenkenden Kindern und Jugendlichen und einem Publikum, das immer wieder Duda, Duda-Rufe und „dziekujemy“ (wir danken) anstimmte. In seinen Ausführungen lobte er vor allem soziale und wirtschaftliche Erfolge, die während seiner Präsidentschaft erreicht worden seien und die er fortführen werde.
Rafal Trzaskowski hingegen trat in Warschau vor seine Anhänger und hielt eine Rede mit kämpferischen Tönen. Er betonte vor allem, dass es nun darum gehe, dem Machtmonopol der PiS einen Riegel zu schieben und das Präsidentenamt unabhängig auszuüben. Dabei sollten soziale Reformen nicht angetastet werden. Seine Anhänger riefen immer wieder den Slogan „mamy dosc“ (wir haben genug).
Beide Kandidaten machten auch deutliche Avancen an die Wähler der unterlegenen Kandidaten. Ein überraschend gutes Resultat hatte der unabhängige Journalist Szymon Holownia mit fast 14 Prozent erreicht. Er hatte mit einer geschickten Kampagne vor allem in den sozialen Medien punkten können. Auch der Kandidat des rechtsnationalistischen Bündnisses, Krzystof Bozak, erreichte mit fast sieben Prozent ein ansprechendes Resultat. Sowohl der Kandidat des Linken-Bündnisses wie der Kandidat der konservativ-ländlichen PSL (Polnische Volkspartei) hingegen blieben mit Resultaten zwischen zwei und drei Prozent unter den Erwartungen.
Intensiver Wahlkampf
Die offene Ausgangslage bedeutet für die beiden Konkurrenten und ihre Wahlteams ein Dilemma. Sie müssen mit einem intensiven Wahlkampf ihre eigene Basis mobilisieren, gleichzeitig aber möglichst viele unentschlossene Wähler mit unterschiedlichen Wertepräferenzen zu gewinnen suchen.
Gefragt ist die Unterstützung von unterlegenen Kandidaten und ihren Wählern. Szymon Holownia nutzte sein gutes Resultat und formulierte Minimalbedingungen. Rafal Trzaskowki ging weitgehend darauf ein und dürfte wohl die meisten Stimmen übernehmen. Auch auf die Stimmen des linken Kandidaten kann er praktisch sicher rechnen
Duda zählt vor allem auf die Stimmen des rechtnationalistischen Kandidaten Krzystof Bozak. Dieser weigerte sich aber, für einen Kandidaten Stellung zu beziehen, und nach Umfragen kann Duda nur auf die rechtskonservativ-katholischen, nicht aber auf die rechtkonservativ-libertären Wähler zählen.
Intensiv gestaltete sich die Agenda der beiden Wahlkämpfer. Sie tourten durch das ganze Land und hielten oft mehrere Wahlveranstaltungen an einem Tag ab. Trotz Corona waren diese recht gut besucht. Von Abstandhalten und Maskentragen war nicht viel zu sehen, obwohl pro Tag immer noch rund 200 Neuansteckungen zu verzeichnen waren.
Taktische Aspekte dominieren die Wahlkampagnen weitgehend. Es gilt in den Medien gut rüberzukommen, attraktive Versprechungen zu machen und keine negativen Schlagzeilen zu provozieren. Zudem wird der Gegner möglichst in einem schlechten Licht dargestellt, negativer Wahlkampf ist angesagt, vor allem auf Seiten des Regierungslagers.
Trzaskowski in der Offensive
Trzaskowski präsentiert sich als dynamischer Kandidat, der als Präsident aller Polen einen Wandel für ein offenes und tolerantes Land einleiten werde.
Er setzt auch neue Akzente, um sein sozialliberales Profil zu schärfen und sein Wählerpotential auszuweiten. Er kündigte an, sich mit einer Gesetzesinitiative für eine höhere Rente für Mütter einzusetzen. Diese sollten im Monat pro Kind 200 Zloty mehr Rente bekommen – als Anerkennung für ihre besonderen Anstrengungen und als Ausgleich für ihre oft tieferen Renten.
Damit imitiert er im gewissen Sinne den amtierenden Präsidenten, der im Wahlkampf 2015 eine Kinderzulage von 500 Zloty versprochen hatte. Dies hatte ihm neben anderen sozialen Versprechungen entscheidend zum Wahlsieg verholfen. Trzaskowski kann damit hoffen, bei den älteren Wählern und vor allem Wählerinnen besser als bisher abzuschneiden.
Einen weiteren populären Akzent stellt die Ankündigung dar, sich für Steuererleichterungen für Leute mit tiefen Einkommen einzusetzen. Damit kann er auch gegen Duda und die PiS direkt punkten. Diese hatte nämlich versprochene Steuerermässigungen nie umgesetzt.
Trzaskowski verspricht auch gegen Gesetzesvorlagen, die Steuererhöhungen beinhalten, sein Veto einzulegen. Zudem kündigte er an, Vorschläge zu blockieren, die das Rentenalter wieder hinaufsetzen würden. Das ist allerdings ein heikler Punkt, hatte er doch noch vor einigen Jahren als Abgeordneter für eine Erhöhung gestimmt, was ihm PiS-Politiker genüsslich unter die Nase reiben.
Trzaskowski betont seine Unabhängigkeit. Er habe schliesslich keinen Vorsitzenden im Nacken. Das ist eine Anspielung auf Jaroslaw Kaczynski, den umstrittenen eigentlichen Machthaber Polens. Dieser hatte sich übrigens in der zweiten Wahlrunde praktisch unsichtbar gemacht, um keine negativen Emotionen zu schüren.
Duda als Stabilitätsgarant
Präsident Duda und sein Team setzen vor allem auf die Stabilitätskarte. Er betont immer wieder, dass nur eine gute Zusammenarbeit zwischen Präsident, Regierung und Parlament das Land weiter voranbringen können, gerade auch in schwierigen Zeiten. Das habe sich auch in der jetzigen Krise gezeigt. Mit einem Präsidenten Trzaskowski drohe hingegen Blockade und sozialer Stillstand.
Wenn nötig sei er aber auch bereit, unabhängig zu entscheiden. Er hätte schliesslich auch schon sein Veto eingelegt. Allerdings hat ihm die Oppositionsseite umgehend vorgerechnet, dass das bisher gerade mal in fünf Fällen passiert sei.
Duda gibt sich auch als Garant dafür, dass weiterhin eine dreizehnte und vierzehnte Rente ausbezahlt würden wie dieses Jahr. Damit versucht er den bereits grossen Wähleranteil unter den älteren Leuten und auf dem Lande noch weiter auszubauen. In die gleiche Richtung zielt seine Ankündigung, sich gegen Steuererhöhungen zu wenden.
Besonderes Gewicht legt Duda wie schon in der ersten Wahlrunde auf eine scharfe Kritik an der LGBT-Bewegung. Er initiierte auch eine Verfassungsänderung, dass Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare offiziell verboten werden soll. Eine symbolische Geste an die konservative Wählerschaft, kennt Polen doch bisher nicht einmal eine gesetzliche Partnerschaft.
Duda betont auch immer wieder die Wichtigkeit der traditionellen Familie, die es zu verteidigen gelte. Elternrechte müssten besonders geschützt werden, etwa auch in Bezug auf die Sexualerziehung. Kinder dürften in der Schule nicht einer „Sexualisierung“ ausgesetzt werden.
Absurdes Fernduell
Im Wahlkampf gab es wenig anspruchsvolle inhaltliche Auseinandersetzungen, es dominierte eher ein wechselseitiges Hickhack. Ausdruck davon ist die Tatsache, dass nicht einmal eine direkte Debatte zwischen den beiden Kandidaten stattfand. Der Wille dazu ist wohl in beiden Lagern nicht allzu gross. Die Chance, als klarer Sieger vom Platz zu gehen, ist für keinen Kandidaten sehr gross. Eher kann man bei wichtigen Wählergruppen Punkte verlieren.
Zudem ist die Polarisierung in der Medienszene stark. Das unter PiS-Kontrolle stehende staatliche Fernsehen TVP betreibt ganz offen Propaganda für Duda und gegen Trzaskowski. Das private, eher PiS-kritische Fernsehen TVN hingegen bevorzugt eher Trzaskowski, und der etwas schwächer positionierte private Sender Polsat steht in der Mitte.
Auf einen Vorschlag von Polsat, eine gemeinsame Veranstaltung zu organisieren, gingen die andern Sender nicht ein. An einer Debatte im TVN teilzunehmen, lehnte Duda ab. Eine Debatte unter Einbezug von Wählern organisierte das TVP letzten Montag in einer PiS-Hochburg. Trzaskowski lehnte ab und lud seinerseits zu einer Debatte am gleichen Abend im TVN ein, wobei Journalisten von links bis rechts Fragen stellten. So kam es zu einem leicht absurden Fernduell. Ein leerer Stuhl markierte jeweils den fehlenden Gegenkandidaten. Polsat übertrug beide Veranstaltungen.
Kopf-an-Kopf-Rennen
Alle Umfragen, die in der zweiten Wahlrunde gemacht wurden, zeigen ein Kopf-an-Kopf-Rennen an. Mal hatte Duda die Nase leicht vorne, mal Trzaskowski. Ein Trend ist nicht erkennbar. In einer zunehmend aufgeheizten Stimmung und einer weiter gewachsenen Polarisierung wird am Sonntag die Entscheidung fallen. Es könnte wieder eine Rekordbeteiligung geben.
Beide Seiten rechnen mit einer sehr knappen Entscheidung und versuchen mit aller Kraft noch möglichst viele Wähler zu mobilisieren. Der Ausgang ist völlig offen. Duda könnte einen leichten Vorteil haben. Wie eine Umfrage zeigte, glauben seine Wähler eher an den Sieg als die Wähler von Trzaskowski.