Niemand bestreitet, dass der sogenannte Frauenstreik vom 14. Juni (eigentlich eine Frauendemo) in der Schweiz ein grosser Erfolg war. Nun fragt man sich, wann und wie die Forderungen der Frauen in praktische Taten umgesetzt werden. Bundesrätin Keller-Suter, die sich erlaubte, an schnellen Veränderungen zu zweifeln, ist dafür unter Beschuss geraten.
Die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti, offenbar eine Turbo-Feministin, kann mit Geduld und langsamer Gangart gar nichts anfangen. «Wir können nicht ewig warten, bis die alten Herren im Ständerat ihre Meinung ändern», erklärte sie laut «Tages-Anzeiger» in Bezug auf die Forderung nach einer neunmonatigen Elternzeit.
Kumulieren und panaschieren zugunsten von Frauen
Solche Subito-Vorstellungen sind nicht völlig irreal. Am 20. Oktober werden in der Schweiz der Nationalrat und der Ständerat vom Volk neu gewählt. Wenn Frauen wirklich alle die gleichen politischen und sozialen Postulate durchsetzen wollen, wie das einige ihrer Wortführerinnen suggerieren, dann gibt es dazu ein simples Rezept und das geht so:
Für den Nationalrat stimmen alle Wählerinnen auf allen Parteilisten konsequent nur für die weiblichen Kandidatinnen. Und zwar für jede Kandidatin zwei Mal – man nennt das kumulieren. Entsprechend werden männliche Namen auf der Liste gestrichen. Man kann auch weibliche Kandidatinnen von andern Parteien auf die ausgewählte Liste setzen (panaschieren). Auf jeden Fall sollen weibliche Stimmbürgerinnen darauf achten, dass auf der von ihnen abgegebenen Liste konsequent mehr Frauen als Männer stehen.
Höhere weibliche Stimmbeteiligung notwendig
Für den Ständerat sollen bei dieser Feminismus-Strategie nur weibliche Kandidatinnen gewählt werden. Stehen nur Männer auf dem Ständerats-Stimmzettel, bekommen diese keine weibliche Stimme. Gemäss NZZ sind bisher von den Parteien 36 Frauen als Kandidatinnen für den Ständerat nominiert worden, vielleicht werden in nächster Zeit noch mehr hinzukommen. Werden alle gewählt, ist auch in der 46-köpfigen kleinen Parlamentskammer die weibliche Mehrheit garantiert.
Bei den letzten eidgenössischen Parlamentswahlen 2014 haben 47,8 Prozent aller weiblichen Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Unter den Männern waren es 52,7 Prozent, das sind 4.9 Prozentpunkte mehr. Im Oktober müssten deshalb schon deutlich mehr Frauen motiviert werden, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen, um die Frauenmehrheit in Bern unter Dach und Fach zu bringen.
Parteiunterschiede existieren dennoch weiter
Aber selbst wenn das gelingt und die Frauen gemäss den Tipps in diesem Zwischenruf im Oktober die Mehrheit in beiden Parlamentskammern gewinnen – würden dann die feministischen Forderungen nach absoluter Lohngleichheit, mindestens vier Wochen Papi-Urlaub, paritätischer Besetzung aller Gremien und Organisationen usw. sofort verwirklicht?
Die Antwort lautet: sehr wahrscheinlich nein. Und zwar deshalb, weil in der politischen Praxis keineswegs alle Frauen am gleichen Strick ziehen, die gleichen Prioritäten setzen oder sich auf eine Opferrolle reduziert sehen. Es würde sich zeigen, dass Frauen in der Politik genauso wie die Männer selbstverständlich unterschiedliche politische Vorstellungen vertreten. Und dass auch in einem Parlament mit weiblicher Mehrheit kaum alle Vertreterinnen etwa einen gesetzlich geregelten neunmonatigen Elternurlaub für wirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvoll halten. Die Parteien und ihre unterschiedlichen Sichtweisen würden ja weiter existieren – gottseidank.
Eigentlich wäre für den 20. Oktober zu wünschen, dass eine Frauenmehrheit in Bern zur Realität wird. Und sei es nur deshalb, um feministische Subito-Wortführerinnen wie Min Li Marti zur Einsicht zu bringen, dass ihre Forderungen auch dann nicht automatisch Wirklichkeit werden, wenn die «alten Herren im Ständerat» (oder im Nationalrat) abgewählt und durch Frauen ersetzt werden. Die Politik ist komplexer und vielfältiger, als sich das manche Schwarzweissmaler ausdenken.