Was sie auch anpacken, die neuen Machthaber im Elysée und den Pariser Ministerien, geht in diesen Tagen schief, nicht nur, weil die Krise schlimm und die wirtschaftliche und soziale Situation extrem kompliziert sind, sondern leider auch, weil sich diese neue Regierungsmannschaft und der Präsident am laufenden Meter reichlich ungeschickt, wenn nicht sogar dumm anstellen.
Widersprüche und Dilettantismus
Durfte man bis letzten Herbst ihnen noch zugestehen, dass es, wie überall, eben eine gewisse Einarbeitungszeit braucht, bis der Motor einigermassen rund läuft, so ist diese Schonzeit nun definitiv vorbei. Doch die Misstöne, die widersprüchlichen Äusserungen aus den verschiedenen Ministerien, wiederholen sich nach wie vor, Woche für Woche.
Konnte man die Kritik der konservativen Opposition, wonach die neue Regierung sich amateurhaft verhalte, letzten Herbst noch unter der Rubrik «billige Polemik» abhaken, so kann man ihr inzwischen kaum mehr etwas entgegensetzen. Letzte Woche – und dies ist nur eines von einem halben Dutzend Beispielen – gab es zum Thema Russpartikel und Dieselkraftstoff aus drei verschiedenen Ministerien drei verschiedene Vorschläge zu hören, um den Russpartikelausstoss drastisch zu reduzieren; Frankreich ist bei Erfüllung der EU-Normen gewaltig im Verzug. Abwrackprämie für alte Diesel-PKW sagte der eine Minister, Konversionsprämie der andere, höhere Besteuerung von Dieselkraftstoff generell tönte es aus dem Umweltministerium. Was jetzt?
Man dachte, der Gipfel der Kakophonie sei vor einigen Wochen mit dem Gesetzesvorschlag zur Spitzenbesteuerung von 75 Prozent, der vom Verfassungsgericht abgeschmettert wurde, schon erreicht worden. Dieser Gesetzestext war derart dilettantisch ausgearbeitet worden, dass der darin enthaltene Fehler eigentlich jedem besseren Steuerberater hätte auffallen müssen. Dem Verfassungsgericht blieb gar nichts anderes übrig, als ihn wieder an den Absender zurückzuschicken.
Der Fall Montebourg
Inzwischen darf man sich auch fragen, wie lange man noch an der schizophrenen Konstellation festhalten will, dass der «Minister für den produktiven Wiederaufbau» – man lasse sich diese Bezeichnung bitte auf der Zunge zergehen – (im Grunde der Industrieminister), der wortgewaltige und von sich selbst sehr eingenommene Arnaud Montebourg, in Sachen Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise regelmässig völlig andere Töne von sich gibt, als sein übergeordneter Finanzminister, Pierre Moscovici.
Je länger dies dauert, desto mehr hat man den Eindruck, man habe dieses Ministerium für Montebourg nur geschaffen, um den Franzosen vorzugaukeln, der Staat sei doch noch in der Lage, Fabrikschliessungen zu verhindern. Ewig aber wird der Minister diese wenig glaubwürdige, durch die Tatsachen regelmässig widerlegte Rolle des Feuerwehrmanns nicht spielen können. Irgendwann wird das Rudern mit den Armen und das Windmachen mit Worten definitiv nur noch lächerlich wirken.
Rekordverdächtiges Chaos
«Man muss zugeben, dass das Chaos in der Regierung alle Rekorde bricht.» So wird in der satirischen Wochenzeitung «Canard Enchaîné» dieser Tage ein hoher Beamter aus dem Elysee zitiert. «Für viele von uns ist dieses Chaos mittlerweile unerträglich, doch Hollande scheint sich darin richtig wohl zu fühlen. Man hat sogar den Eindruck, dass er nur im Chaos leben kann, wie zur Zeit, als er Generalsekretär der sozialistischen Partei war.» Und ein anderer Berater fügt hinzu: «Er hat etwas von Mitterrand. Seine Vorliebe für Geheimniskrämerei, seine Unfähigkeit, im Team zu arbeiten und sein Hang, sich um alles selbst zu kümmern, auch wenn er nach aussen vorgibt, der Premierminister habe die Zügel in der Hand.» Mittlerweile hat man im Elysée für Hollande offensichtlich auch schon einen Spitzennamen gefunden : «Pépère» – Väterchen, nach «Tonton», dem Onkelchen Mitterrand.
Ich statt wir
Selbst was Präsident Hollandes Stil im politischen Alltagsgeschäft angeht, enttäuscht der neue Hausherr im Elysée mittlerweile gründlich. Natürlich ist der Ton etwas weniger rauh geworden und der Hyperaktivismus eines Sarkozy in den höchsten Sphären der Macht verschwunden, doch im Grunde bleibt die Frage: Was macht Hollande eigentlich anders als Sarkozy?
Auch aus Hollandes Mund hört man jetzt ständig das «Ich, Ich, Ich» – so als genüge sein präsidiales Wort, und die Dinge würden sich schon zum Besseren wenden. Das anfangs so oft beschworene Kollektiv ist aus seinem Vokabular so gut wie verschwunden.
Auch François Hollande kann es nicht lassen, das eine oder andere schlichte fait divers zum Anlass zu nehmen, um in die Provinz aufzubrechen und dort vor laufenden Kameras martialisch aufzutreten oder Mitgefühl zu äussern.
Posten an Freundlnnen
Ganz zu schweigen von den jüngsten Besetzungen einer ganzen Reihe wichtiger Posten. Was hat man seinem Vorgänger Sarkozy – und zurecht! – nicht alles an den Kopf geworfen, weil er alle nur denkbaren Posten schamlos mit seinen Freunden besetzt hatte. François Hollande verhält sich letztlich um keinen Deut anders. Rund ein Dutzend Freunde aus seinem Jahrgang an der Elitehochschule ENA sind in den letzten Monaten von ihm versorgt worden – die so genannte «Promotion Voltaire» geistert durch die höchsten Sphären der Macht.
Nicht nur dass Hollandes alter Freund und ENA-Gefährte Jean Pierre Jouyet jetzt zum Präsidenten der neu gegründeten öffentlichen Investitionsbank (BPI) ernannt wurde, nein, man hat schnell auch noch für eine andere Jahrgangskollegin aus der Elitehochschule den Posten einer Vizepräsidentin geschaffen. Es handelt sich bei der Dame um niemand anderen als um Ségolène Royal, Hollandes ehemalige Lebensgefährtin.
Diese Frau hat 2007 die Wahl gegen Sarkozy verloren, hat Ende 2011 bei der Urwahl für den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten nicht mal 7 Prozent der Stimmen bekommen und 2012 dann auch die Wahl für einen Abgeordnetensitz in der Nationalversammlung verloren, nachdem sie sich in aller Offenheit bereits als künftige Parlamentspräsidentin ins Spiel gebracht hatte. Warum muss man dieser Frau nun unbedingt etwas geben, zumal sie doch immerhin noch Präsidentin der westfranzösischen Region Poitou-Charente ist.
Warum muss man ihr, um Gottes Willen, jetzt einen Posten zuschachern, und warum muss Ségolène Royal durch die Fernseh- und Radiostudios tingeln und wöchentlich mindestens einmal verkünden, sie gedenke bei der nächsten Gelegenheit Ministerin zu werden? Unverschämter und ungeschickter geht es kaum. Und es scheint, als sei auch bei den Sozialisten niemand in der Lage zu verstehen, welche desaströsen Auswirkungen ein derartiges Verhalten bei den Wählern im Land hat. Dienen oder sich Bedienen – auch die Sozialisten scheinen das eine mit dem anderen zu verwechseln, sagt sich der Wähler; und sagt sich das wohl nicht ganz zu unrecht.
Verzweifelte Abgeordnete
Vor allem die junge Garde der sozialistischen Abgeordneten ist regelrecht verschreckt über das derzeitige Chaos an der Spitze des Staates. Sie fragen sich offen, wo der Pilot geblieben ist, und sie verzweifeln am Fehlen eines einigermassen klaren Kurses. Sie bekommen schliesslich in ihren Wahlkreisen den Unmut ihrer Wähler hautnah zu spüren. Und viele sagen sich – zitiert von «Le Monde» dieser Tage –, dass das Chaos in der Regierung und die gleichzeitig immer noch heillos zerstrittene konservative Opposition der UMP-Partei, für populistisch-rechtsextreme Formationen derzeit ein wahres Zuckerschlecken sein muss. Viele verbergen nicht ihre Angst davor, dass der angestaute Frust, die soziale Misere und die Hoffnungslosigkeit sich in Gewalt entladen könnte.
Ämterhäufung – war da was?
Selbst die im Grunde einfachsten Reformen und Veränderungen geraten bei den Sozialisten zu einem Psychodrama. Das Vorhaben, mit der unsäglichen Ämterhäufung in diesem Land endlich Schluss zu machen, war eine der politisch wichtigsten und einträglichsten Forderungen des Präsidentschaftskandidaten François Hollande, eine Forderung, die populär ist und von einer riesigen Mehrheit der Bevölkerung schon seit langem befürwortet wird. Doch plötzlich, da sich die Sozialisten an die praktische Umsetzung dieser Forderung machen, stellen sie sich so stümperhaft an, dass man schier verzweifeln möchte.
Zudem entpuppen sich mindestens ein Drittel ihrer Abgeordneten und Senatoren auch noch als genau so machtgierig wie ihre politischen Gegner. Wie die Barone in alten Zeiten wollen sie von ihren lokalen Pfründen nicht lassen und sind sich ihrerseits nicht zu blöde, mit dem abgenutzten alten Argument zu kommen: Nur ein lokal verankerter Abgeordneter, sprich einer, der auch irgendwo Bürgermeister, Land- oder Regionalratsabgeordneter ist, sei auch ein guter Abgeordneter in der Nationalversammlung und nur so für seinen Wahlkreis wirklich nutzbringend. Ob sich einer dieser Betonköpfe schon mal die Frage gestellt hat, wie das die Abgeordneten in praktisch allen anderen europäischen Ländern machen? Allesamt schlecht und unfähig, weil sie nicht zwei oder drei Mandate gleichzeitig bekleiden?
Diese Reform, die auch für die Erneuerung des politischen Personals in diesem Land unumgänglich wäre, den Sozialisten viel Sympathie einbringen und zudem keinen einzigen Euro kosten würde – sie werden sie doch tatsächlich auf die lange Bank schieben. Plötzlich ist ihnen aufgefallen, dass allein in der Nationalversammlung rund vierzig Abgeordnete sich für ihr lokales Mandat entscheiden würden, was vierzig Neuwahlen nötig machen würde und dass damit, angesichts des derzeitigen Stimmungstiefs, die sozialistische Mehrheit ohne die ungemütlichen Grünen und Kommunisten im Parlament beim Teufel wäre.
Also bewegt man sich jetzt doch tatsächlich in die Richtung, dass man ein Gesetz verabschiedet, welches die Ämterhäufung im Prinzip verbietet, aber erst nach Ende der Legislaturperiode, also 2017 zur Anwendung kommen soll.
Stéphane Hessel zum Abschied
Und selbst als es letzte Woche darum ging, einem die letzte Ehre zu erweisen, der ihnen nahe gewesen war, hatten der Elysée und die sozialistischen Granden wahrlich kein sensibles Händchen. Stéphane Hessel, die Verkörperung des Pazifismus und der Bescheidenheit, mit einem Staatsakt in der Hochburg der französischen Armee, im Invalidendom, mit martialischem Zeremoniell zu ehren, musste jedem, der den Verstorbenen auch nur ein wenig gekannt hatte, zumindest unpassend erscheinen. Hat niemand in der ganzen sozialistischen Riege an das Palais Chaillot am Trocadéro gedacht, wo 1948 die universelle Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet worden war, diese Erklärung, deren Entstehen Hessel als junger Beamter mitverfolgen durfte und die ihm bis ins hohe Alter so immens wichtig war?
Doch der 95-Jährige hatte nun mal keine Anweisungen für seinen Abschied hinterlassen. Er würde über diesen Staatsakt im Hof des Invalidendoms und über so viel offizielle Ehre wahrscheinlich höflich und leicht verschmitzt gelächelt haben. Als letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Montparnasse hat er einen Platz gefunden neben… Jean Seberg. Das zumindest passt zum alten Charmeur Stéphane Hessel. Salut!