Israelische Behörden haben damit begonnen, Daten von Militärpersonal zu sammeln, dem möglicherweise Klagen vor dem Internationalen Gerichtshof im Haag drohen, weil man ihnen bei Einsätzen in den besetzten Gebieten – eventuell auch in arabischen Nachbarstaaten – Verstösse gegen gegen internationales Recht vorwerfen könnte.
Kollektivstrafe
Auch die israelische Bevölkerung wird zu solch präventiver Hilfe aufgerufen. Etwa in Werbespots im Rundfunk, in denen es heisst, diese Soldaten hätten Israel verteidigt und man solle ihnen deswegen jede Unterstützung geben. Unabhängig davon ist nun aber eine Diskussion darüber ausgebrochen, dass Israel auch ganz offiziell seit langem gegen internationales Recht verstosse:
Das Oberste Gericht in Israel beschloss am Montag, mit einer Routine zu brechen, die vom israelischen Militär seit Jahrzehnten angewandt wird und bisher von keiner Regierung auch nur in Frage gestellt wurde: Mit zwei gegen eine Stimme untersagte das Gericht den Abriss eines Wohnhauses in einem Dorf im Westjordanland, in dem ein 49-jähriger Palästinenser mit seiner Familie gelebt hatte, bis er im Frühjahr festgenommen wurde. Vom Dach dieses Hauses hatte er mit einem Ziegelstein einen israelischen Soldaten getötet, der an einer (nicht näher beschriebenen) Militäroperation in dem Dorf beteiligt war.
Die Richter, die den Abriss des gesamten Hauses ablehnten, argumentierten unter anderem, dass die Frau und acht Kinder des Verhafteten weiterhin in dem Haus lebten und der Abriss desselben sie obdachlos machen würde, obwohl sie mit der Tat des Familienvaters nichts zu tun gehabt hätten. Die Oberrichter konnten sich lediglich darauf einigen, dass nur ein Zimmer des Hauses versiegelt werden solle.
Traurige Angelegenheit
Der Beschluss löste in politischen Kreisen Israels heftige Kritik aus. Wie nicht anders zu erwarten, kam sie in erster Linie von Ministerpräsident Netanjahu: Die Ablehnung „unseres Antrags zur Zerstörung des Hauses eines Terroristen“ sei eine traurige Angelegenheit. Er fordere deshalb eine neue Sitzung des Obersten Gerichts in grösserer Runde: „Als Ministerpräsident ist es meine Politik, die Häuser von Terroristen zu zerstören und ich beabsichtige, dies auch weiterhin zu tun.“
Netanjahus Koalitionspartner, der Führer der Mitte-Links-Partei Blau-Weiss, stand ihm (auf Twitter) in nichts nach: Zwar respektiere er den Beschluss des Obersten Gerichts, so bedauerlich dieser auch sei, denn „die Zerstörung des Hauses eines Terroristen ist ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen den Terror“. Gantz beauftragte Beamte seines Verteidigungsministeriums, sich um eine neue Sitzung des Obersten Gerichts zu bemühen. Der grösste Teil des Westjordanlandes steht weiterhin unter israelischer Militärverwaltung (oder: Besatzung).
In der israelischen Öffentlichkeit scheinen die ablehnenden Stimmen zum Gerichtsbeschluss zu überwiegen. Kein Wunder, denn was das Gericht hier zum ersten Mal verhindert hat, ist schon seit Gründung des Staates (1948) Teil des Alltags. Genauer eigentlich: schon seit den Tagen der britischen Mandatsverwaltung in Palästina.
Gegen die Genfer Konvention
Wie so manche andere Regel oder Vorschrift aus jenen Zeiten wurden diese von Israel nach dessen Gründung übernommen und sie wurden insbesondere nach der Eroberung des Westjordanlandes und des Gazastreifens Teil der israelischen Politik. Kritik, dass dies gegen internationales Recht verstosse, wurde von israelischen Politikern immer mit dem Sicherheitsargument und der Behauptung begegnet, solche Massnahmen schreckten vor weiteren Terroranschlägen ab. Beweise für diese Behauptung gibt es nicht. Eher muss das Gegenteil vermutet werden: dass nämlich derart behandelte Familien eines Tages vielleicht selbst Gewalttäter hervorbringen.
Zudem waren und sind die Zerstörungen von Häusern in den israelisch kontrollierten Gebieten nicht immer eine Abschreckungs-Massnahme gegen Terror und Gewalt, sondern auch ein simples Instrument der (israelischen Militär-)Verwaltung zur Planung der Zukunft dieser besetzten Gebiete mit ihren jüdischen Siedlungen. Palästinenser, deren Familien meist schon länger an einzelnen Orten des Westjordanlandes leben, als es den Staat Israel gibt, brauchen zum Bau neuer Häuser oder auch nur zur Erweiterung ihrer bisherigen Behausungen die Genehmigung der Militärverwaltung. Und meistens erhalten sie diese nicht. Wenn aber ohne Genehmigung gebaut wird, dann rollen die Bulldozer der Armee an und machen die Häuser platt
Auch dies ist natürlich ein Verstoss gegen die Genfer Konvention – die der Besatzungsmacht solche Behinderung und Eingriffe in das normale Leben der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten untersagt.
Vor diesem Hintergrund war der Beschluss des Obersten Gerichts zwar längst überfällig, aber ein gewagter Schritt zur Korrektur solchen Unrechts. Nachdem Ministerpräsident Netanjahu nun selbst als Angeklagter in drei Korruptionsprozessen mit der Justiz Israels – auch mit dem Obersten Gericht – im Clinch liegt und weite Kreise der israelischen Öffentlichkeit keine besondere Empfindlichkeit gegenüber den willkürlichen Zerstörungen von Häusern zeigt, steht zu befürchten, dass die Entscheidung des Obersten Gerichts in dieser Sache noch nicht die letzte war.