Der Konflikt zwischen der griechisch-zypriotischen und der türkisch-zypriotischen Bevölkerung ist mindestens seit der formellen Unabhängigkeit der Mittelmeerinsel im Jahre 1960 ungelöst. Unzählige Vermittlungsanläufe und Verträge sind gescheitert. Die EU ist nicht ganz unschuldig an diesem Dauerzustand.
Die Insel im östlichen Mittelmeer hat eine lange und komplexe Geschichte. Sie war Teil des römischen, byzantinischen und osmanischen Reiches und ist entsprechend mit deren Kulturen und Religionen verknüpft. 1878 übernahm Grossbritannien vom osmanischen Reich die Insel als Protektorat, als Gegenleistung für die britische Unterstützung im russisch-türkischen Krieg, der sich zum Krimkrieg (1853-1856) ausweitete.
Einigung 1960 über Zyperns Unabhängigkeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg forderte die griechisch-zypriotische Bevölkerungsmehrheit mit wachsender Vehemenz die Unabhängigkeit von London. Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Führer der Griechisch-Zyprioten war der orthodoxe Erzbischof Makarios, der zunächst den Anschluss an Griechenland (Enosis) anstrebte. Ab Mitte der 1950er Jahre behauptete die türkische Regierung, Zypern sei eine Fortsetzung des türkischen Festlandes. Es kam zu bürgerkriegsähnlichen Gewalttaten zwischen den beiden Volksgemeinschaften auf der Insel, die die britische Kolonialmacht erfolglos zu unterdrücken versuchte.
Schliesslich kam es zwischen Vertretern Zyperns, Griechenlands, der Türkei und Grossbritanniens in Zürich und London zu Verhandlungen, bei der aufgrund einer Reihe von Verträgen und Deklarationen die Gründung eines unabhängigen Inselstaates vereinbart wurde. Alle vier Vertragspartner sollten dafür garantieren, dass es auf Zypern keine Angliederungen an ein anderes Land oder zu internen Teilungen kommen sollte. Zypern wurde im August 1960 als unabhängiger Staat ausgerufen. Grossbritannien konnte auf der Insel weiterhin souveräne militärische Stützpunkte betreiben.
1967 Putsch griechischer Nationalisten und türkische Militärintervention
Nach dem Sturz des Königshauses und der Machtergreifung einer Militärjunta 1967 in Griechenland unterstützte diese aktiv die Bestrebungen griechisch-zypriotischer Extremisten für einen Anschluss an Athen. Bischof Makarios widersetzte sich indessen diesen Forderungen und hielt an der Unabhängigkeit fest. Seine griechisch-nationalistischen Gegner putschten 1974 gegen Makarios und strebten offen die Vereinigung mit Griechenland an – eine eindeutige Verletzung der Zürcher und Londoner Abkommen. Es kam zu mehreren Massakern gegen die zypern-türkische Bevölkerung.
Die türkische Regierung unter dem damals jungen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit reagierte auf diese Provokationen mit der Entsendung von Truppen, die insgesamt 37 Prozent des nördlichen Inselterritoriums dauerhaft besetzten. Die Insel wurde in zwei Teile aufgeteilt, getrennt durch die sogenannte grüne Linie, auf der bis heute Uno-Soldaten stationiert sind und die von türkischer Seite als Attila-Linie bezeichnet wird.
Zypern wird EU-Mitglied, die Türkisch-Zyprioten bleiben ausgeklammert
Trotz mehreren gescheiterten Anläufen zur Überwindung der Teilung beschloss die EU 2002 die Aufnahme der Republik Zypern bis zum Jahre 2004 als Ganzes in die Gemeinschaft – zusammen mit acht anderen ostmitteleuropäischen Staaten. Vor dem Aufnahmedatum wurde bei Verhandlungen unter der Protektion von Uno-Generalsekretär Kofi Annan ein Plan zur Schaffung einer lockeren Föderation zwischen den beiden Inselteilen erarbeitet. Doch bei der Volksabstimmung über diesen Einigungsplan wurde dieser im April 2004 von griechisch-zypriotischer Seite mit klarer Mehrheit abgelehnt, während ihn die türkisch-zypriotischen Bewohner ebenso klar annahmen.
Trotzdem wurde Zypern als Ganzes am 1. Mai 2004 in aller Form zum EU-Mitglied erklärt. Die EU geht dabei von dem völkerrechtlich anerkannten ungeteilten Inselstaat aus, während die de facto bestehende türkische Republik Nordzypern nur von der Türkei als eigener Staat akzeptiert wird. Die EU betrachtet Nordzypern formell als ein Sondergebiet der europäischen Gemeinschaft.
Eine voreilige EU-Entscheidung
Es gibt aber durchaus einleuchtende Gründe, die volle Integration des griechisch-zypriotischen Inselteils in die EU als politische Fehlentscheidung zu betrachten. Die griechisch-zypriotische Bevölkerung geniesst damit alle Vorteile einer EU-Mitgliedschaft, inklusive den Zugang zu üppigen Subventionen und den Anspruch auf EU-Pässe (mit deren Vergabe, wie man weiss, zeitweise florierende Geschäfte mit dubiosen Bewerbern aus Russland und anderen korruptionsanfälligen Ländern betrieben wurden).
Vor allem aber trägt diese exklusive EU-Mitgliedschaft kaum zur Bereitschaft der Griechisch-Zyprioten bei, sich mit der türkischen Minderheit auf einen grosszügigen Kompromiss zur Überwindung der Teilung im Rahmen einer losen Föderation zu einigen, wie ihn der Annan-Plan skizziert hatte. Die Türkisch-Zyprioten hingegen haben den Annan Plan seinerzeit akzeptiert – und sind nun als Nicht-EU-Bürger gegenüber den griechisch-zypriotischen Bewohnern in mancher Hinsicht benachteiligt.
Klüger wäre es gewesen, die offizielle Aufnahme Zyperns in die Brüsseler Gemeinschaft aufzuschieben, bis die beiden Volksgruppen sich endlich verbindlich auf die Schaffung eines gemeinsamen föderalistischen Staatswesens geeinigt hätten. Zwar ist es 2021 in Genf zu neuen Gesprächen über eine Lösung des Teilungskonflikts gekommen, doch es kam zu keiner erkennbaren Annäherung. Das Ergebnis dieser vorläufig letzten Verhandlungsrunde sähe möglicherweise anders aus, wenn die Griechisch-Zyprioten nicht schon seit 19 Jahren über alle Vorteile einer EU-Mitgliedschaft geniessen würden, sondern diese erst nach einer Verständigung mit dem nördlichen Inselteil erlangen würden.
Erträglicher Ist-Zustand?
Der zypriotische Teilungskonflikt scheint andererseits im öffentlichen Bewusstsein Europas aber zu einem weitgehend vergessenen Thema geworden zu sein, weil die Bevölkerung auf beiden Inselteilen sich in der Alltagspraxis offenbar mit dem Status quo ziemlich erträglich arrangiert haben. Von gewaltsamen Zusammenstössen auf der Insel und drohenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Nato-Mitgliedern Griechenland und Türkei ist, anders als in früheren Jahrzehnten, schon länger nichts mehr zu hören. Zypern ist heute jedenfalls eine beliebte Feriendestination, und das gilt für beide Inselteile.