Nach dem Pulverrauch ist es Zeit, in dem seit Beginn der Koreakrieges 1950 nicht enden wollenden Drama einmal mehr eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Die Sprecherin des chinesischen Aussenministerium Jiang Yu wollte von Entwarnung nichts wissen: „Die Situation bleibt kompliziert und delikat“. Sie fügte das von China in der Nordkorea-Frage seit Jahr und Tage wiederkehrende Mantra hinzu: „Wir rufen alle Seiten dazu auf, Zurückhaltung zu üben und eine verantwortungsvolle Haltung einzunehmen“.
Vor und während den Manövern überschlugen sich die diplomatischen Bemühungen. Nordkoreaner waren in Peking, Chinesen in Pjöngjang, Amerikaner in Tokio und Seoul, Chinesen in Moskau, Russen in Peking und Bill Richardson – Gouverneur von Neu Mexiko und ehemaliger US-Botschafter bei der UNO mit exzellenten Verbindungen seit den 90er Jahren zu Nordkorea – zu einem „Privatbesuch“ in Pjöngjang.
Nicht gerade eine Sternstunde des CNN-Journalismus
Die Nordkoreaner, immer bedacht auf möglichst grossen Propaganda-Erfolg, liessen gar – ansonsten Auslandjournalisten nicht gerade zugetan – ein CNN-Team mitreisen, wo dann ein Senior Correspondent mit ernster Miene die Lage erklärte, Interviews führte, ohne kritische Distanz als nicht deklarierte „eingebettete Journalisten“. Nicht gerade eine Sternstunde des westlichen Journalismus.
Bill Richardson gab sich nach seinem Nordkoreabesuch verhalten optimistisch: „Ich habe eine pragmatische, eine realistischere Haltung festgestellt“. In der Tat, Nordkorea reagierte auf das südkoreanische Manöver nicht so, wie angekündigt mit „Feuer und Schwert“. Nordkorea kritisierte zwar die „Provokation“ des Südens, doch liess es durch ihre Medien die Weltöffentlichkeit wissen, dass man „keinerlei Bedürfnis hatte, zurückzuschlagen“.
Während die westlichen Medien vor und während den Manövern hyperventilierten und „Breaking News“ im Minutentakt rund um die Welt gingen, gaben sich Südkoreaner und Südkoreanerinnen relativ gelassen. Das Säbelrasseln und die harsche, mit rüden Worten gespickte Propaganda aus dem Norden ist für sie normal. In der Millionenstadt Seoul, in Reichweite nordkoreanischer Artillerie und Raketen, nahm der ganz normale Alltag seinen Lauf.
Auf Zeit gespielt
Allerdings ist die Haltung gegenüber dem Norden seit einiger Zeit negativ. Vor zehn Jahren noch während der sogenannten „Sonnenscheinpolitik“ des früheren Präsidenten war das anders. Seit Beginn der Pekinger 6er-Gespräche über das nordkoreanische Atomprogramm im Jahre 2003 jedoch hat Pjöngjang immer nur versprochen und wenig gehalten, auf Zeit gespielt, um internationale Nahrungsmittelhilfe zu bekommen und nach zwei Atombomben-Versuchsexplosionen 2006 und 2009 schliesslich trotz aller Versprechungen einer denuklearisierten koreanischen Halbinsel die Gespräche für „beendet“ erklärt.
Nach der Versenkung eines südkoreanischen Schiffes durch Nordkorea im letzten Frühjahr war für die meisten Menschen im Süden die Sonnenscheinpolitik definitv zu Ende. Präsident Lee Myung-bak hatte bereits zuvor eine härtere Politik gegenüber dem Norden eingeschlagen. Jetzt honorieren nach neuesten Umfragen vom Wochenende auch Südkoreas Bürger und Bürgerinnen die härtere Gangart. Natürlich bleiben Südkoreas Armee, Luftwaffe und Marine in hoher Alarmbereitschaft. Nordkorea ist immmer für eine Überraschung gut.
"Taten sind wichtiger als Worte"
Emissär Bill Richardson brachte zum Wochenanfang noch weitere frohe Botschaften mit nach Peking. Pjöngjang habe eingewilligt, die Telefon-Hotline zwischen nord- und südkoreanischen Militärs zur Verhütung von potentiellen Krisen wieder zu installieren. Richardson attestierte den Nordkoreanern zwar „staatsmännisches Verhalten“, nachdem sie auf einen Gegenschlag verzichtet haben. Er sagte aber auch, das jetzt „Taten wichtiger sind als Worte“. Im Klartext: Nordkorea soll an seinen Versprechen gemessen werden. Das gilt vor allem für das wichtigste Zugeständnis, das Richardson nach seinen Gesprächen in Pjöngjang mitgebracht hat, nämlich das Versprechen, wieder Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) ins Land zu lassen. Die UN-Überwacher – bereits schon zweimal 2002 und 2009 aus dem Land gewiesen – sollen laut Richardson sicherstellen, dass nicht Uran zu waffenfähigem Material angereichert werden könne. Experten zweifeln.
Nicht wenige reden von einer wertlosen Geste. Das Plutonium-Programm im Yongbyon Nuklear-Komplex hat bereits Material für sechs bis acht Atombomben produziert. Ob die Inspektoren dann auch das Uranium-Programm überprüfen können, steht auf einem ganz anderen Blatt, abgesehen davon, dass solche Anlagen nach Meinung von mit der Materie vertrauten Wissenschaftern sehr leicht versteckt und verheimlich werden können.
Niemand will einen Krieg
Im Augenblick kann nur wenig mit einem gewissen Grad an Sicherheit festgestellt werden:
Nordkorea versucht wie seit langem mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und vor allem mit den Amerikanern ins Gespräch zu kommen.
Niemand will einen Krieg, weder Nord- noch Südkorea, weder China noch die USA oder Japan.
Nordkorea handelt nicht irrational, sondern sehr berechnend. Das Atomprogramm ist Verhandlungstrumpf und Versicherung zugleich. Nordkorea fühlt sich tatsächlich bedroht und hat aus dem Schicksal des irakischen Diktators Saddam Hussein seine Lehren gezogen.
Die Hauptprotagonisten misstrauen sich zutiefst. Pjöngjang will vor einer Einigung im Atomstreit einen Friedensvertrag und Sicherheits-Garantien. Washington, zusammen mit seinen Verbündeten Seoul und Tokio, will hingegen erst dann an den Verhandlungstisch der Pekinger 6er-Gespräche zurückkehren, wenn Nordkorea sein Atomprogramm überprüfbar aufgibt. Erst dann gibt es einen Friedensvertrag und Sicherheitsgarantien. Die USA wollen verhindern, dass Nordkorea schliesslich als Atomwaffenstaat anerkannt wird.
Peking schliesslich äussert keinerlei Kritik an die Adresse Pjöngjangs, ist aber frustriert über Nordkoreas Verhalten und versucht mit seinem – entgegen der Meinung des Westens – beschränkten Einfluss eine Verhandlungslösung zu ermöglichen.
China hat das gleiche Endziel wie die USA, eine denuklearisierte koreanische Halbinsel nämlich.
Alles spricht also für eine Wiederaufnahme der Pekinger 6er-Gespräche (Nord- und Südkorea, USA und China, Japan und Russland). Allerdings: Nordkorea ist immer für eine Überraschung gut. Und dies vor allem: Kriege sind, wie die Geschichte der letzten hundert Jahre zeigt, schon aus nichtigerem Anlass vom Zaun gebrochen worden.