Nein, es ist nicht der grosse Anteil von Frauen und Nicht-Weissen, obschon das politisch sehr wichtig ist. Aber das lässt sich numerisch analysieren. Was mich an den Bildern der nun schon bekannten Funktionsträgerinnen und -trägern frappiert hat, muss etwas anderes sein. Ich habe die Bilder gerne angesehen, hatte Freude an diesen Gesichtern, und das hat mich auf die Idee gebracht, sie mit jenen der Amtsträger (hier belasse ich es bewusst bei der männlichen Form) der letzten vier Jahre zu vergleichen.
Bilder des nun abtretenden US-Präsidenten habe ich in den Zeitungen immer möglichst rasch durch Umblättern aus meinem Blickfeld vertrieben. Aber nicht nur das: Kam der O-Ton des Mannes im Radio, fuhr meine Hand ganz intuitiv zur Lautunterdrückung auf dem Bedienungsgerät. Irgendwie empfand ich diese Töne als Beleidigung, immer auch als Beleidigung von mir als Frau, aber darüber hinaus vor allem als Beleidigung meiner politischen Identität, die ich einerseits als europäisch und andererseits als republikanisch bezeichnen möchte.
Zurück aber zu den Bildern und weg von den Tönen. Soweit mir die neuen Leute von Biden aus früheren Aktivitäten bekannt sind und ich ihre politischen Überzeugungen deshalb einschätzen kann, gestehe ich durchaus ein, dass ich in die Bilder möglicherweise auch etwas hineininterpretiere, das nicht aus den Bildern selber hervorgeht. Dennoch ist da etwas, das die neuen Bilder von jenen der letzten vier Jahre unterscheidet. Ist es so etwas wie ein „offener Blick“? Nein, das wäre zu einfach oder eine Überinterpretation.
Wahrscheinlich ist es etwas, das früher da war und jetzt nicht mehr: Zorn, Wut, Empörung oder Widerstand strahlen diese Fotos nicht aus. Und bereits muss ich eine Einschränkung machen: Natürlich ist Empörung eine wichtige politische Kategorie. Aber Empörung muss von unten kommen, um politische Diskussionen auszulösen. Wer ein politisches Amt innehat, muss solche Strömungen aufnehmen und sie in ihrer oder seiner politischen Meinungsbildung berücksichtigen. Wenn politische Amtsträger die politische Polarisierung zum Programm erheben, zerstören sie die Demokratie und mit ihr auch die Freiheit.
Nochmals von einer versuchten politischen Analyse zurück zu dem, was ich eben beim Betrachten der Bilder erlebt habe. Ja, es ist etwas nicht mehr da in diesen Bildern. Und vielleicht ist es genau das, was mich an den Bildern vom US-Personal der letzten vier Jahre gestört, wenn nicht gar beängstigt hat. Die neuen Bilder rufen bei mir eine Art von Vertrauen in das hervor, was ich von politischen Amtsträgern erwarte.
Die transatlantischen Unterschiede in vielen Bereichen werden bleiben. Ich will sie hier nicht aufzählen. Aber jenseits von allen Inhalten ist bei mir die Frage aufgetaucht, ob Politik auch eine ästhetische Dimension hat. Eine Dimension, die sich uns über Bilder erschliesst?