„Norma“, das wissen Opernfans, hat kein Glück. Als Priesterin nicht, In der Liebe nicht und folglich auch in der Oper nicht, die Vincenzo Bellini komponiert hat. Statt Happy End heisst es hier: Tod auf dem Scheiterhaufen.
Glück haben aber Opernfans, wenn sie es geschafft haben, eine Karte für „Norma“ im Zürcher Opernhaus zu ergattern, oder wenn sie in Salzburg Cecilia Bartoli als „Norma“ bereits erleben konnten. Und Glück hatte vor allem Cecilia Bartoli selbst, dass sie auch in diesem Fall wieder das richtige musikalische Gespür hatte.
Temperamentvoll und mit grosser Begeisterung erzählt sie von diesem Projekt. “Als ich vor ein paar Jahren mit dem Programm über die Sängerin Maria Malibran beschäftigt war, habe ich auch das Projekt ‚Norma‘ gestartet. Maria Malibran war die zweite Sängerin nach Giuditta Pasta, die ‚Norma‘ gesungen hat. Ich war immer schon fasziniert von ‚Norma‘, habe mich dann aber auch noch intensiver mit ihr befasst.“
Norma als Love Story
Cecilia Bartoli ist in Rom ins Archiv gestiegen und hat alte Partituren der „Norma“ studiert. Und sie hat gestaunt. „Die Originalpartitur ist ganz anders als jene, die wir heute haben. Ich fand das sehr interessant und wollte nun eine neue Sicht auf das Musikalische präsentieren, aber auch auf das Bühnengeschehen. Ich wollte ‚Norma‘ als Love Story haben.“
Nun kamen die Musikwissenschaftler Maurizio Biondi und Riccardo Minasi hinzu, die eine neue, kritische Ausgabe von Bellinis Partitur erarbeiteten. Auch Giovanni Antonini, ein Spezialist der historisch orientierten Aufführungspraxis, war frühzeitig als Dirigent am Projekt „Norma“ beteiligt. Und diese „Norma“ veränderte sich immer mehr gegenüber der traditionellen, gängigen Fassung. Das heisst in diesem Fall: sie wurde immer mehr zur Original-„Norma“, wie Bellini sie sich vor fast 200 Jahren vorgestellt hatte und sogar die Stimmfarben wurden anders. Auch ein Vorbild hat Cecilia Bartoli für „ihre“ Norma, nämlich Anna Magnani, die grosse italienische Filmschauspielerin. „Ihre Leidenschaft, aber auch ihre Fragilität, ihre Verletzlichkeit gehören dazu, sie liebt den Feind und wünscht sich Frieden. Frieden für sich und ihre Liebe.“ Und sie scheitert. Angesiedelt ist die Geschichte der „Norma“ allerdings nicht wie bei Bellini im Mythischen, sondern ganz real in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Der Freiheitskampf aus der Oper wird zu einer Geschichte, die unter Partisanen der Résistance spielt.
Das Wunder „Norma“
An den Salzburger Festspielen ist diese „Norma“-Version schon 2013 und dieses Jahr bei der Wiederaufnahme der ganz grosse Erfolg gewesen und zwar bei Publikum wie Kritik gleichermassen. Von einem „Wunder“ war gar die Rede. „Wesentlichen Anteil an diesem Erfolg haben Giovanni Antonini und auch das Orchester ‚La Scintilla‘, das schon viele meiner Projekte begleitet hat“, sagt Cecilia Bartoli. Die Aufführung wurde mit dem „International Opera Award“ für die «Beste Neuproduktion des Jahres 2013» ausgezeichnet und die CD erhielt den Echo-Klassik-Preis als „Operneinspielung des Jahres“. Mehr kann man sich kaum wünschen…
Doch, sagt sich Cecilia Bartoli. Eine Tournee mit der „Norma“! Vielleicht konzertant..? Über solche Vorschläge dachte Cecilia Bartoli nicht einmal nach. Oper ist Oper, und da wird auf der Bühne gespielt. Und wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann wird es auch gemacht. So nahm sie vor ein paar Jahren schon ein kleines Museum in einem grossen Lastwagen mit auf ihre Tournee. Der Wagen stand vor dem jeweiligen Konzerthaus und bot eine Schau über die Sängerin Maria Malibran, deren Programm Cecilia Bartoli sang. Diesmal schickt sie die ganze Opernaufführung auf Reisen. Das Bühnenbild musste ein wenig verändert und reisetauglich gemacht werden, die Inszenierung wurde ebenfalls etwas angepasst, ist aber immer noch die hochgelobte Salzburger „Norma“. Zürich ist die erste Tournee-Station. „Hier bin ich ja zuhause*“, strahlt Cecilia Bartoli. „25 Jahre ist es her, seit ich hier angefangen habe“, und sie wehrt den Gedanken gleich mit einem hellen Lachen ab, 25 Jahre…! So lang schon…! „Ja, das Zürcher Opernhaus ist mein Stammhaus, meine Heimat. Ich wollte die Tournee unbedingt hier beginnen.“
Dass die vier Vorstellungen in Zürich im Handumdrehen ausverkauft waren, erstaunt wenig. Denn Cecilia Bartoli und Zürich, auch das ist eine Love Story, die auf Gegenseitigkeit beruht. Man kann sich jetzt schon vorstellen, wie das Publikum gleich zu Beginn der Oper den Atem anhalten wird, wenn Cecilia Bartoli die bekannteste Arie dieser Oper singt, den Hit den Abends: „Casta Diva…“, so wie legendäre Sängerinnen vor ihr, Maria Callas, Joan Sutherland oder Renata Scotto, aber bei Cecilia Bartoli klingt es ganz anders. Ist es nicht schwierig, sozusagen ohne Anlaufzeit gleich so eine berühmte Arie zu singen? „Ja natürlich, das ist nicht ganz leicht. Aber ich trete da ziemlich sec auf, die wirklich emotionalen Arien kommen später“.
Von „Norma“ zu Maria
Da Cecilia Bartoli seit einiger Zeit auch Intendantin der Pfingstausgabe der Salzburger Festspiele ist, denkt sie natürlich längst über die „Norma“ hinaus. Nächstes Jahr wird sie mit etwas ganz anderem auf die Bühne treten. Es gibt dann weder Barock noch Belcanto. Die Pfingst-Festspiele laufen 2016 unter dem Motto „Romeo und Julia“ und im Mittelpunkt steht Leonard Bernsteins „West Side Story“ mit Cecilia Bartoli als Maria. „Das ist so wunderbare Musik und ich freue mich riesig darauf!“ Man zweifelt keinen Moment an ihren Worten, sie überschlägt sich fast vor Begeisterung, denn sie hat sich ein Team an Bord geholt, das gut mithalten kann, wenn es um Temperament und Begeisterung geht: „Gustavo Dudamel wird dirigieren und es spielt das Simon Bolivar Symphony Orchestra! Da ist uns doch ein veritabler Coup gelungen. Niemand kann wohl die ‚sharks‘ so temporeich und rhythmisch antreiben wie siebzig Latinos im Orchestergraben. Und auf die Rolle der Maria freue ich mich wie ein Kind und kann es kaum erwarten!“. Man glaubt es ihr sofort. Ein Glück, dass es die Bartoli gibt…..