Oder etwas zotiger: Berlusconi erscheint zu spät für das Gruppenfoto am nächsten G8-Gipfel. Dann plötzlich eilt er herbei, Schweiss auf der Stirn, offenes Hemd: „Ich bin im Lift stecken geblieben. Mit Laura Himmelreich, Journalistin beim „Stern“.
Noch ist es unwahrscheinlich, ob Silvio Berlusconi wieder an einem G-8-Gipfel teilnehmen kann. Doch in den europäischen Hauptstädten blickt man dieser Tage mit Gänsehaut nach Rom. Die Möglichkeit, dass Berlusconi die Wahlen doch noch gewinnt, ist nicht mehr auszuschliessen.
Berlusconis Aufholjagd, die vor wenigen Wochen noch kaum jemand für möglich hielt, ist beeindruckend. Die gescheitesten Politologen und die gescheitesten Kommentatoren der seriösesten Zeitungen hielten einen solch Phönix-haften Wiederaufstieg eines politisch Totgesagten für unmöglich.
Berlusconi „fährt Italien an die Wand“
Bemerkenswert ist nicht nur sein Wiederaufstieg. Bemerkenswert ist vor allem das kurze Gedächtnis vieler Italiener. Haben Sie denn vergessen, dass ihr Idol das Land fast in die Katastrophe führte? Vergessen, dass die ausländischen Investoren abmarschiert sind? Vergessen, dass er das stolze Italien der Lächerlichkeit preisgab?
Wenn Berlusconi gewählt wird, ist es nicht das Verdienst von Berlusconi, sondern die Schuld eines markanten Teils der italienischen Wähler.
Für einmal ist man wohl in allen europäischen Hauptstädten mit Pierluigi Bersani, dem linken Parteiführer, einverstanden. Wenn Berlusconi gewählt wird, sagte er, „fährt Italien an die Wand“.
Reisst er aufholen wie 2006
Aber wird Berlusconi denn gewählt? Das steht noch längst nicht fest. In zwei Wochen, am 24. und 25. Februar, wird gewählt. Zwar sagen die jüngsten Meinungsumfragen, dass das Berlusconi-Lager nur noch rund fünf Prozent hinter dem Mitte-links-Bündnis liegt.
Doch diese Umfragen müssen mit Vorsicht aufgenommen werden. Sie variieren stark. Das Institut Ispo gibt der sozialdemokratischen Linken nach wie vor einen Vorsprung von 7,5 Prozent. Beim Euromedia-Institut der Berlusconi-hörigen Alessandra Ghisleri liegt Berlusconi nur noch 2,9 Prozent zurück.
Nimmt man den Durchschnittswert der vier grossen Meinungsforschungsinstitute (Demos, Quorum, EMG, SWG), so entfielen auf die Linke 34,5 Prozent der Stimmen, auf das Berlusconi-Lager 29,5 Prozent, auf das Zentrum von Ministerpräsident Monti 13,8 Prozent und auf die Bewegung „5 stelle“ des Komikers Beppe Grillo 16,7 Prozent.
Mit Schrecken erinnert sich Europa daran, dass Berlusconi bei den Wahlen im Jahr 2006 hoffnungslos zurückgelegen war – und dann in den letzten zwei Wochen fulminant aufholen konnte und beinahe gewonnen hätte. Doch 2006 ist nicht 2013. Berlusconi hat sich im Laufe der Jahre doch selbst einige Schrammen zugefügt.
25 Prozent haben sich noch nicht entschieden
Ab jetzt, also in den letzten zwei Wochen vor den Wahlen, dürfen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. Aber natürlich werden Umfragen weiterhin durchgeführt. Ihre Ergebnisse werden dann auch immer wieder durchsickern.
Die grosse Unbekannte ist: Sagen die Befragten den Meinungsforschern wirklich die Wahrheit? Viele schämen sich, offen für den Bunga-Bunga-Berlusconi Partei zu ergreifen. An den Urnen stimmen sie dann doch für ihn. In Frankreich kennt man das Phänomen. Man schämt sich, den Meinungsforschern zu sagen, man wähle den rechtsextremen Front National – und wählt ihn dann doch.
25 Prozent der Italiener wissen noch nicht, wen sie wählen – und ob sie überhaupt zu den Urnen gehen. Ein grosser Teil von ihnen ist generell von der Politik angewidert und wird wohl zu Hause bleiben.
Berlusconi hat noch nie ein Versprechen gehalten
Berlusconi verdankt seinen jüngsten Aufschwung vor allem seinem Versprechen, die Immobiliensteuer für Eigenheime nicht zu streichen. Doch nicht nur. Er will den Bürgern die im letzten Jahr schon bezahlten Steuern innerhalb eines Monats zurückzahlen.
Berlusconi hatte diese Steuer früher abgeschafft. Vor allem deshalb war er gewählt worden. Monti hat die Steuer, die jetzt IMU heisst, im letzten Jahr wieder eingeführt, um den riesigen Schuldenberg, den Berlusconi angehäuft hat, zu reduzieren.
Zwar hat Berlusconi noch nie ein Versprechen gehalten, doch vor allem bei ärmeren Italienern kommt er mit dem versprochenen Geldsegen an. Wird ihm dieser super-populistische Vorschlag doch noch den Sieg bringen?
Die bürgerliche Mailänder Zeitung „Corriere della sera“ hat diese Woche eine Umfrage veröffentlicht, die zeigt, dass die meisten Italiener doch realistischer sind, als viele glauben.
Die Mehrheit der Befragten betrachtet den Vorschlag, die Immobiliensteuer abzuschaffen, als politisches Propaganda-Manöver. 72 Prozent bezeichnen den Vorschlag als „nicht glaubhaft“, 24 Prozent als „glaubhaft“. Wichtig ist: Von den noch unentschiedenen Wählerinnen und Wählern, die den Ausschlag geben werden, glauben 74 Prozent, der Vorschlag sei „nicht glaubhaft“.
“Der Berlusconismus ist tot“
Auch wenn das Berlusconi-Lager nicht die meisten Stimmen gewinnt, der Cavaliere wird das Land auch nach den Wahlen durchrütteln. Zumindest noch eine Zeit lang. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Linke – zusammen mit dem Monti-Lager – im Abgeordnetenhaus, der grossen Kammer, die Mehrheit erhält. Der Senat jedoch könnte von den Berlusconi-Leuten dominiert werden. Folge davon wäre wohl eine politische Lähmung.
Und dennoch: „Der Berlusconismus ist tot“, schreibt die Römer Zeitung "La Repubblica" am Samstag, „doch Berlusconi ist noch immer da. Ein Schatten seiner selbst“.
Auch wenn Berlusconis Chancen doch nicht ganz so intakt sind: Italienische Journalisten in Rom malen genüsslich das Phantom an die Wand und spotten weiter. Auch dem deutschen FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle bleibt nichts erspart.
Der jüngste Witz geht so: Berlusconi, der künftige Ministerpräsident, wird Rainer Brüderle politisches Asyl gewähren. Bei einer Bunga-bunga-Party wird Brüderle die Urkunde mit der Staatsbürgerschaft überreicht. Von wem? Von Ruby.