Ben Smith, Amerikas einflussreichster Medien-Kolumnist, wechselt die Seiten und wird Gründer eines Start-ups. Die Meldung, dass er nach nur zwei Jahren die «New York Times» wieder verlassen werde, kam überraschend. Denn höher als auf den prestigeträchtigen Posten als Medien-Kolumnist der «Times» kann einer seines Fachs kaum steigen.
«Was Ben so besonders macht, ist der Umstand, dass er ein Kommentator ist, der auch gründlich berichtet», sagt Dean Baquet, Chefredaktor des Weltblatts. «Im Medien-Journalismus ist das heute eine ziemlich seltene Kombination.»
Unter anderem war Smith als Kolumnist jüngst mit dafür verantwortlich, dass sich der Springer-Verlag dazu veranlasst sah, «Bild»-Chefredaktor Julian Reichelt zu entlassen. Er scheute auch nicht davor zurück, Vorgänge im eigenen Haus kritisch zu beleuchten, womit er sich in New York verlagsintern sicher nicht nur Freunde machte.
Ben Smith verlässt die «New York Times», um zusammen mit Namensvetter Justin Smith, dem früheren Chef von Bloomberg Media, ein neues Unternehmen zu gründen, dessen Namen und Struktur noch keiner kennt. Bekannt ist nur, dass die beiden «eine grosse globale Redaktion» auf die Beine stellen wollen, Ben als Chefredaktor, Justin als Geschäftsführer. Die Rede ist von Hunderten von Mitarbeitenden.
Ein unterschätztes Publikum
«Es gibt weltweit rund 200 Millionen Leute mit einem College-Abschluss, die Englisch sprechen, an die als Publikum niemand denkt und die smart und neugierig sowie untereinander und mit grossen Geschichten vernetzt sind», hat Ben Smith der «Washington Post» verraten. «Wir wollen uns an diese Leserschaft wenden. Dafür müssen wir über die wichtigsten Themen weltweit berichten und Breaking News vermitteln.»
Er sehe, sagt Ben Smith, Geschäftspotenzial darin, Nachrichten auf eine neue Art zu strukturieren und zu publizieren: «Die sozialen Medien haben das Sammeln von Nachrichten und die Themenwahl in einer Art und Weise beeinflusst, die meines Erachtens die Leserschaft nicht mehr mit Respekt behandelt und deren Intelligenz unterschätzt.» Er weist jedoch die flapsige Einschätzung zurück, wonach das neue Medium eine Publikation sein werde, wo «Twitter nicht das reale Leben» ist. Er habe, sagt er, gar nichts gegen Twitter, das er selbst fleissig nutzt.
Das geplante Unternehmen will Ben Smith zufolge auch erneut das Profil einzelner Journalistinnen und Journalisten stärken: «Das Talente-Modell im Journalismus funktioniert nicht mehr, wie es sollte. Das Publikum fühlt sich mit der Person verbunden, die einen Artikel schreibt oder ein Video dreht. Für grosse Medien ist das heute eine echte Herausforderung.»
Ein erfolgreicher Chefredaktor
An Erfahrung mangelt es Ben Smith nicht. Er wurde 2012 Chefredaktor des Online-Portals «BuzzFeedNews», dessen Gründer Jonah Peretti ihm bescheinigt, das digitale Start-up «innert weniger als eines Jahrzehnts in eine hochkarätige, globale Nachrichtenorganisation» verwandelt zu haben. «BuzzFeedNews» war zweimal Finalist für den Pulitzerpreis in Sachen Auslandberichterstattung: 2017 für Artikel, wie Grosskonzerne Umweltschutzgesetze missachten und 2018 für Beiträge über Agenten mit Drähten zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, die in Grossbritannien und den USA an gezielten Tötungen beteiligt waren. Das Medium hatte 2017 aber auch jenes umstrittene Dossier publiziert, das der britische Ex-Agent Christopher Steele zusammenstellte und das nach wie vor unbewiesene, anzügliche Informationen über Präsident Donald Trump enthielt.
Bens Partner Justin Smith schloss sich 2013 Bloomberg an und war daran beteiligt, den Tätigkeitsbereich des Unternehmens auf Live Events und Video auszudehnen. «Justin half mit, Bloomberg Media zu einem modernen, digitalen und führenden Unternehmen der Medienindustrie zu machen», sagt Michael Bloomberg, der frühere New Yorker Bürgermeister und Gründer, über seinen einstigen Untergebenen.
Noch viel Unbekanntes
Noch ist vieles, was das Start-up der beiden Smiths betrifft, relativ vage. So wie etwa ihre programmatische Aussage, «einem globalen Publikum unvoreingenommenen Journalismus zu bieten und den besten Journalisten der Welt eine Plattform zu geben, die für hohe Qualität steht». Auch nähere Angaben zu den Themen, über die das neue Medium berichten will, gibt es noch keine. Unbekannt ist weiter, ob es hinter einer Bezahlschranke operieren wird.
Peter Kafka von «Recode», einer Plattform, die erklärt, wie sich die digitale Welt verändert, sieht das Projekt von Ben und Justin Smith als Ausfluss ihres unglaublichen Ehrgeizes: «Indem sie ihr eigenes Ding machen – finanziert mit fremdem Geld – werden sie nicht mehr Angestellte, sondern Besitzer sein.» Zumindest ein grösserer Investor, der frühere Besitzer des Magazins «The Atlantic», soll schon bereit stehen, auch wenn bisher vom Projekt nicht viel mehr als die Lebensläufe und die Schaffensbelege der beiden Initianten bekannt sind: «Entscheidend aber wird sein, was für einen Journalismus sie produzieren werden.»
Quellen: Poynter, New York Times, Washington Post, The New Yorker, Recode