4. Teil einer Flussreise im Frühling. Erkenntnisse und Erfahrungen von der Saar. Sie ist heute auch ein nachbarliches Bindeglied zwischen den einstigen Erzfeinden Deutschland und Frankreich.
In keinem andern Land spielen Flussnamen in der politischen Ordnung eine so wichtige Rolle wie in Frankreich: Fast alle Departemente sind nach Flüssen benannt; die wenigen Ausnahmen beziehen sich auf Bergregionen, also auf ein anderes geografisches Strukturelement.
Flüsse für Departments-, Länder und Kantonsnamen
Der Grund dafür liegt wohl – wie so vieles in Frankreich – bei den politischen Folgen der französischen Revolution, welche auch in der Geografie aufräumen wollte mit den alten Herrschaftssystemen, mit Namen wie Bourgogne oder Lorraine. Da lagen im Land der Flüsse Namen von Gewässern für die neuen politischen Einheiten nahe.
Andere Länder verzichteten auf semantische Revolutionen dieser Radikalität oder hatten diese nicht nötig. In der Schweiz haben es drei Flüsse auf Kantonsniveau geschafft (Aare, Thur und Ticino). In Deutschland haben die alten Fürsten- und Herzogtümer in den Ländernamen weitgehend überlebt. Tatsächlich wäre – ähnlich wie Frankreich – auch Deutschland ein durch Flussläufe geprägtes Land, aber nur gerade zwei Flüsse sind in Ländernamen verewigt zu werden. Welche wohl? – Natürlich der Rhein (Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen), sozusagen der Vater aller Flüsse Mitteleuropas, und dann auch die grosse Unbekannte unter Deutschlands Flüssen, die Saar.
Eckdaten zum Saarland
Es ist nicht meine Absicht, den Historikern Konkurrenz zu machen, daher nur stichwortartig ein paar Eckdaten zum Saarland: Rund eine Million Einwohner, mit 2’570 Quadratkilometer kleinstes deutsches Bundesland – ausgenommen die ‚Stadt-Länder’ Berlin, Bremen und Hamburg. Wurde 1919 im Versailler Vertrag als Überbleibsel ehemaliger preussischer und bayrischer Gebiete als unabhängiges Territorium ausgeschieden, kam 1935 als Folge eines Plebiszits zu Grossdeutschland, war nach dem zweiten Weltkrieg von Frankreich besetztes Gebiet und endete diesen Status 1956, nachdem sich ein Jahr zuvor eine Mehrheit gegen die Unabhängigkeit und für einen Anschluss an die damalige Bundesrepublik entschieden hatte.
Der Namensgeber des Saarlandes, die Saar (französisch ‚La Sarre’), ist als Fluss weit weniger bekannt als Elbe, Donau oder Mosel. In letztere mündet die Saar oberhalb von Trier. Mit der Mosel teilt die Saar die Eigenschaft, in den französischen Vogesen zu entspringen und erst in ihrem Unterlauf zu einem ‚deutschen Fluss’ zu werden. Sie ist 235 Kilometer lang und führt bei der Mündung im Mittel rund 80 Kubikmeter Wasser pro Sekunde, so ungefähr was im Mittel der Ticino in den Lago Maggiore bringt.
Einzigartige Geschichte der Schiffbarmachung
Die Saar verfügt zwar kaum über ein überregionales Renommee, aber punkto Lokalpatriotismus stellt sie einige grössere Verwandte in den Schatten. Tatsächlich gibt es eine grosse Zahl von Orten und Städten, welche ihren Namen tragen, angefangen in Frankreich bei Sarrebourg, Sarralbe, Sarreinsming und Sarreguemines (deutsch Saargemünd, berühmt für seine leider nicht mehr existierende Porzellanindustrie) bis zu den deutschen Orten Saarbrücken, Saarlouis, Saarfels und Saarburg. So wird die Saar sozusagen von zwei Saarburgen beschützt, die eine in der Nähe ihrer Quelle, die andere kurz vor ihrer Mündung.
Doch für den Flussschiffer wirklich einzigartig ist die Saar wegen der besonderen Geschichte ihrer Schiffbarmachung. An ihr vollzog sich nämlich gleichsam die Methode der Walser bei der Besiedelung der Alpen. So wie diese die Alpentäler meistens von oben her urbar machten und die tieferen Regionen der romanischen Bevölkerung überliessen, wurde die Saar von oben, also von Frankreich her, für die Schifffahrt ausgebaut. Im Jahre 1866 wurde der 63 km lange Canal des Houillères de la Sarre (der Saar- Kohlekanal) fertiggestellt, welcher auf der Hochebene zwischen Strasbourg und Nancy in der Nähe von Sarrrebourg vom Rhein-Marne Kanal abzweigt und in Sarreguemines in die Saar einmündet, die dort gross genug ist, um mittels der von den Franzosen zur Perfektion getriebenen abschnittsweisen Flussaufstauung schiffbar gemacht zu werden.
Zusammen mit dem Rhein-Marne Kanal diente der Kohlekanal der Verbindung der Kohlebergwerke der Saar mit Lothringen und dem Elsass. Er war nach dem damaligen Freycinet-Standard ausgebaut (Schleusen ca. 38 mal 5 Meter für Lastkähne mit max. 250 Tonnen Gesamtgewicht). Die Saar wurde über Saarbrücken hinaus noch einige Kilometer flussabwärts für den gleichen Standard ausgebaut, aber eine Verbindung bis hinunter zur Mosel gab es nicht, was die deutsche Saar gleichsam zu einer innerfranzösischen Schifffahrtsstrasse machte.
Junge Schiffsverbindung mit der Mosel
Es dauerte ein gutes Jahrhundert, bis Deutschland 1974 von der Mosel her mit dem Ausbau der Saar zu einer Grossschifffahrtsstrasse der europäischen Klasse V begann. Anstelle der kleinen Freycinet-Schleusen wurden Schleusenkammern von rund 200 mal 12 Meter gebaut, welche Schubverbände mit Ladungen von mehr als 3000 Tonnen zulassen. Im Jahre 1999 wurde die letzte Schleuse Saarbrücken in Betrieb genommen. Damit schloss sich die Verbindung zwischen dem alten französischen Kohlekanal und der deutschen Mosel. Ursprünglich hätte der Ausbau über Saarbrücken hinaus Richtung Frankreich weitergeführt werden sollen, aber – zum Glück möchte der Hobbyschiffer sagen – sind diese Pläne nie realisiert worden.
So erlebt man – bildlich gesprochen – bei Güdingen, einige Kilometer oberhalb von Saarbrücken, den abrupten Übergang einer vierspurigen Autobahn in einen Feldweg. Dort mündet die für Schiffe mit 3 Meter Tiefgang ausgebaggerte Fahrrinne abrupt in eine kleine, baufällige Freycinet-Schleuse am linken Ufer der Saar.
Choucroute Tour
Doch für die Berufsschifffahrt kam die Verbindung der unteren Saar mit dem französischen Kanalnetz zu spät. Die Freycinet-Lastschiffe, für die im 19. Jahrhundert der grösste Teil des französischen Kanalnetzes gebaut worden war, können mit ihren maximal 200 Tonnen Zuladung mit dem Strassentransport längst nicht mehr konkurrieren und sind praktisch verschwunden. Doch für die Sportschiffer entstanden neue Routen, welche schon bald – auf eine Speise anspielend, welche sich sowohl im Elsass als auch in Lothringen grosser Beliebtheit erfreut – unter dem Namen Choucroute Tour bekannt wurden. Die kleine Tour ermöglicht eine landschaftlich und schifffahrtstechnisch äussert attraktive Rundreise von Trier über die Saar, den Canal de la Sarre (wie der Canal des Houillères de la Sarre unterdessen im Sinne einer Verbesserung seines Rufs getauft worden ist), den Canal de la Marne au Rhin nach Nancy und zurück auf der Mosel via Metz. Die grosse Choucroute Tour ist eher etwas für Profis. Von Trier kommend führt sie bei der Einmündung in den Marne-Rhein Kanal nach links nach Strasbourg (sofern dann der Schrägaufzug bei Arzviller endlich einmal wieder funktioniert), von dort den Rhein hinunter an Mainz und der Loreley vorbei nach Koblenz und wieder die Mosel hinauf bis nach Trier.
Herrliche Sprachblüten
Was einst als Beitrag zum europäischen Warentransport geplant war dient nun im 21. Jahrhundert dem internationalen Tourismus und auch ein bisschen der Verständigung zweier ehemaliger europäischer Erzfeinde, Deutschland und Frankreich. Die deutschen Hobbykapitäne üben im Gespräch mit den französischen Schleusenwärtern ihr Französisch, und die Beamten der staatlichen Agentur Voies navigables de France (VNF) versuchen sich auf den zahlreichen Hinweistafeln entlang der Kanäle in Deutsch. Dass es dabei immer noch zu herrlichen Sprachblüten kommt (zum Beispiel wenn das französische „bateau de plaisance“ zum deutschen „Vergnügungsdampfer“ wird), verstärkt diese Bande noch, wie überhaupt der Humor, und sei er auch unfreiwillig, die Menschen einander näher bringt.
Dennoch und zum Glück gibt es aber auch nationale Eigenheiten, welche sich durch keine europäischen Vorschriften in die Knie zwingen lassen: Bei der Schleuse von Güdingen, welche den Anfang des Saarkanals bildet und von Beamten der deutschen Schifffahrtsbehörden betrieben wird, weisen grosse Bojen auf eine Untiefe am Eingang des Schleusenkanals hin, welche den Kapitän zu einem komplizierten Manöver zwingen, ihn aber schliesslich sicher in die Schleuse bringen.
Ein wenig wie bei Mark Twain
Ein paar Kilometer weiter, bei der Schleuse Sarreguemines, sind wir mit der Solveig im Schlamm stecken geblieben. Zum Glück konnte ich das Schiff mit eigener Kraft freibekommen. Ich erinnerte mich an Güdingen und wagte die Einfahrt mit einer ähnlichen Zickzackfahrt, und siehe da, es funktionierte. Ja, er wisse es, sagte der französische Schleusenwärter achselzuckend, als ich ihn darauf ansprach, man müsse halt aufpassen. – Wer weiss, für das Setzen einer Markierboje ist wahrscheinlich Paris zuständig.
Aber irgendwie hat diese Haltung auch etwas Positives: Man übt sich in Selbstverantwortung und lernt, anhand von Strömungsmustern mögliche Untiefen zu lokalisieren. Und ein bisschen fühlt man sich auch wie seinerzeit Mark Twain auf dem Mississippi, ein Abenteurer in unerforschtem Gelände.
Die Berichte unseres Autors über Europas Wasserwege werden im August fortgesetzt.