Vor einigen Tagen hat der Physiker Roland Wiesendanger über die Universität Hamburg ein Papier veröffentlicht, das zu belegen scheint, dass das Corona-Virus in einem Labor in Wuhan entstanden ist. Ein breites Echo war dem Mann sicher, allerdings fiel es auch einigermassen katastrophal aus. Eine Kollegin von derselben Universität kündigte an, sie werde Wiesendangers Werk, das keinerlei wissenschaftliche Prüfung durchlaufen hatte, als Beispiel für Desinformation in ihrer Lehrtätigkeit verwenden. Denn seine krude Zusammenstellung von Berichten bis hin zu Youtube-Videos vermochte niemanden zu überzeugen – ausser ihn selber.
Wiesendanger hat natürlich gemerkt, wie man als Atomforscher – der er im Hauptberuf ist – in einer Mediendemokratie von jener Aufmerksamkeit profitieren kann, die seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie all den Virologen und Epidemiologen zuteil wird, die in aufwendiger Kleinarbeit diesen Krankheitserreger und seine rasante Ausbreitung erforschen. Oft treten uns diese Virologen und Epidemiologen als öffentliche Experten entgegen. Sie erklären geduldig, was sie herausgefunden haben. Und sie geben Rat. Die Schweiz hat dazu eigens eine wissenschaftliche Corona-Task-Force eingerichtet.
Eine konfliktträchtige Beziehung
Blickt man ein wenig zurück, wie es der Historiker Caspar Hirschi von der Universität St. Gallen in seinem Buch «Skandalexperten – Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems» (Verlag Matthes & Seitz) getan hat, dann zeigt sich: Die Corona-Pandemie führt uns ein sehr prekäres Verhältnis vor Augen. Neu ist das nicht, oder vielmehr: Es ist neu unter den obwaltenden Umständen einer Öffentlichkeit, die ungeduldig auf Lockerungen drängt und deren Rufe im Internet unablässig multipliziert werden. Dass der Bundesrat sich nicht beirren lässt von der Kakophonie der Interessenvertreter und Kantone, das ist zwar klug. Aber es ändert nichts daran, dass zwischen Politik und Wissenschaft vieles ungeklärt und einiges auch ziemlich konfliktträchtig ist.
Um das zu illustrieren, lohnt vielleicht ein Blick zurück. Und zwar ziemlich weit. 1778 traf in Paris ein Mann namens Franz Anton Mesmer ein, der sich mit dem Einfluss der Gestirne auf den menschlichen Körper befasst und eine Magnetkur entwickelt hatte. Die Herzen insbesondere der Damen flogen dem Österreicher zu, seine Lehre vom «animalischen Magnetismus» liess Mesmers Kassen hell klingeln. Und sie spaltete auch das Königshaus. Königin Marie-Antoinette neigte sich ihm in Sympathie zu, König Ludwig XVI. glaubte nicht an Mesmers seltsame Experimente und seine «mesmerisierten» Wässerchen. Und er tat in dieser Situation etwas sehr Kluges, indem er eine Expertenkommission berief. In Experimenten kam diese Kommission der Académie des sciences zum Schluss: Mesmers Magnetismus beruhte auf blosser Einbildung.
Leider glaubten ihr nur jene Kreise, die Mesmer ohnehin misstraut hatten. Mit der Französischen Revolution setzte sich dann die Deutung fest, es habe sich beim Expertenbericht um das Rückzugsgefecht einer alten, mittlerweile mit der Guillotine zur Seite geschafften Ordnung gehandelt.
«Oppositionspolitiker ohne demokratisches Mandat»
Solches kann heute nicht passieren, es sei denn, man betrachte jene Beschimpfungen im Netz als moderne Guillotine, welche manche Politiker, Beamte und wohl auch Wissenschaftler ertragen müssen. Dennoch ist die Beziehung von Beratern und Beratenen alles andere als klar. Was mit jenem Rollenwandel zu tun hat, den Hirschi in der «NZZ am Sonntag» als den Übergang von der Politikberatung zum politischen Aktivismus beschreibt. «Aus Forschern wurden Oppositionspolitiker ohne demokratisches Mandat, aber mit Beratungsauftrag.»
Diese selbst ernannten Oppositionspolitiker treten immer wieder mal mit steilen Thesen oder galliger Kritik an die Öffentlichkeit, gelegentlich geraten sie auch aneinander. Oder erklären den Bundesrat zu einer Truppe von Hinterwäldlern. Twitter und Co. sorgen dann für das angemessene Echo. Und der Präsident der wissenschaftlichen Task-Force muss wieder einmal mahnen, es bei Empfehlungen zu belassen und nicht gleich Forderungen zu stellen.
Dieser «engagierte Experte» ist sehr modern, er hat sich seine Sporen bereits in der Klimakrise abverdient. Doch hier wie dort wird sich am Ende die Frage stellen, wer denn nun eigentlich die Weichen stellen soll: eine auf Ausgleich von Interessen und die Vermeidung allzu grosser Härten bedachte und deshalb quälend langsame Politik oder eine Wissenschaft, die ganz genau zu wissen glaubt, was man zu machen hat. Dass diese Wissenschaft aber in ihrem eigenen Feld immer wieder ihre Überraschungen erlebt, das zeigt jede Woche, in der sich die Pandemie noch dahinschleppt. Auch unter Corona-Bedingungen ist Wissenschaft ein langsamer, von unsicheren Prognosen und kontroversen Debatten geprägter Prozess, während die Politik Woche um Woche unter Entscheidungsdruck steht. Der Bundesrat muss sich immer wieder einig werden, die Wissenschaftler sollten es nicht sein. Was sich dann aber mit ihrem Beratermandat beisst. Da sind dann sogar die Berater ratlos.