Der Krieg in Syrien konzentriert sich nun um Aleppo. Die Zweieinhalbmillionen-Stadt, die zweigrösste in Syrien, ist seit Juli 2012 geteilte. Der westliche Teil befindet sich in Händen der Regierungstruppen, der östliche wird von den Rebellen beherrscht.
Heute bildet Aleppo einen schwer durchschaubaren Flickenteppich: viele verfeindete kleinere und grösse Truppen beherrschen verschiedene kleinere und grössere Stadtteile. Aleppo ist im Kleinen ein Sinnbild für ganz Syrien.
Viele Kampfgruppen, viele Allianzen
Im Osten gibt es eine Vielzahl von Widerstandsgruppen, von denen sich einige zu Bündnissen zusammengeschlossen haben. Zwischen diesen grösseren Koalitionen und innerhalb der Bündnisse gibt es immer wieder Reibereien, teils aus ideologischen Gründen, teils geht es dabei um Waffen, um Nachschub und um Nahrungsmittel. Oft gibt es auch Streit wegen strategischer oder taktische Fragen.
Die wichtigste dieser Allianzen innerhalb Aleppos nennt sich "Eroberung von Aleppo" (Fatah Halab). Zu ihr gehören eher säkulare Gruppierungen wie die „FSA 13. Division“, die "Suqur al-Jabal" (Gebirgsfalken). Dabei sind aber auch "salafistische" Gruppen, solche, die einen Islamischen Staat Syrien anstreben, jedoch nicht das grenzüberschreitende "Kalifat" des IS. Zu den Salafisten gehören die beiden grossen Formationen, (die ihrerseits ebenfalls aus Zusammenschlüssen von kleineren Gruppen gebildet sind): "Heer der Eroberung" (Dschaisch al-Fatah) und "Heer des Islams". Ebenfalls dabei sind die "Ansar al-Schari'a" und die "Nusra"-Front.
Kürzlich hat eine Gruppierung, die sich "Syrien Legion" nennt und die von den Muslimbrüdern gebildet wurde, die Allianz "Heer der Eroberung" verlassen und versucht, eine eigene Allianz mit gleichgesonnenen Verbündeten in Aleppo zu bilden. Solche Verschiebungen innerhalb der Allianzen sind nicht selten.
Offensive der Asad-Armee
Auf der Gegenseite sind die Truppen des Asad-Regimes in die Offensive gegangen. Sie werden bei ihrem Vormarsch entscheidend unterstützt von der russischen Luftwaffe. Die Asad-Armee ist aber auch verbündet mit dem libanesischen Hizbullah sowie mit Einheiten und Beratern aus den Reihen der iranischen Revolutionswächter und Kampfgruppen, welche von den schiitischen Milizen des Iraks geschickt worden sind. Dazu gehören die irakische "Badr"-Organisation sowie die ebenfalls irakischen "Asa'ib al-Haqq".
In Aleppo gibt es auch Kurden, die ihr eigenes Wohnquartier, Scheich Maqsud genannt, das sie bisher erfolgreich gegen Angriffe der Rebellen und der syrischen Armee verteidigen.
Siegessicher
Die Armee Asads hat am 3. Februar Flugblätter über den östlichen Teilen von Aleppo abgeworfen. Darin wird die Bevölkerung aufgefordert, die ausländischen Kämpfer aus ihre Quartieren "zu entfernen". Wie unbewaffnete Zivilisten bewaffneten Kämpfern die Stirn bieten können, sagen die Flugblätter allerdings nicht.
Der Text strotzt vor Siegesgewissheit und enthält schwere Drohungen gegen die Rebellen. Das heisst es:
"Der Krieg geht zu Ende. Es wäre tragisch, wenn er mit dem Tod eurer Familien und der Zerstörung eurer Häuser enden würde. Die Kommandanten der Syrischen Arabischen Armee (der Asad-Armee) stellen Euch vor die Wahl: entweder fliesst euer Blut oder ihr vertreibt die fremden Kämpfer, die sich bei euch eingenistet haben. Sicheres Geleit für ihren Abzug wird sichergestellt. Lokale Kämpfer müssen ihre Waffen abgeben. Diese Aufforderung zur Versöhnung muss bis zum 4. Februar respektiert werden. Danach wird wieder gekämpft.“
"Asad zu keinem Kompromiss bereit"
Dieser "Versöhnungsvorschlag" ist offensichtlich nichts anderes als eine Aufforderung zur Kapitulation. Die Vertretung der syrischen Opposition in Genf erklärte, Asad sei offensichtlich nicht bereit, Kompromisse anzustreben. Damit nehme er die gleiche Haltung ein wie schon 2014 auf der damaligen Genfer Konferenz, die schnell scheiterte.
Der Hauptunterhändler der Widerstandsgruppen fügte hinzu: "Wir sind nach Genf gekommen, um der Welt zu zeigen, dass das Regime keine politische Lösung anstrebt!" Die Verhandlungen in Genf wurden bis auf den kommenden 25. Februar vertagt.
Die Stadt aushungern
In der Zwischenzeit wird wohl die Asad-Armee und ihre Verbündeten den Osten Aleppos weiter abschnüren und belagern. Dabei wird sie von russischen Luftangriffen unterstützt. Sollte der Widerstand der Rebellen nicht bald gebrochen werden, wird die Asad-Armee wohl versuchen, den östlichen Stadtteil auszuhungern.
Nicht nur in Aleppo wird diese Taktik praktiziert. Nach Angaben der Uno setzt die Armee die „Hungerwaffe“ an 15 Orten ein. Betroffen sind 400'000 Menschen. Doch nicht nur die Armee versucht Ortschaften und Städte auszuhungern – auch die Nusra-Front und der „Islamische Staat“ greifen ab und zu zu solchen Mitteln. Betroffen sind Enklaven, in denen entweder die Regierungstruppen, regierungstreue Bevölkerungsteile oder 12er-Schiiten den Aufständischen Widerstand leisten.
Gehungert und verhungert
Einzig die Belagerung von Madaja bei Damaskus erlangte internationales Aufsehen. Dies wohl, weil die Stadt nahe der libanesischen Grenze liegt, so dass Informationen über die dortigen Zustände leicht durchsickern konnten. Von vielen andern Belagerungen weiss man nur, dass dort gehungert wird – und verhungert.
Das französische Aussenministerium erklärte, verschiedene Hilfsorganisationen hätten 91 Gesuche eingereicht, um der notleidenden Bevölkerung in belagerten Ortschaften zu helfen. Das Asad-Regime habe einzig 13 Gesuche genehmigt.
500 Luftangriffe
Noch hat die eigentliche Belagerung von Ost-Aleppo nicht begonnen. Doch die Regierungstruppen, unterstützt von russischen Kampflugzeugen sind dabei, die Zugangsstrassen zu den östlichen Stadteilen abzuschneiden, dies sowohl im Norden wie auch im Süden der Grossstadt.
Der Armee ist es bereits gelungen, den seit 2012 bestehenden Verteidigungsring der Rebellen um die beiden Orte Zahra und Nubl aufzubrechen. Dazu führten die syrische und die russische Luftwaffe 500 Einsätze gegen die Rebellen durch. Dabei verloren die Aufständischen elf ihrer Kommandanten und "über hundert" ihrer Kämpfer. Auf der Gegenseite seien 20 Regierungssoldaten gefallen, ebenso 14 iranische Revolutionswächter. Dies melden die Regierung und neutrale Beobachter. Unter den iranischen Gefallenen befindet sich Mohsen Qajarian, ein Brigadegeneral der iranischen Streitkräfte.
Wichtiger Schritt zur Isolierung Aleppos
In Zahra und Nubl leben insgesamt 60'000 Menschen, vorwiegend Schiiten. Die beiden Orte Nubl liegen nordwestlich von Aleppo. Die Bewohner besassen mit der Aussenwelt eine prekäre Verbindung über die kurdische Enklave Afrin.
Die Einnahme Zahras und Nubls ist für die Asad-Armee ein wichtiger Schritt zur Isolierung von Ost-Aleppo. Damit öffnet sich für die Asad-Truppen der Weg zur Enklave Afrin an der türkischen Grenze
Die syrische Armee besetzt nun einen zunächst noch dünnen Riegel zwischen der kurdischen Afar-Enklave und Aleppo. Sie schneidet damit die Hauptstrasse ab, die von Ost-Aleppo über Azaz an die türkische Grenze und den dortigen Grenzübergang von Bab as-Salama führt.
70'000 neue Flüchtlinge
Inzwischen wälzt sich ein riesiger Flüchtlingsstrom von Ost-Aleppo und den umliegenden Dörfern Richtung Norden, Richtung türkische Grenze. Viele Flüchtlinge suchen Unterschlupf in der kurdischen Enklave von Afrin, nordwestlich von Aleppo. Offiziell ist die türkische Grenze für Flüchtlinge gesperrt. Manchen gelingt es trotz, illegal in die Türkei zu gelangen. Andere harren bei tiefen winterlichen Temperaturen aus und hoffen, doch noch über die Grenze einreisen zu dürfen.
Laut Angaben der türkischen Behörden besteht der neue Flüchtlingsstrom aus 70'000 Menschen, die vor den Kämpfen fliehen. Die syrische Beobachtungsstelle in London spricht von 40'000 neuen Flüchtlingen. Da der Kampf um Aleppo jetzt erst recht losbricht, ist mit weiteren Zehntausenden verzweifelten Flüchtlingen zu rechnen.