Am 9. Juni, am Tag, da nur einer von zwei französischen Wählern an die Urnen gehen wird, dürfte das Land einen gewaltigen Schritt weiter ans rechtsextreme Ufer machen.
«Ich wünsche Emmanuel Macron die schlimmste nur denkbare Niederlage, damit er wieder auf den Boden der Tatsachen zurückfindet» – so tönte Marine Le Pen, die Galionsfigur des rechtsextremen «Rassemblement National» in einem Radiointerview vergangene Woche. Und wenn nicht alles täuscht, dürfte ihr Wunsch tatsächlich in Erfüllung gehen
Höhenflug der Rechtsextremen
Laut einer jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VIVAVOICE dürfte das Wahlergebnis für Macron, den wortstarken Europäer, geradezu katastrophal ausfallen.
Denn nach allen Erhebungen besteht kein Zweifel mehr, dass die Liste des «Rassemblement National» mit dem neuen Parteichef, dem erst 28-jährigen, smarten Jordan Bardella an der Spitze, die EU-Wahl haushoch gewinnen wird. Bis zu 32% der Stimmen werden ihr prophezeit. Zählt man die 6%, die die noch extremere Liste «Reconquête» (Wiedereroberung) unter Marion Maréchal, der Enkelin von Jean-Marie Le Pen, erzielen könnte, kämen die Rechtsextremen in Frankreich insgesamt auf sage und schreibe 38% der Stimmen!
Beachtlich dabei ist zudem, dass bestimmte Wählergruppen, die bislang gegenüber Le Pen & Co. relativ immun geblieben waren, inzwischen ihren Widerstand gegen die extreme Rechte offensichtlich fallen gelassen haben. Das trifft zum einen für besser Situierte zu, die mittlerweile bis zu 30% für das Rassemblement National stimmen könnten und, was ganz besonders betont wird, für Frankreichs Senioren. Von den über 60-Jährigen könnten diesmal 35% einen Stimmzettel für die extremen Rechten in die Urnen stecken. Damit scheinen weitere Dämme zu brechen und Le Pens jahrelange Bemühungen, das Image ihrer Partei weisszuwaschen, könnte weitere Erfolge verzeichnen. Die so genannte Republikanische Front gegen die extreme Rechte ist wohl definitiv auf dem Scheiterhaufen der Geschichte gelandet.
Die Abgeschlagenen
Meilenweit abgeschlagen landet bei dieser EU-Wahl laut Vorhersagen die Liste der Präsidentenpartei mit dem etwas angestaubten und fast peinlichen Namen «Renaissance» und der landesweit völlig unbekannten Spitzenkandidatin, Valérie Hayer, bei gerade mal 15 bis 16%!
Ja, die Macron-Partei muss sogar um diesen zweiten Platz bangen.
Die Linke
Denn auf der Linken, die trotz ihrer nun schon chronischen Schwäche in ihrer Gesamtheit während der letzten zwei Jahrzehnte auch diesmal wieder gespalten mit vier verschiedenen Listen ins Rennen geht, hat sich für die Sozialisten und unabhängige Linke hinter dem Spitzenkandidaten Raphaël Glucksmann, Sohn des Philosophen und Alt-68ers André Glucksmann, so etwas wie eine echte Dynamik entwickelt
Von anfangs 10% wird der überzeugte Europäer und kompetente Geopolitiker mittlerweile mit bis zu 15% gehandelt. Hauptsächlich aufgrund all derer, die aus dem linken Lager 2017 zu Macron gestossen waren und sich aufgrund dessen nun definitiv strikt rechts orientierten Politik – spätestens seit seiner Wiederwahl 2022 – wieder von ihm abwenden. Prompt träumen einige Altvordere, nicht zuletzt Ex-Präsident François Hollande, bereits von einem Revival der französischen Sozialdemokratie, was in nächster Zukunft allerdings reichlich unsinnig erscheint.
Die anderen Komponenten der Linken, die Grünen und die linke LFI («La France Insoumise») des ausser Rand und Band geratenen Radikaltheoretikers Jean-Luc Mélenchon liegen bei 6 bis 8%, die Kommunisten bei 2%.
Insgesamt hat sich seit über zwei Jahrzehnten also nichts geändert: Frankreichs Linke kommt in ihrer Gesamtheit kaum über 30% hinaus.
Traditionelle Rechte
Fast vergessen scheint schliesslich die einst staatstragende traditionelle Partei der bürgerlich Konservativen von Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy, die inzwischen unter dem Namen «Les Républicains» erscheint, nur noch zweitklassiges politisches Personal zu bieten hat, thematisch der Ultrarechten hinterherhechelt und unter Spitzenkandidat François-Xavier Bellamy antritt, einem blassen und glanzlosen Philosophen, der als einziges eine Legislaturperiode als Abgeordneter im EU-Parlament vorzuweisen hat. Mehr als 7 bis 8% wird er mit seiner Liste nicht erzielen können.
Und Macron?
Der Präsident tut bereits im Vorfeld des sich abzeichnenden Wahldebakels so, als könne ihm, Jupiter, dies alles nichts anhaben, als stünde er über allem und werde aus dem sich für seine politische Formation abzeichnenden Fiasko bei der EU-Wahl selbstverständlich keinerlei politische Konsequenzen ziehen.
Er selbst hat sich im Wahlkampf so gut wie gar nicht engagiert. Eine gross angekündigte Rede zu Europa, fünf Jahre nach seiner ersten, damals allseits und besonders im Ausland gelobten Europarede, geriet diesmal zum Flop. Und erst an diesem Wochenende, zwei Wochen vor der Wahl, hat er nun angekündigt, er wolle sich persönlich im Wahlkampf engagieren. Zudem hat er sich zu einer Fernsehdiskussion mit Marine Le Pen bereiterklärt. Selbige lehnte jedoch postwendend ab und meinte, sie komme nicht angerannt, wenn man nach ihr pfeife.
Kandidatensuche und schlapper Wahlkampf
Zuvor hatte Macron, ohne selbst einen Finger zu rühren, wiederholt seinen neuen Premierminister, Gabriel Attal, aufgefordert, mehr Zeit in den Wahlkampf zu investieren. Dieser zeigt dafür jedoch, wie zahlreiche andere Minister, reichlich wenig Interesse und verbreitet eine gewisse Lustlosigkeit. Ja, schlimmer noch: Macron und seine Partei hatten die grössten Schwierigkeiten, überhaupt einen Spitzenkandidaten zu finden, so dass es schon fast peinlich wurde. Bekannte Persönlichkeiten und mehrere Minister lehnten dankend ab und so wurde es letztlich Valérie Hayer, eine arbeitsame, engagierte Europaabgeordnete des Macronlagers, die aus einem ländlich bäuerlichen Milieu kommt, womit Macrons Kommunikatoren krampfhaft eine gewisse Volksnähe zu suggerieren versuchten. Von Erfolg gekrönt scheint diese Strategie jedoch keinesfalls. Hayer bleibt im Land völlig unbekannt und gibt auch bei ihren Medienauftritten wahrlich keine gute Figur ab. Wie sie in den kommenden zwei Wochen das Ruder noch herumreissen könnte, steht in den Sternen.
Insgesamt präsentiert sich dieser EU-Wahlkampf in Frankreich als eine triste und altbackene Angelegenheit, die kaum einen Hund hinter dem Ofen hervorholt und bei der es, wie schon fast üblich und mit wenigen Ausnahmen, kaum um Europa, sondern vor allem um Franco-Französisches geht. Im Vordergrund mit den leidigen Themen innere Sicherheit und Immigration.