Man nimmt es im Schaudepot des Museums für Gestaltung nicht amtlich genau mit der Bezeichnung «Swiss Style». Über die Provenienzen eines beträchtlichen Teils der unter diesem Titel gezeigten Exponate könnte man sich daher wundern. Prominent vorgestellt wird etwa Massimo Vignelli (1931-2014), der vor allem in den USA tätig gewesene italienische Architekt und Grafiker. Eine seiner Meisterleistungen ist die visuelle Gestaltung der New Yorker Subway von 1966. In dieser Schau, die das Schweizerische im Namen führt, hat auch der 1928 geborene holländische Maler, Grafiker, Kunsttheoretiker und Industriedesigner Wim Crouwel einen grossen Auftritt, so mit seiner Plakate-Linie für das Stedelijk Museum Amsterdam. Allerdings ist die Verwandtschaft der versammelten internationalen Designs und Objekte so offensichtlich, dass lebhafte Beziehungen und fachlicher Austausch zwischen den Urhebern zu vermuten sind.
Im Fall der amerikanischen Gestalterin Jacqueline Casey (1927-1992) sind solche Verbindungen eindeutig. Sie war stark beeinflusst von dem, was als «Swiss Style» vor allem in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren international Furore machte. Die Ausstellung zeigt einige von Jacqueline Caseys wunderschönen Plakaten für das MIT in Cambridge, Massachusetts, die geradezu als perfekte Schweizer Grafik durchgehen könnten.
Das Besondere des Swiss Style
Aber was macht diesen Swiss Style aus? Die Ausstellungsmacherin Karin Gimmi gibt ihm die Adjektive «sachlich», «schlicht» und «minimalistisch». Da sie die Objekte nicht in erster Linie definieren muss, sondern zeigen kann, mag diese Beschreibung angehen. Man kann sich aber schwer vorstellen, dass es solche nicht allzu exklusiven Eigenschaften gewesen sein sollten, die der damals in der Schweiz entwickelten Weise des Gestaltens zu weltweiter Ausstrahlung verholfen hätten. Um das Phänomen zu erklären, müsste man schon präziser sagen, worin dessen Qualitäten liegen.
Ein erstes gemeinsames Merkmal der ausgestellten Arbeiten ist die Perfektion. Ein instruktives Beispiel dafür, wie sie zustande kommen kann, gibt die im Schaudepot gezeigte Konstruktionszeichnung für das 1972 eingeführte Doppelpfeil-Logo der SBB, das vom Berner Grafiker Hans Hartmann designt wurde. Das geradezu als selbstverständlich erscheinende Zeichen der Schweizer Bahn beruht auf einem komplexen geometrischen Raster, der alle Einzelheiten des Logo-Umrisses in klare Bezüge einbindet. Beim Resultat sieht man das nicht, aber man spürt es.
Die Qualität des Swiss Style ging aus solch aufwendigen Entwicklungen hervor. Die gedanklichen Konzepte, auf denen die Gestaltungen beruhten, die visuellen Kompositionen sowie deren Bestandteile wie grafische Zeichen, Fotografie und Typografie: dies alles war in höchstem Mass ausgereift und geschliffen. Die so erzeugten Designs bewegten sich auf einem Level, der den Qualitätsansprüchen der damals das nationale Selbstverständnis prägenden Schweizer Spitzenindustrie gleichkam.
Doch sauber arbeiten konnten und können andere zweifellos auch. Was bei Schweizer Pionieren wie Josef Müller-Brockmann (1914-1996), Karl Gerstner (geboren 1930), Armin Hofmann (geboren 1920) hinzukam, war die Inspiration durch den Konstruktivismus in Malerei, Plastik und Architektur, der im Wirken der beiden Zürcher Künstler Max Bill und Richard Paul Lohse eine weithin ausstrahlende Position bildete. In den oft kühnen Typografien etwa für Plakate sind zudem unschwer Einflüsse der von Eugen Gomringer ausgehenden Konkreten Poesie auszumachen.
Diese Gestalter haben nicht bloss ihr grafisches Handwerk beherrscht, sondern sie haben sich auseinandergesetzt mit geistigen Umwälzungen ihrer Gegenwart und insbesondere mit zeitgenössischer Kunst. Sie waren in Tuchfühlung mit Avantgarden und dadurch dem Gros der weniger ambitionierten Gestalter immer ein paar Schritte voraus. So konnten sie Plakate entwerfen, die vor Energie vibrieren, und grafische Zeichen schaffen, deren Kraft sich auch nach Jahrzehnten nicht verbraucht hat.
Spiegel der optimistischen Jahrzehnte
«Zeitlos» ist denn auch ein Prädikat, das man solchen Kreationen mehr reflexartig als reflektiert anhängt. Die Gestaltungen des Swiss Style sind zwar gewiss nicht kurzlebig und überzeugen fast durchwegs auch heute. Aber zeitlos sind sie nicht. Sie atmen im Gegenteil den Geist jener optimistischen Jahrzehnte vom Beginn der Hochkonjunktur bis zum Ölschock. Der Swiss Style spiegelt die Epoche des scheinbar unaufhaltsamen Fortschritts, in der das Leben stets besser wird.
Selbst wenn es darum geht, mit einem hoch emotionalen Bild weniger Lärm zu fordern – und also den Lauf der Dinge zu kritisieren –, so ist doch die überaus klare Struktur des Plakats mit den kraftvollen Diagonalen in geradezu demonstrativer Weise rational. Selbst im Anprangern des Missstands dringt die optimistische Grundhaltung durch.
Einer der bereits genannten Väter des Swiss Style, Josef Müller-Brockmann, wird vom Schaudepot in einer begleitenden Ausstellung mit einer Werkübersicht gewürdigt. Das Museum für Gestaltung konnte vor kurzem seinen Nachlass übernehmen. Müller-Brockmann ist einer der einflussreichsten Grafiker des 20. Jahrhunderts. Seine Arbeiten sind prägend für die von der Schweiz ausgehende konstruktiv-konkrete Grafik und stehen für deren nachwirkende Qualitäten. Der Raum mit dem Werk Müller-Brockmanns ist die eigentliche Schatzkammer der Schau, in der das herausragende Format dieses Gestalters eindrücklich zu erleben ist.
Ein Geniestreich namens Helvetica
1956 brachte die Haas’sche Schriftgiesserei in Münchenstein bei Basel die ersten Schnitte einer neuen Grotesk-Type heraus (Grotesk oder Serifenlose heissen die Schriften, deren Lettern keine Füsschen haben). Ihr Gestalter war der Zürcher Grafiker Max Miedinger (1910-1980). Zuerst als «Neue Haas-Grotesk» bezeichnet, erhielt die Schrift später den Namen «Helvetica». Vermutlich trug die Benennung nicht unerheblich zum stupenden Erfolg dieser Schriftenfamilie bei.
Die Helvetica fand rasch weltweit Verwendung für die Beschriftung etwa von Verpackungen, für komplexe Informationssysteme wie das der New Yorker Subway, in Firmenlogos und als Hausschrift grosser Konzerne. Sie ist bis heute geradezu omnipräsent. Als eine der ersten Schriften fand sie in die Computerisierung Eingang, indem sie an die technischen Bedingungen der Bildschirmdarstellung adaptiert wurde. Helvetica ist die Grundschrift der Apple-Betriebssysteme. Eine nicht so recht gelungene Helvetica-Imitation – die Arial – prägt die Windows-Welt von Microsoft.
Mit ihrer aufrechten Strenge und neutralen Sachlichkeit ist die Helvetica so etwas wie die Grundschrift der modernen Industrie- und Post-Industriekultur geworden. Welche Qualitäten in ihr stecken, beweisen aber auch die zahlreichen Anwendungen in bibliophilen Texten und avantgardistischen Typografien. Die meisten der im Schaudepot gezeigten grafischen Arbeiten setzen die Helvetica ein. Gerade weil sie gewissermassen «die Schrift ohne Eigenschaften» ist, lässt sie sich an unterschiedliche Verwendungen anpassen. Mit ihren Lettern, die in gross skalierter Form wie gebaute Objekte stehen können, taugt sie perfekt als Ausgangsmaterial für ausdruckstarke Gestaltungen.
Grafik als Exportschlager
Was von einer kleinen Gruppe von Ausnahmekönnern entwickelt und unter dem Label Swiss Style weit über die Landesgrenzen hinaus verbreitet wurde, findet auch bei heutigen visuellen Gestaltern ein Echo. Die Ausstellung kann das fast beiläufig belegen, indem sie Arbeiten jüngeren Datums neben die Klassiker stellt. Da wurden offensichtlich Qualitätsstandards in die Welt gesetzt und Gestaltungsprinzipien herausgebildet, denen zu folgen auch heute zu perfektem Design beitragen kann.
Die grossen Impulsgeber der Grafik, die von den Fünfziger- bis zu den Siebzigerjahren den Swiss Style prägten, haben das Niveau für die angewandte Kunst der visuellen Gestaltung neu definiert. Zwar gab es einprägsame und schöne Grafik schon vorher, doch erst die grossen Ambitionen dieser Generation von Gestaltern brachten die erforderlichen Methoden und Verfahren hervor, die auch die Bewältigung komplexer Aufgaben erlaubten, wie etwa die Schaffung der Corporate Identity eines Weltkonzerns. Solche Projekte sind für die Auftraggeber gewaltige Investitionen. Wer so grosse Mittel einsetzt, verlangt kohärente, langfristig nutzbare grafische Lösungen. Big Business verlangt gewissermassen nach Big Graphics. Vertreter des Swiss Style konnten sie liefern und haben massgeblich zur Herausbildung der globalisierten Welt-Grafik beigetragen, die heute in dieser Branche den Ton angibt.
Swiss Style – Internationale Grafik, Museum für Gestaltung/ Schaudepot im Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, 8005 Zürich, noch bis 26. Juli 2015