Vor zehn Tagen hat das seriöse Internet Portal "Mediapart" eine Bombe platzen lassen. Es hat das Gesprächsprotokoll aus einer Sitzung von Spitzenfunktionären des französischen Fussballverbandes – unter ihnen auch Teamchef Laurent Blanc – veröffentlicht. Während der Sitzung wurde offen über die Einführung von Quoten für afrikanischstämmige junge Franzosen bei der Nachwuchsförderung in Ausbildungs- und Leistungszentren der französischen Vereine und des nationalen Fussballverbandes diskutiert.
In erster Linie ging es um die Frage, ob die doppelte Staatsangehörigkeit der vom Fussballverband geförderten Nachwuchstalente im Alter von 12 bis 13 Jahren ein Problem darstelle oder nicht. Junge Fussballer, die jahrelang in Frankreichs Jugendnationalmannschaften spielten, später dann aber in die A- Nationalmannschaften anderer Länder wie Marokko, Algerien oder dem Senegal wechselten, seien ein echtes Problem. Ihn schockiere das, sagte Teamchef Laurent Blanc bei dieser Gelegenheit. Also, erwiderte Francois Blaquart, der inzwischen suspendierte technische Direktor des Fussballverbandes, könnte man ja Quoten einführen bei der Auswahl von Talenten.
Man könne sich etwa darauf einigen, nicht mehr als 30 Prozent Jugendliche mit afrikanischem Migrationshintergrund zu nehmen. Allerdings dürfe man das natürlich nicht laut sagen. Und einer unter den rund 20 Teilnehmern der Besprechung gab zu verstehen, derartige Quoten würden in den Leistungszentren grosser Vereine wie Lyon und Marseille bereits angewandt.
Mitten im Skandal
Zunächst hatten alle Beteiligten geleugnet, derartiges geäussert oder gehört zu haben, doch die Lüge hielt keine keine 24 Stunden, nachdem klar wurde, dass das Gespräch aufgezeichnet worden war und die Veröffentlichung auf einer Transkription dieser Aufzeichnungen basierte. Einer der ersten, der sich lautstark über den Inhalt der Besprechung empörte, war Frankreichs Weltmeister von 1998, der aus Guadeloupe stammende Lilian Thuram, der 142 Mal das Trikot des Nationalteams getragen hatte. Seit dem Ende seiner Karriere engagiert er sich regelmässig gegen Diskriminierungen und Rassismus in der französischen Gesellschaft und bietet dabei gelegentlich sogar Präsident Sarkozy die Stirn.
Was da vor sich geht, so Thuram, zeige doch wohl, dass man mitten in einem Skandal stecke. Das alles habe etwas Krankhaftes. Schliesslich müsse man sich klarmachen, dass man da über Kinder im Alter von 13 Jahren rede, die man auf Grund ihrer doppelten Staatsbürgerschaft diskriminieren wolle. Thuram sprach davon, dass er sich verletzt fühle und genug davon habe, dass man als farbiger Franzose auch im Jahr 2011 nicht aus dem Teufelskreis herauskomme und weiterhin nur auf Grund seiner Hautfarbe in Zweifel gezogen werde.
Auch der farbige Altstar von Olympique Marseille, Basile Boli, war ausser sich darüber, dass ein Teamchef und hohe Verbandsfunktionäre an einer Sitzung teilgenommen haben, bei der über Quoten gesprochen wurde, und fragte, ob etwa die Generationen von Koppa, Platini, Zidane und jetzt Nasri dem französischen Fussball nichts gebracht hätten. Man möge sich bitte vorstellen, ein Zidane wäre auf Grund von Quoten nicht gefördert worden und nie in die Nationalmannschaft gekommen.
Zu viele Schwarze?
Der Präsident des Fussballverbandes, Fernand Duchaussoy, eine Art jovialer Vereinsmeier, den man sich gut an jeder Art von Stammtisch vorstellen kann, behauptete ebenso wie seine Stellvertreter, er habe von all dem nichts gewusst. Doch auch dies war mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Lüge. Derjenige, der die Diskussion während der fraglichen Sitzung aufgezeichnet hatte, war Mohamed Belkacemi, einTrainer, der im Verband für den Amateurfussball in Frankreichs Problemvororten verantwortlich ist und für seine langjährige, hoch gelobte Arbeit in diesem schwierigen Umfeld erst vor einem Jahr den Nationalen Verdienstorden bekommen hatte.
Er verlass eine Erklärung und gab zu Protokoll, er habe den einzigen Tonmitschnitt damals bereits am nächsten Tag, am 9. November 2010, der Nummer Drei in der Hierarchie des französischen Fussballverbandes übergeben. Der Funktionär hat ihn dann offensichtlich in die allerunterste Schublade gesteckt und dort vergessen oder ihn unter den berühmten Teppich gekehrt. Mohamed Belkacimi wollte mit dieser Aufzeichnung verbandsintern Zeugnis ablegen, wie er sich ausdrückte, und unerträgliche Äusserungen anprangern, die er schon in Seminaren und Sitzungen zuvor schon gehört hatte. Sie brachten mehr oder weniger immer ein- und dieselbe Überzeugung zum Ausdruck: Es gäbe zu viele Schwarze in Frankreichs Jugendnationalmannschaften.
Frankreich hadert mit sich selbst
Gemäss dem Mitschnitt von der Besprechung am 8. November 2010 verstieg sich Laurent Blanc zu Sätzen, die er heute bitter bereuen dürfte und die dazu geführt haben, dass in Frankreich eine ganze Woche lang mehrmals täglich die Frage gestellt wurde, ob der Sohn aus kommunistischem Arbeitermilieu und Libero der Weltmeistermannschaft von 1998 Rassist sei oder nicht. Beim Stichwort athletische Fähigkeiten hat Laurent Blanc, den seine Mitspieler einst den Professor nannten, laut Gesprächsprotokoll gesagt: „Wer sind denn die Grossen, die Robusten, die Kräftigen? Das sind doch wohl die Schwarzen."
Dann aber fügte er hinzu: „Ich habe mit den Spaniern geredet. Die haben dieses Problem nicht. Die haben keine Schwarzen“ . Sätze, die in den Bannmeilen der französischen Städte, unter den Millionen farbigen Franzosen und gerade unter den Fussball begeisterten Jugendlichen eine verheerende Wirkung haben mussten und erneut zeigen, was in den letzten Jahren bei den verschiedensten Gelegenheiten deutlich geworden ist: Frankreich hat heute Schwierigkeiten, sich so zu akzeptieren, wie es in seiner Gesamtheit nun einmal ist, nämlich sehr gemischt und farbig.
Dabei ist bezeichnend , dass es sogar in den Spitzengremien der populärsten aller Sportarten sowie auf den Trainerstühlen der ersten und zweiten Liga und in den Büros der Vereinspräsidenten nicht anders ist als in der französischen Politik. In den Parlamenten und Ministerien findet man - mit ganz wenigen Ausnahmen - praktisch niemanden mit afrikanischem Migrationshintergrund.
Ein Sturm im Wasserglas
Millionen von Franzosen, so sagte einst die aus dem Überseedepartement Guyanne stammende Abgeordnete, Christiane Taubira mit Blick auf die Elite in Frankreichs Wirtschaft und Politik, schauten sich um, sähen sich aber nirgendwo repräsentriert.
Immerhin hat Frankreichs Sportministerin die Brisanz der Enthüllungen der Stammtischgespräche im französischen Fussballverband unmittelbar erkannt und umgehend zwei Untersuchungskommissionen eingesetzt. Deren Ergebnisse sind jetzt nach nur einer Woche bekannt gegeben wurden. Allerdings brachten sie nichts wirklich Neues ans Tageslicht und forderten auch keine Konsequenzen aus dieser Affäre. Teamchef Laurent Blanc, der sich für seine Worte entschuldigt hat, kann bleiben. Nach zehn Tagen Wirbel herrscht jetzt der Eindruck vor, die ganze Affäre sei nicht mehr gewesen als ein Sturm im Wasserglas.
Während dieses Sturms ist aber zumindest der Unsinn der Diskussion über das so genannte Problem der doppelten Staatsangehörigkeit von jungen Fussballtalenten auch dem Letzten klar geworden. Denn schliesslich wechseln ganz überwiegend nur diejenigen in das Nationalteam ihres zweiten Heimatlandes, die in der französischen Nationalmannschaft keinen Platz finden. Und dies ist letztlich doch nur gut für das internationale Image des französischen Ausbildungs- und Förderungssystems im Fussball. Und schliesslich - das sagte auch die Sportministerin - könne man den Spiess ja auch umdrehen und fragen: Was wäre denn die französische Nationalmannschaft ohne die Spieler mit doppelter Staatsangehörigkeit?
Erschreckend und dämlich
Doch die Affäre um eine ethnische Quotenregelung bei der Talentauswahl im Fussball ist nichts weniger als ein Spiegelbild dessen, was in der französischen Gesellschaft derzeit vor sich geht. Von einer "Le-Penisierung" der Gedanken ist die Rede und in der Tat wird das Gedankengut der rechtsextremen Nationalen Front zusehends hoffähiger. Die Vorsitzende der Sozialisten, Martine Aubry, aber nicht nur sie, machte in diesen Tagen Frankreichs Staatspräsidenten dafür verantwortlich. „Wenn man eine Regierung und einen Präsidenten hat“, so Aubry, „die der Bevölkerung täglich eintrichtern, dass die Revolutionen im arabischen Raum beunruhigend, dass Muslime ein Problem sind und dass die Immigranten der Grund für unsere Probleme sind, dann werden eben selbst im Fussball derartige anrüchige Äusserungen möglich. Das ist nicht nur inakzeptabel, es ist erschreckend und dämlich.“
Über die Frage, wie man zu Teamchef Laurent Blanc stehen soll, hat sich in den letzten zehn Tagen dann zu allem Überfluss auch noch die einst hoch gelobte, multikulturelle Weltmeistermannschaft von 1998 öffentlich zerstritten und zwar nach ethnischen Gesichtspunkten. Die Dunkelhäutigen von damals forderten überwiegend Blancs Rücktritt, die Hellhäuttigen, unter ihnen Bixente Lizarazou oder Christophe Dugarry, hielten zu ihm. Symbolisch gesehen ist dies vielleicht das Schlimmste an dieser Affäre. Die Zeit dieser bunten 98er Nationalmannschaft, damals fälschlicherweise als Symbol für eine gelungene Integration auf den nationalen Altar gehoben, scheint jedenfalls Lichtjahre zurück zu liegen.
Teamchef Laurent Blanc bleibt also im Amt. Moralisch ist dies vielleicht fragwürdig, sportlich für Frankreichs Fussballnationalmannnschaft eher eine gute Nachricht und sogar politisch durchaus wichtig. Denn wäre der weisshäutige Laurent Blanc, der ja auch noch Weiss heisst, auf Grund seiner Äusserungen über Schwarze zum Rücktritt gezwungen worden, hätte sich Frankreichs extreme Rechte die Hände reiben dürfen und ihre Vorsitzende, Marine Le Pen, in den Meinungsumfragen mit Sicherheit nochmals zwei bis drei Prozent zugelegt. Im Frankreich des Jahres 2011 ist dies schlicht die Realität - leider.