Mit dem Beitritt Schwedens ist die Nato-Norderweiterung abgeschlossen. Für Russlands Präsidenten Wladimir Putin ist die durch den Angriff auf die Ukraine ausgelöste Erweiterung ein strategisches Debakel. Das westliche Militärbündnis rückt nun noch näher an sein Land heran.
Am Donnerstag, 7. März 2024, ist die Urkunde, die Schwedens Beitritt zur Nato besiegelt, im US-Aussenministerium in Washington eingetroffen. Dort werden die Gründungsdokumente des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses offiziell aufbewahrt. Heute Montag, 11. März, wird in Brüssel am Nato-Hauptquartier die Flagge Schwedens feierlich gehisst. Damit ist der Beitritt des während 200 Jahren bündnisfreien skandinavischen Lands formal und symbolisch vollzogen. Zuvor war im April 2023 schon Finnland zur Nato gestossen. Finnland war zuletzt ein neutraler Staat gewesen. Zum Nordatlantikpakt, der 1949 – vier Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs – als Bollwerk zur Abwehr der sowjetischen Expansion in Europa gegründet worden war, gehören nunmehr 32 Mitgliedstaaten.
Mit dem Beitritt von Finnland und Schweden ist die Norderweiterung der Nato abgeschlossen. Dem Bündnis gehören nun sämtliche nordischen Staaten an, also auch noch Dänemark, Island und Norwegen. Das stärkt die Nato in der Arktis und an der Nordostflanke. Das Bündnis ist damit noch näher an Russland herangerückt. Es verfügt nun in Finnland über eine neue, 1300 Kilometer lange Grenze mit dem osteuropäischen Staat, der im Februar 2022 das Nachbarland Ukraine überfallen hat und seither dort einen Eroberungskrieg führt. Zudem ist die Ostsee mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens faktisch zu einem Nato-Meer geworden, in dem Wladimir Putins Baltische Flotte operieren muss. Das Baltikum mit den drei Staaten Estland, Lettland und Litauen – nur mit der 65 Kilometer breiten Suwalki-Lücke mit Polen und dem übrigen Bündnisgebiet in Mittelosteuropa verbunden und deshalb die Achillesferse der Nato – kann nun besser verteidigt werden.
Moderne Armeen, leistungsfähige Rüstungsindustrie
Mit Finnland und Schweden gewinnt die Nato in Nordeuropa deutlich an Kampfkraft. Finnland verfügt über besonders starke Landstreitkräfte und mit über 800 Geschützen die wohl schlagkräftigste Artillerie Europas. Dazu kommen noch über 200 Leopard-2-Kampfpanzer. Finnlands Armee gehören 24’000 aktive Soldatinnen und Soldaten an. Knapp 54'000 Angehörige haben paramilitärische Einheiten. Im Ernstfall kann der Staat zudem auf 870’000 Reservisten zurückgreifen. In Finnland gilt die Wehrpflicht.
Schweden besitzt eine moderne Marine: Die «Tarnkappen-Korvetten» der Visby-Klasse können sowohl zur U-Boot-Jagd als auch zur Aufklärung eingesetzt werden. Die selbstentwickelten U-Boote der Gotland-Klasse sind den Begebenheiten der Ostsee angepasst und können auch in seichteren Gewässern operieren. Ebenfalls im eigenen Land hergestellt sind die rund 100 Gripen-Kampflugzeuge, die 2014 in der Schweiz in einer Volksabstimmung abgelehnt wurden.
Damit ist auch gesagt, dass Schweden über eine leistungsfähige Rüstungsindustrie verfügt. Eine Eigenentwicklung ist etwa der Schützenpanzer CV90, der als effizient gilt und auch in der Schweizer Armee verwendet wird. «Made in Sweden» ist zudem der Stridsvagn 122, der eine verbesserte Version des deutschen Leopard 2 ist und dem der Ruf vorauseilt, der vielleicht beste Kampfpanzer der Welt zu sein. Das Land produziert auch Schnellfeuerwaffen, schultergestützte Panzerabwehrwaffen und Munition – darunter 155-Milimeter-Granaten, die dem Nato-Standard in der Artillerie entsprechen und die auch von der Ukraine im Krieg gegen Russland gebraucht werden.
Die grösste Schwäche der schwedischen Armee ist ihre Truppenstärke. Im Kriegsfall könnten zurzeit insgesamt nur rund 60’000 Soldatinnen und Soldaten mobilisiert werden. Doch das Problem ist erkannt: Bis 2030 soll die Truppengrösse auf 100’000 Personen ausgebaut werden. Dazu soll die Zahl jährlich ausgebildeter Rekruten auf rund 10’000 verdoppelt werden. Auch in Schweden gilt die Wehrpflicht.
Strategische Vorteile in der Ostsee und in der Arktis
Mit Ausnahme Russlands gehören nun alle Anrainerstaaten der Ostsee der Nato an. Die Meerenge Öresund zwischen Kopenhagen und Malmö am Eingang zur Ostsee wird fortan komplett vom westlichen Militärpakt kontrolliert. Das Gleiche gilt für die Insel Gotland. Wer diese beherrscht, habe einen strategischen Vorteil, sagen Experten. Mit Schweden gewinnt die Nato zudem einen wichtigen Transitkorridor für den Fall eines Konflikts an der Ostgrenze des Verteidigungsbündnisses. So könnten die USA über den Atlantik und die Nordsee Verstärkung an den Hafen von Göteborg liefern. Von dort könnten Truppen und Waffen auf Schienen oder über den Wasserweg nach Finnland oder ins Baltikum transportiert werden.
Auch in der Arktis kann die Nato durch den Beitritt Finnlands und Schwedens ihre Präsenz ausbauen. Sieben der acht Länder, die dem arktischen Rat angehören – also alle ausser Russland –, sind nun Teil des westlichen Militärbündnisses. Unter den schmelzenden Eismassen der Arktis verbergen sich begehrte Rohstoffe und neue, kürzere Seewege. Die Polarregion gilt deshalb als strategisch wichtig. Finnland und Schweden – wie auch Norwegen – verfügen zudem über Streitkräfte mit Erfahrung mit den klimatischen Bedingungen in der Arktis. Diese ist wichtig, denn die Kriegsführung bei hohen Minustemperaturen erfordert eine andere Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten von der Kleidung bis zu den Waffensystemen.
Für den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, der die Nato eigentlich auf Distanz zu seinem Land halten wollte, erweist sich der Beitritt Finnlands und Schwedens damit als strategisches Debakel. Das westliche Militärbündnis rückt nun noch näher an Russland heran. Der Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato wurde direkt durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöst. Die beiden neutralen bzw. bündnisfreien Staaten – direkte oder indirekte Nachbarn Russlands – sahen ihre Sicherheit in Zukunft in der Nato besser gewährleistet, als wenn sie militärisch auf sich allein gestellt geblieben wären.