Im Falle ihres Wahlsieges wollen die Republikaner die Unterstützung der Ukraine stoppen. Für die meisten Europäer eine Horrorvorstellung. Aber wie lange kann und soll der Krieg fortgeführt werden? Ein Blick in die Geschichte liefert keine hoffnungsvollen Perspektiven.
Schon bald nach seinem Ausbruch wurde der Ukraine-Krieg von Fachleuten mit dem Ersten Weltkrieg verglichen. Auch damals glaubten die Beteiligten an eine kurze Dauer. Statt dessen wurde daraus ein langer Stellungskrieg. Und alle Kriegsparteien glaubten daran, dass sie mit immer effizienteren Waffen eine Entscheidung herbeizwingen könnten. Sie steigerten aber nur das maschinelle Gemetzel.
Am Ende wurde Deutschland zwar besiegt, aber Deutschland ist nicht mit Russland in der heutigen neuen «Weltunordnung», wie Herfried Münkler die Gegenwart bezeichnet, zu vergleichen. Player wie China, Iran und andere haben ein Interesse daran, dass Putins System nicht durch einen Rückzug aus der Ukraine ins Wanken gerät oder Russland sogar vollends kapituliert. Man wird also den Krieg am Köcheln halten.
Aber auch ein Rückzug des Westens aus dem Ukraine-Krieg bietet keinerlei hoffnungsvolle Aussichten. Denn damit lässt sich dieser Krieg nicht beenden. Der englische Historiker Ian Kershaw hat in seinem umfangreichen Werk über den Zweiten Weltkrieg, «To hell and back», deutsch: «Der Höllensturz», beschrieben, wie in ganz Europa in den 1930er Jahren mehr und mehr ideologische Konflikte – Kommunismus, Faschismus – aufbrachen und sich ungeklärte Gebietsansprüche mit ethnischen Auseinandersetzungen aufluden. Zudem zerbrachen traditionelle Ordnungen und die mit ihnen verbundene Sicherheit, so dass zum Beispiel ein Mussolini in Italien anfangs gerade auch von den alten Eliten als Retter in der Not bejubelt wurde.
Keine Optionen des Westens
Aus westlicher Sicht mögen die russischen Ansprüche auf die Zugehörigkeit der Ukraine zu Russland als sachlich unbegründet erscheinen und der gerade auch von der russisch-orthodoxen Kirche orchestrierte ideologische Abwehrkampf gegen den «Westen» eine Form von Irrsinn darstellen. Aber dieser Zündstoff wird den Krieg auch nach einem Rückzug des Westens in der einen oder anderen Form am Leben erhalten. Im Sinne von Ian Kershaw kann man in der Ukraine einen Wiedergänger alter Konfliktmuster sehen. Zudem macht Herfried Münkler darauf aufmerksam, dass Russland kein «saturierter Staat» ist, also nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vermeintlich verlorene Gebiete zurück haben will. Davor haben die angrenzenden Länder aufgrund ihrer leidvollen geschichtlichen Erfahrungen einen Horror.
So betrachtet hat der Westen keine Optionen. Zieht er sich, wie von den Republikanern und rechtspopulistischen Bewegungen in Europa gefordert, zurück, wird der Krieg wie eine Krake weiter um sich greifen. Liefert er weiter Waffen, wird die Gegenseite sich zu wehren wissen – Ende offen.
Und die westlichen Gesellschaften zeigen Auflösungserscheinungen ihrer nationalen und internationalen Institutionen, die in den Friedensjahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg für mehr und mehr politische Stabilität gesorgt haben. Diese Parallelität von äusseren und inneren Konflikten fällt im Blick auf die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts besonders ins Auge. Es wirkt so, als sei eine Art Code zerbrochen, der nach dem Zweiten Weltkrieg in weiten Teilen Europas für Stabilität und Frieden gesorgt hat. Ian Kershaw schildert, wie lange es in Europa gedauert hat, sich aus den Wirren des Zweiten Weltkriegs zu befreien und zumindest im Westen eine freiheitliche Friedensordnung zu schaffen. In Amerika verlief die Geschichte anders, aber man darf nicht vergessen, wie mühsam der Weg aus dem Bürgerkrieg war, bis sich diese Art Code der Ordnung etablierte.
Der Blick in die Vergangenheit des Zweiten Weltkriegs verdeutlicht, dass wir noch weit davon entfernt sind, die Dynamik des jetzigen Geschehens wirklich zu verstehen. Man macht es sich zu einfach, in Wladimir Putin oder Donald Trump samt ihren Gefolgsleuten blosse Irre zu sehen. Sie sind Exponenten von Verwerfungen in der amerikanischen Gesellschaft und destruktiver Entwicklungen, die sich derzeit auch in Europa Bahn brechen. Unser Denken ist noch viel zu harmlos, um dieser Tatsache gerecht zu werden. Wie das gehen soll, weiss derzeit niemand, aber man sollte sich an die richtigen Fragen herantasten.