Auf dem Medienschachtfeld hat die islamische Republik den Krieg verloren. Weniger als 40 Prozent der Iraner schauen das staatliche Fernsehen. Der offizielle Medien- und Propaganda-Apparat beschäftigt gegen 30’000 Mitarbeiter und wird streng vom Geheimdienst überwacht.
«Sie suchen einen Hals für ihren Galgen», das war der letzte Satz ihres Bruders Navid Afkari. Zwei Tage später wurde er hingerichtet.
Navid war ein landesweit bekannter Sportler, ein Ringer. Ringen ist Irans Nationalsport. Er gehörte dem Nationalteam des Landes an, in vielen nationalen und internationalen Kämpfen hatte er sowohl beim Freistil wie dem griechisch-römischen Stil mehrere Pokale und Medaillen gewonnen. Navid war 27 Jahre alt, als er am 2. Oktober 2020 in einem Gefängnis seiner Heimatstadt Schiraz am Galgen starb. Gemeinsam mit seinen jüngeren Brüdern Vahid und Habib hatte er zwei Jahre zuvor an Demonstrationen gegen die plötzliche Verdreifachung der Benzinpreise teilgenommen.
In Schiraz, wie in 120 anderen Städten Irans waren damals mehrere Hunderttausend Demonstranten tagelang auf der Strasse. Schliesslich schlugen die Revolutionsgarden den Aufstand blutig nieder. Mindestens 1500 Demonstranten wurden dabei getötet, berichteten die Nachrichtenagenturen.
Nach der Hinrichtung Navids wurden seine beiden jüngeren Brüder zu langen Haftstrafen verurteilt. Vahid zu 54 Jahren Gefängnis und 74 Peitschenhieben, Habib zu 27 Jahren und 72 Peitschenhieben.
Nun war die Schwester Elham an der Reihe. Elham wiederholte seit dem Tod ihres Bruders in allen Interviews immer wieder seinen letzten Satz: «Sie suchen einen Hals für ihren Galgen.» Der vielsagende Satz wurde schliesslich zu einem Spruch, einem geflügelten Wort für die Willkür des Regimes.
Am vergangenen Donnerstag meldeten die Agenturen der Revolutionsgarden, anonyme Soldaten des verborgenen Imams hätten die Terroristin Elham Afkari ausfindig gemacht und verhaftet. Ihr Bild mit verbundenen Augen und gesenktem Kopf in einem vergitterten Mannschaftswagen erschien auf allen Webseiten. Sie war gemeinsam mit ihrem dreijährigen Kind in ihrer Wohnung in Schiraz verhaftet worden. Said, ihr jüngster, noch freier Bruder twitterte am Samstag, die Familie wisse nicht, wo sie sei, um ihr die gute Nachricht zu bringen, dass ihr Kind inzwischen frei sei.
Elhams «Terrorakt» war ein Interview, das sie zuvor dem persischsprachigen Fernsehsender «Iran International» gegeben hatte. Dieser Sender war am Tag zuvor von dem Geheimdienstminister Esmail Khatib zur Terrororganisation erklärt worde;, jeglicher Kontakt mit dem Sender sei eine terroristische Handlung, eine Kollaboration mit dem Feind, verkündete der Minister. «Feindesmedien» ist ein stehender Begriff, den man jedes Mal, fast ausnahmslos in allen Ansprachen von Ali Khamenei, dem mächtigsten Mann des Landes hört.
Und was macht man in Krisenzeiten wie in diesen mit dem Feind? Wie immer ist Hinrichtung nicht die letzte, sondern die schnellste und verfügbarste Methode, die die Gottesmänner für die Lösung ihrer zahlreichen Herrschaftsprobleme wählen. Kein Wunder, dass das Land das makabre Hinrichtungs-Ranking der Welt anführt.
Doch auf dem Medienschlachtfeld hat die islamische Republik längst den Krieg verloren. Schaut man sich die Fronten dieses Krieges an, kann man nur staunen, wer wen besiegt hat.
«Stimme und Antlitz»
Auf der einen Seite stehen die bestausgerüsteten Truppen von «Seda und Sima», صدا و سیما : Diese zwei Worte mit dem gleichen Anlaut bedeuten im Persischen «Stimme und Antlitz». Spricht man sie in einem Atemzug, also zusammenhängend aus, klingt das bedeutungsvoll und poetisch zugleich.
Wer im Iran erstmals auf die geniale Idee kam, für Funk und Fernsehen diese Alliteration zu wählen, ist nicht überliefert. Doch die gleichermassen originelle wie intelligente Namensgebung blieb unübertroffen, überlebte sogar die islamische Revolution. Mit dieser Institution geht man genauso streng und strikt um wie mit der Armee oder dem Geheimdienst.
Gardist oder Geheimdienstler
Funk und Fernsehen unterstehen gemäss Verfassung der islamischen Republik direkt dem Revolutionsführer, nur er allein bestimmt das Spitzenpersonal und die Richtlinien von «Stimme und Antlitz». Niemand, nicht einmal das Parlament oder der Präsident, darf sich in die internen Angelegenheiten dieser Institution einmischen. Kurzum, Radio und TV werden im Iran ähnlich akribisch verwaltet und überwacht wie die Armee, die Revolutionsgarden oder der Geheimdienst.
Der Chef dieser Institution kommt entweder aus dem Geheimdienst oder aus den Reihen der Revolutionsgarden. Das ist ein ungeschriebenes, quasi selbstverständliches Gesetz, das stets eingehalten wird.
Ein Mammutapparat
Annähernd 30’000 Mitarbeiter hat dieser Propagandaapparat, der streng von dem eigenen Geheimdienst überwacht wird. «Stimme und Antlitz» strahlen 100 TV- und noch mehr Radioprogramme aus, nicht nur in persischer, sondern in Dutzenden anderen Sprachen, besitzen eigene Produktions- und Import-Exportfirmen, Studios für Kinofilme und eigene Schulen sowie Hochschulen.
Zu diesem gigantischen Propagandaapparat kommen eine bestausgerüstete Cyberarmee, unzählige Zeitungen, Zeitschriften und zahlreiche Verlagshäuser. Und das ist wahrscheinlich immer noch nicht eine vollständige Aufzählung der Truppenkontingente dieser Propagandaarmee.
An der vordersten Front der anderen Seite stehen vor allem drei TV-Sender: Iran International, BBC-Persian, und Manoto-TV. Diese strahlen aus London ihre persischen Programme per Satellit aus. Hinzu kommt eine Radiostation, Radio Farda, die aus Prag sendet.
Nur 38 Prozent der Iraner sehen das offizielle Fernsehen
Genau vor einem Jahr gab «Stimme und Antlitz» das Ergebnis einer eigenen Studie über Zuschauerverhalten bekannt: Nur 38 Prozent der Iraner sehen das offizielle Fernsehen, der Rest schaut die persischen Programme aus London. Noch interessanter ist eine andere Feststellung: Je jünger und gebildeter, umso weniger konsumieren sie heimisches Fernsehen. Ob diese offizielle Untersuchung die ganze Realität wiedergibt, selbst das ist mehr als fraglich.