Das tolldreiste Kalkül von Boris Johnson, das britische Unterhaus kurz nach der Rückkehr aus der Sommerpause für nicht weniger als fünf Wochen erneut zu vertagen, um so am 31. Oktober einen vertragslosen Brexit durchzudrücken, ist gescheitert. Zwar wird der fünfwöchige Betriebsunterbruch am kommenden Montag tatsächlich beginnen, weil es zu den skurrilen Rechten eines britischen Regierungschefs gehört, solche Parlamentspausen zu deklarieren. Doch der eigentliche Zweck von Johnsons «Ferien-Diktat», den Handlungsspielraum des Parlaments nach der Rückkehr am 14. Oktober drastisch einzuschränken, ist nun von einer klaren Mehrheit durchkreuzt worden.
Ausschluss der Tory-Rebellen
Das am Mittwoch angenommene Gesetz zwingt Johnson, die EU um eine Verlängerung des Brexit-Termins bis Ende Januar zu ersuchen – sofern bis zum 19. Oktober kein neu ausgehandelter Vertragstext vorliegt. Eine solche Fristerstreckung für den Brexit aber geht dem Premier total gegen den Strich. Er will unter allen Umständen einen No-Deal-Brexit durchboxen. Damit soll die Konkurrenz der extremen Brexit-Partei von Nigel Farage ausgeschaltet werden, die den Tories bei den nächsten Wahlen gefährlich werden könnte. Wenn es Johnson gelänge, am 31. Oktober vertragslos die EU zu verlassen, so könnte er sich sowohl den gemässigten als auch den radikalen Brexit-Anhängern als jener tapfere Drachentöter präsentieren, der die ersehnte Befreiung von den Fesseln der angeblich tyrannischen EU endlich vollbracht hat.
Doch dieser durchsichtige Trick des skrupellosen Boris ist nun vorläufig von einer Mehrheit im Unterhaus blockiert worden. Zu dieser Mehrheit haben rund 20 Abgeordnete aus Johnsons eigener Partei beigetragen, die mit guten Gründen einen vertragslosen Austritt aus der EU als ein für die britische Wirtschaft toxisches Abenteuer betrachten. Diese sogenannten Tory-Rebellen sind von Johnson und seiner Kamarilla kurzerhand aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Das bedeutet, dass sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr für die Konservativen kandidieren können – sofern Johnson dann immer noch das Szepter in der Partei führt.
Aber mit der Niederlage Johnsons vom Dienstag und Mittwoch im Unterhaus ist die Schlacht um einen No-Deal-Exit noch nicht definitiv geschlagen. Der Premier versuchte nach diesem Rückschlag eine Neuwahl des Parlaments für den 15. Oktober auszurufen. Das hätte ihm nur gelingen können, wenn ihn eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus unterstützt hätte. Diese Mehrheit wurde am Mittwochabend klar verfehlt – obwohl die oppositionelle Labour-Partei lange Zeit eine vorzeitige Parlamentswahl befürwortet hatte.
Blair warnt vor der «Elefanten-Falle»
Der frühere Labour-Premier Tony Blair hatte schon vor einigen Tagen seine Partei eindringlich davor gewarnt, einer solchen Neuwahl zuzustimmen, bevor ein No-Deal-Brexit endgültig verhindert sei. Er bezeichnete eine solche Wahl, bevor eine No-Brexit-Lösung zuverlässig gesichert sei, als «Elefanten-Falle» für die Labour-Party. Und zwar deshalb, weil unter diesen Vorzeichen die Opposition gegen einen vertragslosen EU-Austritt unter verschiedenen Parteien aufgespalten würde, was wiederum den Konservativen einen Wahlsieg verschaffen würde.
Restlos überzeugend ist Blairs Argumentation allerdings nicht. Immerhin kann man sich ausmalen, welche Register der begabte Demagoge Boris Johnson in einem Wahlkampf ziehen würde, der schon in wenigen Wochen mit der ungelösten Brexit-Frage im Zentrum stattfinden würde.
Neue Gaukler-Tricks?
Das am Mittwoch vom Unterhaus angenommene Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit geht nun zur Debatte ins Oberhaus. Damit es in Kraft tritt, muss es vor dem kommenden Montag – dem Beginn der von Johnson verordneten Zwangspause – ins Unterhaus zurückgeschickt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass einige Tory-Lords im Oberhaus versuchen werden, die Rücksendung an das Unterhaus durch Filibuster-Reden zu verzögern. Damit könnte die gesetzte Frist überschritten werden, womit das Anti-No-Deal-Gesetz torpediert wäre.
Mit Sicherheit hat der gewissenlose Pokerspieler Boris Johnson sein Nahziel, sich dem britischen Wahlvolk als erfolgreicher No-Deal-Brexiteer anzupreisen, noch nicht aufgegeben. Er dürfte in den nächsten Tagen und Wochen noch diverse Gauklertricks aus dem Ärmel ziehen, um sein Machtspiel doch noch zu gewinnen. Dagegen gibt es nur ein zuverlässiges Rezept: Die Gegner eines No-Deal-Brexit (von der Mehrheit unter den Labour-MPs über die Liberaldemokraten bis zu den nordirischen, schottischen, walisischen Abgeordneten und den Tory-Rebellen) müssen über alle Partikularinteressen hinweg konsequent am gleichen Strick ziehen. Am Dienstag und Mittwoch haben sie das mit Erfolg getan. Boris Johnson muss jetzt seine Wunden lecken.