Als Delegierter für Handelsverträge wurde ich 1976 nach Bern berufen. Da musste ich Sitzungen präsidieren und Vorträge halten. Ich fragte einen befreundeten Tessiner Parlamentarier, welche der drei Landessprachen ich verwenden sollte. Er antwortete: Se vuoi fare un bel discorso, fallo in italiano. Si tu veux être entendu, fais le en français. Wenn Du willst, dass man dir folgt, spreche Deutsch. Noch besser: Beginne mit einem Gruss in Mundart. Also: Grüezi mitenand!
Ich wurde übrigens für die Swiss Awards 2010 vom Schweizer Fernsehen nominiert: als unermüdlicher Kämpfer für ein weltweites Landminen- und Streubomben-Verbot. Im Bewusstsein, dass ich keinen Award erhalten würde, habe ich es – trotz meiner allgemeinen Zurückhaltung für grosse Shows – akzeptiert, am vergangenen Samstag hinzugehen. Ich erachtete dies als gutes Mittel, um die Aufmerksamkeit auf eines der grossen humanitären Probleme zu lenken.
Appell für ein Totalverbot von Landminen
Als Präsident des IKRK hatte ich 1994 einen Appell für ein "Total Ban on Landmines" lanciert. Mich hat damals stark beindruckt, wie auf allen Kriegsschauplätzen Personenminen eingesetzt werden. Opfer davon waren meistens Kinder und andere Zivilisten, und zwar noch Jahre, nachdem die bewaffneten Operationen sich verschoben hatten oder eingestellt wurden.
Das brachte auch mit sich, dass viel fruchtbares Land nicht mehr beackert werden konnte. Das IKRK hatte sich für die physische und soziale Rehabilitierung der Opfer stark engegiert, für jene also die nicht sofort vor Ort gestorben waren.
Die IKRK-Delegierten wussten, dass die Opfer von Minen Soforthilfe brauchen. Um diese Menschen zu retten, müssen sie schnell in eine klinische Einrichtung transportiert werden, damit sie nicht verbluten.
Das war nicht immer leicht. Auch deshalb nicht, weil die lokalen Behörden dem Minenproblem wenig Aufmerksamkeit schenkten. Die lokalen Rot Kreuz- oder Rot Halbmond-Gesellschaften waren zudem für Krankentransporte nicht genügend ausgerüstet und konnten so das IKRK zu wenig unterstützen.
Geschosse, die unnötiges Leiden verursachen
Meine IKRK-Ärzte sagten immer wieder, wie schlimm Minen-Verletzungen sein konnten. Meistens betroffen wurden die unteren und oberen Glieder, die Genitalien, das Gesicht und insbesondere die Augen. Sehr oft musste amputiert werden. Zudem mussten komplizierte Operationen durchgeführt werden: langwierige und schwierige chirurgische Eingriffe bei Kindern, Frauen und Männern.
Das waren die Beweggründe für mich, diesen Appell für ein Totalverbot von Landminen zu lancieren. Aufgemuntert dazu wurde ich auch von Krankenschwestern und Ärzten. Verschiedene meiner Kollegen (Juristen, Operationelle und andere) waren allerdings nicht begeistert. Sie sagten, es sei nicht Aufgabe des IKRK-Präsidenten, sich in einer Waffenfrage öffentlich verlauten zu lassen.
Ich stützte mich auf Art. 35 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen. Dieses verbietet Waffen oder Geschosse, die unnötiges Leiden verursachen. Diese Bestimmung ist jetzt als Völker-Gewohnheitsrecht anerkannt.
Unterstützt von der gesamter Rot Kreuz- und Rot Halbmond-Bewegung sowie einigen Zivilgesellschafts-Vereinigungen, entstand so eine Dynamik. Diese führte schliesslich mit der Ottawa-Konvention im Dezember 1997 zum Erfolg - nicht zuletzt auch wegen der sehr limitierten Fortschritte bei der Revision der UNO-Konvention über konventionelle Waffen.
Die Schweiz brillierte nicht
Heute, mehr als zehn Jahren nach dem Inkrafttreten der Konvention, haben sich 156 Staaten verpflichtet, Personenminen weder herzustellen, noch zu lagern, zu exportieren, noch einzusetzen. Diese Staaten verpflichten sich auch, alle gelagerten Minen zu zerstören und die verseuchten Gebiete zu säubern.
Die Schweiz brillierte nicht in den Verhandlungen. Dagegen spielten Kanada, Österreich, Belgien und Südafrika eine wesentliche Rolle. Dennoch wurde auf Initiative des Bundesrates eine wichtige und international geschätzte Stiftung gegründet: das Genfer Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung. Dieses setzt sich nicht nur für die Implementierung des Übereinkommens ein, sondern engagiert sich auch in der Minenforschung. Ich präsidierte, nach meiner IKRK-Zeit, während acht Jahren (2000-2008) das Zentrum.
Das IKRK hatte sich in den Neunzigerjahren für die Schaffung der Konvention stark gemacht. Man engagierte sich vor allem auch bei der Formulierung des Abkommens-Textes, der übrigens auch Bestimmungen für den Opferbeistand enthält. So sollten möglichst viele Regierungen, vor allem aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa motiviert werden, der Konvention beizutreten.
Nie zuvor hatte das IKRK eine öffentliche Kampagne mit Einsatz von spezialisierten Firmen durchgeführt. Ich versuchte meinerseits, die G7-Länder auf das Problem aufmerksam zu machen. Das gelang auch. Im Communiqué des G7-Gipfels in Neapel vom 7. Juli 1994 ist folgender Passus zu finden: „ ... we assign priority to the problem of anti-personnel landmines including efforts to curb their indiscriminate use, halt their export, assist in their clearance worldwide ...“ .
Einbezug von Guerilla- und Partisanenbewegungen
Das waren bedeutende Schritte zur Humanitären Abrüstung. Im Grunde genommen waren sie eine Folge der "Petersburger Erklärung" von 1886. Damals wurde - auf Initiative Russlands - der Einsatz von Waffen, die unnötiges Leiden verursachen, limitiert. Mit andern Worten: Die Kriegsparteien haben beim Einsatz von Kampfmitteln kein uneingeschränktes Recht.
Die humanitäre Abrüstung hat es auch mit sich gebracht, dass man sich nach der Schaffung der Ottawa-Konvention mit den nicht-staatlichen Oppositionsgruppen beschäftigte. Eine mutige Nicht-Regierungsorganisation, die "GenevaCall/Appel de Genève" hat erreicht, dass solche Gruppen sich zur Einhaltung des Minenverbot-Abkommens verpflichten. Unter der Schutzherrschaft des Chancellier de la Répblique wurde im Genfer Rathaus ein entsprechender "deed of committment" unterzeichnet. Mehr als 40 Oppositionsgruppen haben ihn unterzeichnet.
Schon in den neunziger Jahren waren Streubomben als humanitäres Problem bekannt. Viele dieser Einzelgeschosse explodierten nicht und blieben im Felde liegen. Sie hatten die gleichen Folgen wie Antipersonenminen.
Es bedurfte der Ereignisse am Ende des israelisch-libanesischen (Hisbollah) Konflikts im August 2006. Die Israeli schossen viele Clusterbomben auf libanesisches Gebiet und die Hisbollah setzte einige Streugeschosse gegen Israel ein. Dann endlich wurden die Regierungen dazu gebracht, eine Konvention zum Verbot dieser Munition zu schaffen.
Die Initiative kam von Norwegen. Die Verhandlungen (2007/2008) waren langwierig und brachten an einer diplomatischen Konferenz in Dublin einen Durchbruch. Die Konvention wurde – auch von der Schweiz - am 3. Dezember 2008 in Oslo auf Ministerebene unterzeichnet.
Sie trat am 1. August 2010 in Kraft. Schon Ende 2010 trafen sich die 49 Vertragsparteien in Laos zu einer ersten Konferenz: in einem Land, das noch immer stark von amerikanischen Streubomben, die während des Vietnamkrieges eingesetzt wurden, verseucht ist.
Die USA, China und Russland müssen stigmatisiert werden
Die Schweiz, eines der 108 unterzeichnenden Ländern, konnte nur als Beobachterin teilnehmen, da ihre Ratifizierung immer noch aussteht. Es mag dafür verschiedene Gründe geben; es wirft in dieser zweiten Etappe der humanitären Abrüstung allerdings ein schlechtes Licht auf die Eidgenossenschaft.
Unterstrichen werden muss, dass trotz grosser Fortschritte im Landminen-Bereich wichtige humanitäre Probleme weiter bestehen. Wegen Minen und/oder Streumunition sterben weiterhin Menschen oder werden verstümmelt. Die Zahl der Länder, die der Konvention beitreten, muss weltweit erhöht werden. Jene Länder, die sich nicht beteiligen, wie die drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates Russland, China und die USA, müssen stigmatisiert werden.
Für die Minenräumung sind mehr finanzielle Mittel notwendig. Der Wille in den industrialisierten Ländern weiterhin know how zur Minenräumung zur Verfügung zu stellen, muss gefördert werden. Der Beistand für die Opfer von Minen soll in den verseuchten Ländern, vor allem in Afrika, Asien und auf dem Balkan, Priorität erhalten und in der Gesundheitsplanung festgeschrieben werden.
Die Zivilgesellschaft – und das sind auch die Medien und die einzelne Bürger – muss die Politiker weiterhin auf das das Minen- und Streubomben-Problem aufmerksam machen.