Al Jazeera feiert sein 25-jähriges Bestehen. Sicher ist: Die meisten arabischen Herrscher hassen den Nachrichtensender. Und in den meisten arabischen Ländern wurde er mindestens einmal verboten.
Al Jazeera-Journalisten wurden und werden schikaniert, ausgewiesen, teils festgenommen. So der Ägypter Mahmoud Hussein, der über vier Jahre lange ohne formelle Anklage in einem ägyptischen Gefängnis sass. Im Februar dieses Jahres wurde er freigelassen. Ihm war «Aufwiegelung gegen staatliche Institutionen» vorgeworfen worden. Er soll falsche Nachrichten «mit dem Ziel, Chaos zu verbreiten» publiziert haben. Al Jazeera wies die Vorwürfe zurück.
Der Nachrichtensender wurde nach eigenen Angaben Cyberangriffen und staatlich sanktionierten Satelliten-Störungen ausgesetzt. Al Jazeera-Journalisten seien mit israelischer Spionage-Software verfolgt worden. Aus Edward Snowdens veröffentlichten Leaks geht hervor, dass der amerikanische Auslandgeheimdienst NSA Al Jazeera über Jahre hinweg gehackt und beobachtet hat.
Bomben
Mehr noch: Al Jazeera-Büros wurden bombardiert. Am 13. November 2001 wurde das Kabuler Büro von Al Jazeera von einem amerikanischen Militärflugzeug angegriffen. Zwei Bomben zerstörten das Haus. Ein Kameramann von Al Jazeera, Sami Al-Haj, wurde 2001 in Afghanistan festgenommen und in Guantanamo interniert. Er trat in einen Hungerstreik und wurde zwangsernährt.
Am 8. April 2003 wurde das Al Jazeera-Büro in Bagdad von amerikanischen Kampfflugzeugen angegriffen. Ein Reporter starb dabei. Präsident Georg W. Bush dachte offenbar auch daran, die Al Jazeera-Zentrale in Doha zu bombardieren. Am 15. Mai dieses Jahres zerstörte ein israelischer Luftangriff ein Hochhaus in Gaza, in dem sich die Büros von Al Jazeera und der Nachrichtenagentur Associated Press befanden.
Im Irakkrieg wurden Al Jazeera-Reporter von den irakischen Behörden des Landes verwiesen. 2004 ordnete die irakische Regierung an, das Al Jazeera-Büro in Bagdad zu schliessen. Erst sieben Jahre später wurde es wieder eröffnet.
«Der Preis der Wahrheit»
Immer wieder werden Al Jazeera-Büros von der Polizei durchsucht. Festplatten werden beschlagnahmt, so auch im vergangenen Sommer in Tunesien. Zwanzig Polizisten hatten am 26. Juli die Redaktion in Tunis gestürmt und die Journalisten aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Auch in Malaysia fand eine Razzia in einem Al Jazeera-Büro statt. Computer wurden beschlagnahmt. Im Sudan und in Jemen wurden die Büros des Senders geschlossen.
Das sei «der Preis der Wahrheit», kommentiert der Sender jetzt etwas bombastisch in einem langen Artikel zu seinem 25-jährigen Bestehen. Seit der Entstehung von Al Jazeera seien elf Journalisten ums Leben gekommen.
40 Millionen Zuschauer
Gegründet wurde der Sender vor 25 Jahren von Scheich Hamad bin Chalifa Al Thani, dem damaligen Emir von Katar. Hauptsitz ist Doha, die Hauptstadt Katars. Zehn Jahre nach Betriebsaufnahme der arabischen Programme folgte der englischsprachige Ableger.
Ein verantwortlicher Journalist von Al Jazeera sagte uns damals: «Wir wollen das CNN des Nahen Ostens» sein. Vielleicht ist das etwas hoch gegriffen. Dennoch: Al Jazeera ist der wichtigste TV-Kanal in vielen arabischen Ländern. Nach eigenen Angaben wird der Sender, der über Satellit und Kabel zu empfangen ist, täglich von 40 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern konsumiert. Al Jazeera bezeichnet sich selbst als «ersten unabhängigen Nachrichtensender in der arabischen Welt».
Sprung in die Weltöffentlichkeit
Was für CNN der Zweite Golfkrieg war, ist für Al Jazeera 9/11 und der Krieg gegen Bin Laden in Afghanistan. 1990 wurde CNN mit der Live-Berichterstattung aus Bagdad weltweit bekannt.
Al Jazeera hingegen machte den Sprung in die Weltöffentlichkeit mit seiner Berichterstattung über die Anschläge vom 11. September 2001 und die anschliessend beginnende amerikanische Intervention in Afghanistan. Der Sender besass als einzige TV-Station in Kabul ein Büro und versorgte die Welt mit Bildern, die dann von westlichen Sendern übernommen wurden. Al Jazeera war es auch, das 2001 als einzige Fernseh-Station Bilder von der Zerstörung der Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan in die Welt hinaussendete. Auch bin Laden war immer wieder auf Al Jazeera zu sehen.
Zwei Al Jazeera
Aber: Es gibt nicht nur ein Al Jazeera, es gibt zwei davon: Die arabischsprachige und die englischsprachige Version. Sie unterscheiden sich fundamental.
Dem arabischsprachigen Al Jazeera wird vorgeworfen, bewusst zur islamistischen Radikalisierung beizutragen.
Vor allem den Saudis war und ist Al Jazeera ein Dorn im Auge. Präsident Donald Trump sagte 2017 bei seinem Besuch in Saudi-Arabien, Katar finanziere den internationalen Terrorismus auf hohem Niveau. Anschliessend brachen mehrere arabische Staaten ihre Beziehungen zu Katar ab. Die Website von Al Jazeera wurde in Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrein und den Vereinigten Arabischen Emiraten gesperrt. Saudi-Arabien entzog dem Sender die Lizenz, die später wieder erteilt wurde. Das Königshaus verbot saudischen Firmen, auf Al Jazeera Werbung zu schalten. Mehrmals scheiterte die saudische Regierung daran, sich bei Al Jazeera einzukaufen und so den Sender zu kontrollieren.
Auf der Seite der Aufständischen
Währen des Gaza-Kriegs 2008/2009 berichtete Al Jazeera als einziger grosser Sender direkt aus Gaza. Die Bilder waren oft die einzige Informationsquelle westlicher Medien.
Während des Arabischen Frühlings stellte sich der Sender oft unverhohlen auf die Seite der Aufständischen. In Ägypten berichtete er flächendeckend über die Proteste gegen Präsident Hosni Mubarak und trug wesentlich zu seinem Sturz bei. Mehrere Al Jazeera-Journalisten wurden daraufhin verhaftet.
Oppositionellen eine Stimme geben
Auch in Libyen führte Al Jazeera eine eigentliche Kampagne gegen Muammar al-Gaddafi. Am 12. März 2011 wurde ein Kameramann von Al Jazeera bei Bengasi erschossen.
Al Jazeera betont, in vielen arabischen Ländern sei jede oppositionelle Stimme zum Schweigen gebracht worden. Eine kritische Berichterstattung gebe es nicht. Al Jazeeras Verdienst sei es, auch Oppositionellen eine Stimme zu geben. «Reporter ohne Grenzen» verurteilte die Zensurmassnahmen gegen den Sender aus Katar.
Unterstützung von Terroristen
Hauptkritikpunkt ist, dass der Sender Extremisten und Terroristen im Nahen Osten finanziell fördere. So soll viel Geld an extremistische salafistische Gruppen und sogar an den «Islamischen Staat» und Al-Kaida geflossen sein. Auch terroristische Organisationen in Syrien, Ägypten, Mali, dem Irak und in Libyen und Somalia (die al-Shabaab-Milizen) sollen von Katar unterstützt werden.
Vor allem aber wird Katar vorgeworfen, den Muslimbrüdern nahezustehen. Dies färbe sich stark auf die Berichterstattung des arabischen Dienstes von Al Jazeera ab. Der Sender aus Katar habe wesentlich dazu beigetragen, dass 2012 der Muslimbruder Mohammed Mursi ägyptischer Präsident wurde. Auch in Tunesien schlägt zurzeit eine Muslimbrüder-freundliche Berichterstattung durch. Die Proteste gegen den Staatspräsidenten, der die Muslimbrüder-treue Ennahda-Partei kaltgestellt hat, nehmen einen sehr breiten Raum ein. Das mag auch die Razzia auf das Al Jazeera-Büro in diesem Sommer erklären.
Die Nähe zu den Muslimbrüdern ist das eine. Für viele Regierungen und Herrscher ist das ein willkommener Vorwand, um gegen den Sender vorzugehen – ein Sender, den sie hassen, weil er ihre Regierungstätigkeit und ihre Machenschaften kritisch beleuchtet.
Das «andere» Al Jazeera
«Al Jazeera English», ein 24-Stunden-Nachrichtenkanal, hat wenig mit dem arabischen Al Jazeera zu tun. Die englische Version wird hochprofessionell und nach westlichen Kriterien gemanagt. Der Sender konnte mehrere Journalisten von BBC, CNN und ABC abwerben, unter anderem den bekannten englischen Fernsehmoderator David Frost. Selbst der ehemalige Pressesprecher der US-Streitkräfte im Irakkrieg, Josh Rushing, arbeitet für Al Jazeera English. Und sogar Hillary Clinton lobte einst den Sender («richtige Nachrichten statt Millionen Werbespots»).
Themen werden kontrovers behandelt, immer wieder lässt man verschiedene Meinungen zu Wort kommen. Auch die englischsprachige Website überrascht immer wieder mit ausgezeichneten Berichten. Al Jazeera (zu Deutsch: «Die Insel») gelingt es, wichtige Persönlichkeiten vor die Kamera zu kriegen und Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Beim Sturz der afghanischen Regierung und der Machtübernahme der Taliban war der Sender eine nötige, kritische Ergänzung zu CNN, BBC und anderen westlichen Medien.