Dem Laien ist die Dimension des aktuellen Skandals nicht klar. Die kriminelle Manipulation des Libor, der Zins-Kernzahl aller Bankgeschäfte, ist aber zweifellos die grösste Schweinerei in der an Skandalen nicht armen jüngsten Geschichte des Banking. Ein Fuld von Lehman Brothers, ein Ospel von UBS, selbst ein Madoff mit seinem Multimilliardenschneeballsystem sind unschuldige Waisenknaben dagegen. Fuld und Ospel sind zudem, das sei betont, Ehrenmänner mit blütenweisser Weste. Aber seit es Banken gibt, gab es nichts Vergleichbares wie dieses Fundamentalverbrechen. Hier stehen Gangster offenkundig und nachweisbar nicht vor, sondern hinter den Bankschaltern.
Klarstellung
Bevor wir weiterfahren, eine nötige Klarstellung. Nein, es geht um keine Sippenhaft für die rund 142 000 im Finanzsektor der Schweiz Angestellten. Wenn sie nicht Mitglied des Kaders sind, verdienen sie im Durchschnitt erträgliche 6700 Franken im Monat. Also Peanuts. Eine andere Zahl ist viel interessanter: Die gesamte Wertschöpfung des Bankensektors machte im Jahre 2010 in der Schweiz lediglich 6,7 Prozent des BIP aus. Die Zahl ist zudem sicherlich geschönt, da sie von der Schweizerischen Bankiervereinigung stammt.
Ein weitgehender Wegfall dieses Sektors wäre also problemlos verkraftbar. Das wäre zwar bitter für die kleinen Angestellten, aber angesichts der existenzbedrohenden Risiken für die gesamte Schweizer Wirtschaft, die von lediglich zwei Grossbanken ausgeht, ein Segen. Und die Chance ist da.
Übel und verfault
Alle Vergleiche, Übertragungen, Bilder und nach Veranschaulichung suchende Metaphern wirken saftlos und matt, wenn man beschreiben will, was die bewusste, organisierte und absichtliche Manipulation der Zahl aller Zahlen, eben des Libor, im weltweiten Geldgeschäft bedeutet.
Das Verschweigen der tödlichen Nebenwirkungen eines Medikaments, der Verkauf eines lebensbedrohenden Produkts, die Einleitung von toxischen Stoffen ins Trinkwassersystem: alles Verbrechen. Aber den Libor zu manipulieren, das ist etwa so, wie wenn man bewusst, absichtlich und um die Versicherungssumme zu kassieren in einem AKW eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslöst. Aber auch das ist nur ein eher schwacher Vergleich für diese zutiefst verfaulte und üble Gangstermentalität, die sich hier im Banking offenbart.
Keine persönliche Verantwortung
Es spielt überhaupt keine Rolle, ob bereits der VR-Präsident und der CEO und der COO von Barclays zurückgetreten sind, nachdem die Bank eine lächerliche Busse von 450 Millionen Dollar zahlen musste. Denn mit diesem Skandal sind wir schliesslich im rotglühenden Kern der internationalen Finanzmafia angekommen.
Das ist der rund 18 Grossbanken umfassende Club, der täglich nach den üblichen komplizierten Ritualen die Zahl aller Zahlen festlegt: eben den Libor, den alles bestimmenden Zinssatz für Finanztransaktionen jeder Art. Der ist nicht zu verwechseln mit dem Leitzins, den die grossen staatlichen Notenbanken definieren. Der Libor betrifft jeden: den kleinen Konsumenten, der per Kredit einen neuen Flachbildfernseher kaufen will, den Hausbesitzer mit seinem Lombard-Hypothekarkredit. Und vor allem die Big Boys, die Händler und Zocker im Derivatecasino mit einem jährlichen Volumen von über 600 Billionen Dollar.
Der Kleine und der Grosse
Wenn ein Investmentbanker mal schnell 2 oder 6 oder noch mehr Milliarden verzockt, wie es im modernen Banking immer wieder passiert, dann gibt es einen einzelnen Schuldigen. Und alle Kontrolleure und Chefs bis ins oberste Kader der Bank retten sich mit den üblichen Schuldzuweisungsritualen.
Einige müssen über die Klinge springen, meistens im mittleren Management, und alle sind sich einig, dass niemand davon etwas gewusst hat. Aber keiner, kein einziger der grossen Bosse der am Libor-Club beteiligten 18 Banken kann behaupten, dass er von dieser Schweinerei keine Kenntnis hätte. Er kann höchstens hoffen, dass man es ihm nicht nachweisen kann.
Das letzte Gefecht
Während bislang eigentlich alle an den letzten Finanzkrisen schuldhaft Beteiligten trotz markigen Politikerworten ungeschoren davonkamen, hat hier die Staatsmacht, haben hier die Regierungen die letzte Chance, energisch einzugreifen. Aus Populismus, um vom eigenen Versagen abzulenken, um die nächsten Wahlen zu gewinnen: auch die erbärmlichsten Motive sind begrüssenswert. Aber im Gegensatz zu der mangelhaften Bewältigung der letzten Finanzkrisen darf es diesmal mit einer Auswechslung einiger Frontmänner und, neu, deren Bestrafung, nicht getan sein. Diese 18 Grossbanken müssen zerschlagen werden. Der Plan ist gut und richtig. Dürfen wir hoffen?