Zu den Opfern des Gazakriegs zählen auch Journalistinnen und Journalisten sowie Kameraleute, die sich als Berichterstatter der internationalen Medien im Konfliktgebiet aufhalten. Der Verdacht besteht, dass sie zum Teil auch gezielt attackiert werden.
CNN-Produzent Ibrahim Dahman hat Glück gehabt, sofern einer von Glück reden kann, dem es nach über einem Monat lebensgefährlicher Arbeit gelungen ist, mit seiner jungen Familie aus Gaza nach Ägypten zu fliehen. Doch der 36-jährige Fernsehmann hat unlängst erfahren, dass ein Bombenangriff der israelischen Armee (IDF) auf das Haus einer Tante am 3. Dezember mindestens neun Verwandte getötet hat, die in Beit Lahia im Norden des Küstenstreifens lebten.
Und am gleichen Tag legte eine Attacke auch das Haus in Schutt und Asche, in dem er gelebt hat: «Ich werde mich immer an jeden Stein und jeden Winkel des Hauses erinnern, in dem ich aufgewachsen und grossgezogen worden bin und wo auch meine Kinder zur Welt gekommen sind.» Seine Verwandten, sagt Dahman, seien friedliche und einfache Menschen gewesen, die nichts anderes getan hätten, als zu arbeiten und ihre Söhne und Töchter grosszuziehen: «Sie waren mit keiner Organisation oder Gruppe liiert. Möge Gott sich ihrer erbarmen.» In Beit Lahia ums Leben kamen seine Tante, ihr Mann und zwei Kinder sowie ein Onkel, dessen Frau und Tochter und zwei Grosskinder. Zwei weitere Verwandte wurden schwer verletzt, während andere noch immer unter den Trümmern begraben liegen.
Journalisten gezielt anvisiert
Dahman ist ein erfahrener Journalist. «Ich habe im Laufe der Jahre über viele Kriege berichtet. Nichts aber lässt sich mit dem gegenwärtigen Konflikt vergleichen. Ganze Quartiere in Gaza sind dem Erdboden gleichgemacht worden, und Tausende von Frauen, Kindern und älteren Menschen sind umgekommen. Was haben Zivilisten getan, um das zu verdienen?», fragt der CNN-Mitarbeiter. «Mich verfolgt auch unser ungewisses Schicksal. Wohin werden wir von hier gehen? Was ist unsere Zukunft?»
Nicht alle Medienschaffenden haben wie Ibrahim Dahman das Glückt gehabt, den Krieg zu überleben. Eines der ersten Opfer war am 13. Oktober Issam Abdallah, ein Kameramann der Nachrichtenagentur Reuters, der mit sechs Kolleginnen und Kollegen anderer Agenturen von der Südgrenze des Libanons über die Kämpfe der IDF und der schiitischen Hizbullah-Miliz berichtete. Alle waren sie mit Westen und Helmen klar als Medienschaffende gekennzeichnet. Doch Abdallah traf eine Panzergranate, die von Israel aus abgefeuert worden war und die eine Fotografin der AFP schwer sowie weitere Medienschaffende leichter verletzte.
Israel dementiert
Inzwischen ist eine unabhängige Untersuchung der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zum Schluss gekommen, die Journalistinnen und Journalisten, die sich Kilometer vom aktuellen Kampfgeschehen entfernt aufhielten, seien «gezielt anvisiert» worden, was auch Augenzeugen vor Ort bestätigten. Die Organisation hat eine Petition an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag gerichtet, die Israel vorwirft, Kriegsverbrechen zu begehen: «Der Umfang, die Schwere und die wiederkehrende Natur internationaler Verbrechen, die sich gegen Journalisten richten, besonders in Gaza, rufen nach einer Untersuchung durch den Strafverfolger des ICC.»
Zwar erklärte Gilad Erdan, Israels Uno-Botschafter, sein Land würde nie auf Medienschaffende zielen, räumte aber ein, dass «im Krieg Dinge geschehen» könnten. Wie zum Beispiel in Gaza der Bombenangriff der IDF vom 17. November auf das Haus von Mohammed Abu Hassira, einem Mitarbeiter der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa. Der Luftangriff tötete Abu Hassira und 42 Familienangehörige.
Die palästinensische Journalistin und Podcast-Autorin Ayat Khaddoura veröffentlichte am 6. November ein Video, das sie ihre «letzte Botschaft an die Welt» nannte: «Wir pflegten gross zu träumen, aber jetzt träumen wir davon, in einem Stück getötet zu werden, so dass die Leute wissen, wer wir gewesen sind.» Nach einem Luftangriff auf ihr Haus im Norden Gazas eine Woche später war Khaddoura tot.
Al-Jazeeras Gaza-Korrespondent Wael al-Dahdou war auf Sendung, als er erfuhr, dass seine Familie bei einem Luftangriff der IDF getötet worden war. Seine Frau, Sohn und Tochter, ein Enkel und mindestens acht weitere Verwandte starben in dem Haus, in dem sie Zuflucht gesucht hatten. Als er Tage später wieder live im Einsatz war, sagte er, dass er es als seine Pflicht erachte, trotz seines Schmerzes und einer «offenen Wunde» erneut vor die Kamera zu treten.
«Etwas Action zeigen»
Lama Al-Arian, eine preisgekrönt Fernsehjournalistin palästinensischer Herkunft mit Sitz in Beirut, erinnert sich, dass ihre Fernseh-Crew einst in Jerusalem Proteste wegen der Al-Aqsa-Moschee filmte. Ihr selbst war am Flughafen in Tel Aviv der Eintritt «aus Sicherheitsgründen» verweigert worden. Ein Oberst der IDF, der die ausländischen Medienschaffenden begleitete, liess keine Zweifel offen, dass ihm die Arbeit des Fernsehteams missfiel und sagte auf Hebräisch, im Film hörbar, zu einem Presseoffizier der Armee: «Wir sollten ihnen etwas Action zeigen. Bei der ganzen Schiesserei werden sie vielleicht von einer Kugel getroffen.»
Genau das passierte zwei Wochen später der palästinensisch-amerikanischen TV-Korrespondentin Shireen Abu Akleh, die – klar als Journalistin gekennzeichnet und abseits des Kampfgeschehens – für Al-Jazeera von derselben Stelle berichtete, an der der Oberst gescherzt hatte. Sie wurde von einer Kugel im Kopf getroffen. Die IDF wiesen erst jegliche Verantwortung an ihrem Tod zurück. Erst nachdem mehrere Untersuchungen von Medien und Menschenrechtsorganisationen das Gegenteil belegt hatten, räumte die IDF nicht zuletzt auf Druck aus den USA ein, dass mit «hoher Wahrscheinlichkeit» einer ihrer Soldaten gezielt geschossen hatte, aber falls ja, dann unabsichtlich.
«Ein tödliches Muster»
Doch auch in diesem Fall ist in Israel niemand zur Rechenschaft gezogen worden. Erst dieses Jahr und noch vor Ausbruch des Krieges in Gaza hat das Committee to Protect Journalists (CPJ) in New York City festgestellt, Medienschaffende, die in der Schusslinie der israelischen Armee getötet würden, seien Teil eines «tödlichen, seit Jahrzehnten anhaltenden Musters», wofür sich in über 22 Jahren in Israel keine einzige Person habe verantworten müssen.
«CPJ betont, dass Journalistinnen und Journalisten Zivilisten sind, die in Zeiten der Krise eine wichtige Arbeit erledigen und von den Kriegsparteien nicht ins Visier genommen werden dürfen», sagt Sherif Mansour, Programmkoordinator der Organisation für Nahost und Nordafrika: «Medienschaffende in der Region unternehmen grosse Anstrengungen, um über diesen Konflikt zu berichten. Vor allem jene in Gaza haben einen hohen, noch nie gesehenen Preis bezahlt und bezahlen ihn weiter, und sie sehen sich nie dagewesenen Drohungen gegenüber. Viele haben Kollegen, Familien und Arbeitsplätze verloren und sind auf der Suche nach Sicherheit geflohen, obwohl es keinen sicheren Zufluchtsort oder Ausweg gibt.»
Dem CPJ zufolge sind, Stand 10. Dezember, im Krieg in Gaza bisher mindestens 63 Journalistinnen und Journalisten ums Leben gekommen: 56 aus Palästina, vier aus Israel und drei aus dem Libanon. Elf Medienschaffende sind verwundet worden, drei werden noch vermisst. 19 Journalistinnen und Journalisten sind verhaftet, weitere bedroht worden.
Die israelischen Journalistinnen Shai Regev und Ayelet Amin wurden beide am 7. Oktober bei der Terrorattacke der Hamas auf das Supernova-Musikfestival im Süden Israels getötet. Den Fotografen Yaniv Zohar, seine Frau und zwei Kinder tötete die Hamas im Kibbutz Nahal Oz, seinen Kollegen Roee Idan und dessen Frau Samdar im Kibbutz Kfar Afa. Ihre vermisste dreijährige Tochter Avigayil ist mutmasslich als Geisel in den Händen der Terrororganisation; ihre beiden anderen Kinder versteckten sich in einem Schrank und überlebten.
Gleichzeitig haben die Kämpfe in Gaza seit dem 7. Oktober mehr als 18’000 Palästinenserinnen und Palästinenser (einschliesslich 7’000 Kinder) und zu Beginn des Krieges im Grenzgebiet zum Küstenstreifen 1’200 Israelinnen und Israelis getötet. Gegen 50’000 Menschen sind verwundet worden. Im Westjordanland haben die IDF bei mehreren Einsätzen im Rahmen einer «Nulltoleranz-Politik» 266 Einheimische getötet und 3’640 Personen verhaftet. Noch befinden sich 138 israelische Geiseln in der Gewalt der Hamas. Gleichzeitig hat die israelische Armee seit dem Massaker der Hamas 425 Tote und 2’000 Verwundete zu beklagen.
Auf zwei Zivilisten ein Kämpfer
Währenddessen meldete die Nachrichtenagentur AFP, höhere Vertreter der israelischen Armee hätten in einem Briefing für ausländische Medien Berichte bestätigt, wonach die IDF seit dem 7. Oktober rund 5’000 Kämpfer der Hamas getötet haben, d. h. zwei palästinensische Zivilisten für jedes Hamas-Mitglied. In einem Interview mit CNN vom 4. Dezember nannte ein Armeesprecher dieses Verhältnis «unglaublich positiv».
O-Ton Oberstleutnant Jonathan Conricus: «Wenn das stimmt – und ich denke, dass unsere Zahlen bestätigt werden –, dann kann ich sagen, dass man, wenn man dieses Verhältnis mit jedem anderen Konflikt in städtischem Gebiet zwischen einem Militär und einer terroristischen Organisation vergleicht, die Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt und in die Zivilbevölkerung eingebettet ist, feststellen wird, dass dieses Verhältnis enorm ist, enorm positiv und vielleicht einzigartig in der Welt.»
Widersprüchliche US-Politik
In der Folge nannte der demokratische US-Kongressabgeordnete Seth Moulton die Aussage des IDF-Sprechers «völlig verfehlt». Er zitierte eine von US-General Stanley McChrystal in Auftrag gegebene Studie, wonach für jeden getöteten Zivilisten rund zehn Terroristen rekrutiert werden: «Gemäss dieser Zahl hat Israel rund 5’000 Terroristen der Hamas getötete, aber gleichzeitig rund 100’000 neue Gefolgsleute rekrutiert. Das sind schlechte Nachrichten für Israel.» General McChrystal war von 2003 bis 2008 Kommandant der Joint Special Operations Command (JSOC) in Fort Liberty (North Carolina) und befehligte während eines Jahres Jahren die Truppen der USA und der Nato in Afghanistan.
Die israelische Armee hat in den ersten eineinhalb Monaten des Krieges in Gaza laut Zahlen, die dem US-Kongress präsentiert worden sind, mehr als 22’000 Laser-gesteuerte und ungesteuerte Bomben abgeworfen, die aus den USA stammen. Gleichzeitig hat Washington den IDF mindestens 15’000 Bomben, unter ihnen 2’000 Pfund schwere bunkerbrechende Bomben, und mehr als 50’000 Panzergranaten des Kalibers 155mm geliefert. Inzwischen untersucht das Pentagon Berichte, wonach Israels Armee in Gaza in einem Fall auch Phosphor-Bomben abgeworfen hat, deren Einsatz gegen Zivilisten gegen Kriegsrecht verstossen würde. Die IDF dementieren.
Öffentliche Verleumdungskampagne
Indes haben in den vergangenen Wochen führende israelische Politiker und Medien wiederholt versucht, palästinensische Medienschaffende mit der Hamas in Verbindung zu bringen, um die Gewalt gegen sie zu rechtfertigen. Am 2. November zum Beispiel schrieb die «Jerusalem Post», unabhängige Journalisten in Gaza würden «effektiv als Sprachrohre der Terrororganisation agieren».
Am 8. November wiederholte Israels amtlicher Account beim Kurznachrichtendienst X die Behauptung einer einheimischen medienkritischen Organisation, AP, CNN, NY Times und Reuters hätten «Journalisten mit Hamas-Terroristen eingebettet», als diese am 7. Oktober ihr Massaker verübten. Die genannten Medien dementierten den Vorwurf umgehend, was Premierminister Benjamin Netanjahus Büro aber nicht davon abhielt, die fraglichen Journalistinnen und Journalisten als «Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit» anzuschwärzen. Auf der RSF-Rangliste der Pressefreiheit weltweit rangiert Israel unter 180 Nationen auf Platz 97, vor der Zentralafrikanischen Republik und hinter Albanien.
Doch Kritik an der Berichterstattung über den Krieg in Gaza trifft westliche Medien auch von palästinensischer Seite. Zwar haben in den USA mehr als 750 Journalistinnen und Journalisten renommierter Medien wie des «Boston Globe», der «Washington Post» oder der «Los Angeles Times» einen offenen Brief unterzeichnet, der das Töten von Reportern im Küstenstreifen und die die ihrer Meinung nach zu Israel-freundliche Berichterstattung ihrer Redaktionen kritisiert.
Kritik am Westen
Doch der palästinensische Journalist Mohammed al-Kurd findet, westliche Medien würden es an moralischer und ethischer Klarheit mangeln lassen, und er diagnostiziert «Verleugnen von Kriegsverbrechen, Staatsstenographie, Auslassen von Fakten, Fabrikationen, passive Formulierungen und gezieltes Untergraben palästinensischer Gesprächspartner». Wenig weiss man über die Interaktion zwischen palästinensischen Medienschaffenden in Gaza und der Hamas. Kein Zweifel aber, dass die islamische Widerstandsorganisation Berichte und Bilder aus Gaza als Propaganda einsetzt.
Derweil gehen in Israel andere Politiker punkto Medienkritik noch weiter. Benny Gantz, Mitglied im Kriegskabinett in Jerusalem, und Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir nannten Reporter westlicher Medien «Terroristen». Oren Persico, in Israel Mitglied der unabhängigen medienkritischen Organisation «The Seventh Eye», kommt aufgrund der Versuche, Medienschaffende zu diskreditieren, zum Schluss, die israelische Bevölkerung befinde sich in einer Blase: «Sie versteht nicht, warum die Welt zornig reagiert, und es gibt einen immer tieferen Graben zwischen der israelischen Öffentlichkeit und der internationalen Gemeinschaft.»
Gleichzeitig übt die Regierung Benjamin Netanjahus auch Druck auf einheimische Medien aus, ihren Kurs vorbehaltlos zu unterstützen. So hat Kommunikationsminister Shlomo Karhi etwa vorgeschlagen, die linksliberale Tageszeitung «Haaretz» finanziell zu bestrafen. Er wirft dem unbequemen Blatt vor, «lügnerische, defätistische Propaganda» zu verbreiten» und «Israel in Kriegszeiten zu sabotieren».
«Defätistische Propaganda»
Einen weiteren Vorschlag Karhis, den Fernsehsender «Al-Jazeera» aus Katar zu verbieten, lehnte das israelische Kabinett unter Hinweis auf die Rolle des Scheichtums bei den Verhandlungen zur Befreiung israelischer Geiseln und zur Freilassung palästinensischer Gefangener ab. Verteidigungsminister Yoav Gallant beschuldigte den arabischen Fernsehsender, «ein Sprachrohr der Hizbullah» zu sein, dessen Mitarbeitende «Terror unterstützen, während sie vorgeben, Reporter zu sein».
Als Beweis für die «defätistische und falsche Propaganda» von «Haaretz» führte Minister Karhi eine Kolumne der linken Journalistin Amira Hass an. Die 67-jährige Tochter von Holocaust-Überlebenden, die einige Jahre selbst in den besetzten Gebieten gelebt und die Hamas kritisiert hat, schrieb am 10. Oktober: «Innert weniger Tage haben Israelis erlitten, was Palästinenser seit Jahrzehnten routinemässig erlebt haben und immer noch erleben – militärische Einsätze, Tod, Grausamkeit, getötete Kinder, Leichen, die sich in den Strassen türmen.»
Der amerikanische Autor und Islamwissenschaftler Shadi Hamid bringt das Dilemma der Berichterstattung über den Krieg in Gaza in einer Kolumne für die «Washington Post» auf den Punkt: «Intellektuelle Demut ist ein Charakterzug und eine Praktik, die es uns erlaubt, unsere eigenen Grenzen zu akzeptieren. Selbst wenn wir denken, wir hätten Recht, beinhaltet es, die Möglichkeit offen zu lassen, dass wir falsch liegen könnten. Doch auf einer tieferen Ebene schliesst es auch die Erkenntnis ein, dass die Wahrheit selbst komplizierter ist, als es zuerst den Anschein macht.»
Die Suche nach der Wahrheit, selbst falls man sie finde, sollte nicht zu Starrheit führen, schliesst Hamid: «Wir alle sind ein Produkt unserer Umgebung. Wenn es im Besonderen Israel und Palästina betrifft, so bringen wir in jede Debatte unsere vorgefassten Meinungen ein – unsere eigene selektive Interpretation der Geschichte und unseren selbstentwickelten Sinn für Ungerechtigkeit. Hier geht es nicht um einen Meinungsunterschied, was die Fakten betrifft; es geht darum, wie sie zu interpretieren sind.»
Quellen: Reuters, AP, AFP, BBC, CNN, NPR, CPJ, RSF, Al-Jazeera, New York Times, Washington Post, Guardian, Haaretz, Jewish Currents