Wer von einem anderen Sprachgebiet her in die alemannische Schweiz kommt, wundert sich über deren Hang zur sprachlichen Verkleinerung. Sie teilt diesen zwar ein Stück weit mit den süddeutschen Alemannen, die mit ihren Spätzle und dem Erleichterungs-Ausruf Sodele ihre Welt und sich selbst ebenfalls gern verniedlichen. Aber das ist noch gar nichts im Vergleich zu ihren südlichen Nachbarn. Es ist zu vermuten, dass die Weltmeister des Diminutivs in der Deutschschweiz hausen.
Hier trinkt man es Glesli Wy, nimmt anschliessend zum Käfeli noch es Schnäpsli – und verharmlost damit unbewusst den lauernden Exzess. Man schickt einander Grüessli oder wünscht es schöns Tägli, um sich in Nettigkeit zu hüllen.
Ein Lebensziel mancher Schweizer war das eigene Hüsli, umgeben von einem Gärtli mit Blüemli. Man wollte halt nicht unbescheiden sein, aber es eben doch schön haben. Wer Pech hatte, hiess dann auch noch Stüdeli, Brauchli oder Nötzli. Und viele nannten ihre Kinder Ernstli, Kurtli, Rösli und Bethli.
Nun sind zwar solche Vornamen ziemlich aus der Mode. Die Buben und Mädchen sind heute Kids und heissen Emma und Liam. Doch bei den zwei oder drei Generationen Älteren finden sich manche, vor allem Frauen, die ihre verniedlichten Vornamen ein Leben lang nicht losgeworden sind und sie mit sich herumtragen als Altlasten einer Unkultur der Verzwergung.
In Zürich, das zumindest für Schweizer Massstäbe kein Städtli ist, führen Tramlinien zum Werdhölzli, zum Triemli und zum Albisgüetli. Berns öffentlicher Verkehr steuert zu dieser Diminutivkollektion das Fischermätteli und das Saali bei. Sind das nun Orte oder Örtchen?
Nicht weit von der Bundeshauptstadt liegt ein stolzes Massiv namens Blüemlisalp. Zwar nicht höhenmässig, aber doch mit dem Doppel-Diminutiv wird es in den Schatten gestellt von einem Gipfel in den Glarner Alpen, dem Vrenelisgärtli. Der Berg verdiente als Klimax des Schweizerdeutschen mindestens einen Matterhorn-Status.
Mit ihrer Idiomatik der notorischen Verniedlichung streift die deutschsprachige Schweiz zwar gelegentlich das Lächerliche. Doch die Neigung zum Kleinen hat auch poetische Valeurs. Die Grösse Robert Walsers und Gerhard Meiers liegt nicht zuletzt darin, dass sie als Schriftsteller das Kleine gross gemacht haben.
Auch die schweizerdeutsche Umgangssprache kennt die Poesie des Kleinen. Zwei unvergleichlich schöne helvetische Diminutive mögen dies belegen. Für leichte Niederschläge gibt es die Verben rägele und schneiele. Das Tolle bei diesen meteorologischen Feinheiten ist, dass hier auf dem Umweg über konstruierte hypothetische Diminutiv-Hauptwörter (die Substantive Rägeli und Schneeli sind nicht gebräuchlich) entsprechende Tätigkeitswörter gebildet worden sind – eine Operation von mathematischer Raffinesse.
Um nochmals auf die Vornamen zurückzukommen: Der Wandel der Vorlieben führt augenscheinlich weg von verniedlichenden Formen. Einen Liam oder eine Mia kann man nicht ohne weiteres sprachlich verkleinern. Zeigt sich da womöglich eine grössere Tendenz? Haben jüngere Deutschschweizer das permanente «-li» allmählich satt? Hat die coole Loge das Hüsli als Ideal abgelöst, der Drink das Glesli verdrängt, der Latte das Käfeli ausgebootet?
Im Moment kann man nur sagen: We will see.