Kam er von einem fernen und fremden Stern? Die hellen und zugleich grellen Farbtöne, die sein ganzes Werk durchziehen, irritieren, weil man sie in dieser Zeit sonst kaum findet, ebenso der stark lineare Charakter der Landschafts-Kompositionen, der an Hodlers Parallelismus erinnert.
Fremd wirken auch die Themen – die aquarellierten Architektur-Visionen, die wie erratische Blöcke wirkenden Berge, die erträumten Landschaften und die Blitze und Schlangen. Auch das Schwanken zwischen sehr früher Abstraktion (bereits vor 1900) und symbolistischer und erzählerischer Gegenständlichkeit irritiert. Albert Trachsel fügte sich nur schwer in die Schweizer Kunstlandschaft seiner Zeit. Doch er schlug Brücken zu internationalen Zeiterscheinungen der Jahrhundertwende wie Symbolismus, Jugendstil und Lebensreform.
Solothurner Mäzene
Es ist ein Verdienst des Kunstmuseums Solothurn und seines Direktors Christoph Vögele, dass dem Werk dieses weitgehend unbekannt gebliebenen schwierigen Künstlers nach bald vier Jahrzehnten wieder in einer Retrospektive zu begegnen ist. Das Haus bezieht sich damit auch auf die lokale Geschichte: Albert Trachsel wuchs in Nidau auf, lebte aber, wenn er nicht auf ausgedehnten Wanderungen war, meist in Genf. Doch seine bedeutendsten Sammler und Mäzene waren die Solothurner Müller-Geschwister – Josef Müller, Gertrud Dübi-Müller und Margret Kottmann-Müller, deren international bedeutender Kunstbesitz zu grossen Teilen in die Sammlung des Solothurner Museums überging. Vor allem Josef Müller und Gertrud Dübi-Müller sorgten mit ihren Stiftungen, dass Trachsel im Solothurner Museum prominent vertreten ist – mit den überzeugendsten Werken des in der künstlerischen Qualität stark schwankenden Malers. Er studierte in Zürich und Paris Architektur, war als Maler aber Autodidakt.
Christoph Vögele sucht in der von ihm zusammen mit Robin Byland und Larissa Ullmann konzipierten Schau nichts zu verbergen. Sein Ziel war eine ehrliche Retrospektive, die sich nicht nur auf Glanzlichter kapriziert, sondern auch Probleme sichtbar macht: Manche Werke zeigen – auch das gehört eben dazu –, dass Trachsel den technischen Anforderungen der Ölmalerei, aber auch der Menschendarstellung nicht immer gewachsen war.
Tendenz zum Gesamtkunstwerk
Um technische Qualität der Ölmalerei, obschon es sie natürlich auch gibt, geht es aber im Werk dieses Künstlers nicht in erster Linie. Wichtiger ist: Trachsel liess kaum eine künstlerische Praxis (auch jene des geschriebenen Wortes) unversucht, stellte sich in Paris den Diskussionen um Symbolismus und um höchst exotisch anmutende Esoterik, las intensiv Baudelaire, hatte in Paris Kontakte mit Mallarmé, Verlaine und auch Gaugin und stellte 1892 mit Hodler und Vallotton im Salon de la Rose-Croix aus. Damit berührte er einen Brennpunkt der Jahrhundertwende-Esoterik, und manche seiner Bildfindungen von Unendlichkeit, Sonnenmystik und Traumvisionen lassen an Theosophisches aus dem Dunstkreis der Helena Blavatska und anderer Okkultisten denken. Albert Trachsel tendierte auf breiter Front zu einer Art von Gesamtkunstwerk, das aber als Projekt in der Vorstellung bleiben musste. Dass Harald Szeemann ihn 1992 in seine Schau „Visionäre Schweiz“ (Kunsthaus Zürich) aufnahm, war denn auch folgerichtig.
Architekturvisionen
Die Solothurner Ausstellung setzt ein mit „Les Fêtes réelles“. Es handelt sich um aquarellierte Tuschezeichnungen mit Architekturvisionen, die Trachsel 1897 in Paris als Mappenwerk erscheinen liess. Aus der Vogelschau blicken wir in monumentale Burgen- oder Schloss- und Tempelanlagen hinein, die an aussereuropäische Kultareale etwa Mexikos oder an utopistische französische Revolutionsarchitektur von Etienne Louis Boulée und Claude-Nicolas Ledoux gemahnen. Teils haben sie anthropomorphe und in Türmen, Kuppeln und Toren auch erotische Züge. Die Papier gebliebenen Vorstellungen der gigantischen Räume und Denkmalanlagen sind menschenleer. Die Dimensionen von Treppenstufen lassen uns aber die von Trachsel gedachten Grössenverhältnisse erahnen. Bekrönende Figuren verweisen auf Religiöses, oder, wenn es sich um Tell handelt, auf Patriotisches.
Bei aller visionären Kraft, bei aller differenzierenden Phantasie der architektonischen Detailgestaltung und bei aller Subtilität der Ausführung mag da wohl Traum gebliebener, aber doch fast hemmungsloser Grössenwahn mitspielen, und unschwer stellen sich Erinnerungen an faschistische Riesenprojekte oder an Festspielareal-Projekte auch in der Schweiz ein: Zeichen dafür, dass die unheilvollen Entwicklungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was Trachsel nicht ahnen konnte, bereits in der Aufbruchsstimmung der Jahrhundertwende ihre Vorboten hatten. Man mag aber auch eine Brücke schlagen zum Genfer Adolphe Appia (1862–1928) und seinen auf Wagner oder auf den Rhythmik-Pädagogen Émile Jaques-Dalcroze (1865–1959) hin konzipierten Raumkonzepten.
Traumlandschaften
Albert Trachsel stellt seine präzis gezeichneten Architekturvisionen unter einen intensiv rot, blau oder auch türkisfarben aquarellierten Himmel.
Ähnliche leuchtende Spektralfarben kennzeichnen auch seine Hauptwerke, seine Ölmalereien, in denen er seinen bisweilen exzentrischen kosmischen Phantasien freien Lauf liess. Es sind Himmelserscheinungen wie Blitze, die zwischen regenbogenfarbigen Bändern erdwärts zucken. Oder es sind Wellenformen mit Kopf und Brüsten, die sanft in bunten Strömen schwimmen. Es sind geisterhafte Mondgesichter, die als Vorboten eines Neuen Menschen am Himmel erscheinen. Oder es sind Traumlandschaften, in denen sich das intensiv leuchtende Gelb des Sonnenlichtes mit dem Türkis eines Gewässers mischt. Manche seiner Visionen feiern die Sonne als kosmisches Ereignis und gemahnen an Munchs etwa gleichzeitig entstandene riesige Sonnen-Malerei in der Universität Oslo.
Manchen Landschaftsmalereien gibt Trachsel konkrete geographische Titel wie „Landschaft am Salève“, „San Salvatore“ oder „Wildstrubel“. Vedutenhafte topografische Genauigkeit ist allerdings kaum sein Ziel. Die Berge stehen für anderes. Manche sind unvermittelt aus der Ebene aufragende Monumente, die, auch wenn sich über ihnen ein zartblauer lichter Himmel wölbt, Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein signalisieren. In „L’île des arbres en fleurs“ (Traumlandschaft), um 1912–1913 entstanden, verfolgt Trachsel ein kosmisches Konzept: Aus einer Wasserfläche erhebt sich ein Inselberg voller blühender Berge, und über dieser Paradies- und Sehnsuchts-Vision wölbt sich ein grosser leuchtend farbiger Himmel.
Christoph Vögele nennt die Berglandschaften in seinem Katalogbeitrag „Projektionsflächen von Erotik und Patriotismus“. Was das Patriotische der Bergansichten betrifft, so ergeben sich durchaus Verbindungen zu Hodler, der seinen Freund Trachsel ausserordentlich schätzte. Erotische Konnotationen ergeben sich kaum auf den ersten Blick aus den Malereien, sondern – Vögele weist darauf hin in seinem Katalogtext – vor allem aus Trachsels literarischen Arbeiten, die auch einen wesentlichen Teil seiner künstlerischen Existenz ausmachen.
Die Solothurner Retrospektive zeigt einerseits Albert Trachsel als sperrigen, in seinen Werken teils unbeholfen agierenden Künstler. Andererseits tritt er aber als Pionier in Erscheinung, und das in mehrfacher Hinsicht: Er wagte sich weiter als andere in die Abstraktion vor, die er mit seinem Symbolismus zu verbinden wusste. Und er schuf ein innerhalb der Schweizer Kunst seiner Zeit unverwechselbares Werk von visionärem und beeindruckendem Charakter.
Kunstmuseum Solothurn. Bis 7.2. Katalog Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich. 46 Franken.