Am Donnerstag war es so weit, endlich durfte er - nach der offiziellen Ankündigung seiner Kandidatur in der Hauptnachrichtensendung des französischen Fernsehens am Vorabend - in ein anderes Gewand schlüpfen. Ein Gewand, das Nicolas Sarkozy - so sagen böse Zungen - im Grunde fünf Jahre lang als Präsident nie abgelegt hatte: das des Wahlkämpfers.
Über lange Strecken seiner ersten Amtszeit blieb er im Grunde ein hektischer Hansdampf in allen Gassen, der vorgab, sich um alles selbst kümmern zu müssen und für alles gleich übermorgen eine Lösung zu haben. Dabei aber konnte er beim besten Willen keinen Präsidenten abgeben. Seine Ex-Frau Cecilia hatte ihm das zu Beginn seiner Amtszeit in aller Deutlichkeit gesagt; aber vielleicht war das ja nur Bösartigkeit, sagte man sich damals. Denn da kriselte es in der Ehe der beiden bekanntermassen schon gewaltig.
Auftakt in Annecy
Stundenlang wurde am Donnerstag letzter Woche also posaunt, dass Nicolas Sarkozy sich in einem ganz normalen Linienflugzeug - "Seht, wie bescheiden er ist!" - auf den Weg in Richtung Annecy machte - in eine ihm wohl gesonnene Gegend. Hier hat man mit das höchste Pro-Kopf Einkommen in Frankreich, dank der Nähe zur Schweiz eine ausserordentlich geringe Arbeitslosigkeit und zu rund 60 Prozent wählt man in dieser Gegend konservativ. Ein Panel wie bei Meinungsumfragen hat er sich zusammenstellen lassen, um mit einem Dutzend "normaler Menschen" zu Mittag zu essen und sich - auch wenn er eher zu den Anhängern des geschmacksneutralen Junk-Food gehört und von den 300 französischen Käsesorten kaum eine zu schätzen weiss - in eine Käserei begeben, wo er verkündete, dass er es angeblich gerne habe, wenn es stark riecht . Man darf die Nase rümpfen über so viel "Authentizität" - eine Eigenschaft, die Nicolas Sarkozy, wie er verkündet, während seines Wahlkampfs in den Vordergrund rücken möchte.
Schon seine erste Wahlkampfrede vor eher gesetztem Publikum am Abend in Annecy war dann gespickt mit Grobschlächtigem. Seinen sozialistischen Herausforderer bezeichnete er zum Beispiel als einen, der von morgens bis abends lüge und der allen illegalen Einwanderern im Land gültige Papiere geben wolle. Letzteres war mit Sicherheit eine Lüge. Gleichzeitig versucht der Präsident, sich zu Beginn des Wahlkampfs zum Väterchen des Volkes zu mausern. "Durch das Volk, mit dem Volk, für das Volk“ sei für ihn das Motto. Fragt sich nur, von welchem Volk Nicolas Sarkozy da spricht.
Sarkozy "ändert" sich
Einer, der sich jedes Mal, wenn er aufs französische Land fuhr, mit Hilfe von fast 1000 Polizisten abgeriegelt hat wie kein anderer Präsident vor ihm, ausgerechnet der macht nun auf volksnah. Wer soll ihm das noch glauben? Ihm, der zurecht das Image des Präsidenten der Superreichen nicht mehr los wird. Und wer soll noch glauben, dass er sich schon wieder "geändert" hat? Mindestens ein halbes Dutzend Mal hatte der Präsident Sarkozy das den Franzosen während seiner Amtszeit schon weiss machen wollen - er sei gesetzter und ruhiger geworden, nicht mehr auffahrend und nachtragend, aggressiv und besser wissend - abgenommen hat ihm das kaum jemand.
Und erst letzten Mittwoch ist seine eigentliche Natur gleich wieder mit ihm durchgegangen. Vor 10 Millionen Fernsehzuschauern in der Hauptnachrichtensendung seines Haussenders TF1 (Besitzer: Martin Bouygues, Taufpate seines Sohnes Louis) präsentierte sich gleich wieder der alte Sarkozy: zuckend, missmutig, auffahrend und gereizt bei jeder Frage, die auch nur ein Quäntchen Kritisches beinhaltete, absolvierte er das 17-minütige Interview, in dem er seine erneute Kandidatur mit dem Satz begründete: "Die Franzosen würden nicht verstehen, wenn ich sie nicht erneut um ihr Vertrauen bäte. Was würde man denn denken, wenn ein Kapitän mitten im Sturm sein Schiff verlässt?"
Für den politischen Gegner ein gefundenes Fressen. Der moderate Kandidat des Zentrums, Francois Bayrou, konterte unmittelbar: "Ein Kapitän, der sein Schiff auf ein Riff gesteuert hat, muss ausgewechselt werden."
Das Wahlplakat - umgehend verfremdet
Zeitgleich mit der offiziellen Ankündigung der Kandidatur erschien das offizielle Wahlplakat. Sarkozys Kopf im Halbprofil auf der linken Bildseite - im Hintergrund das blaue Meer und die Aufschrift: "La France Forte - Das starke Frankreich". Nicht gerade bescheiden als Wahlkampfslogan, könnte man sagen. Die Internetgemeinde jedenfalls hat sich das Plakat bereits wenige Stunden nach Erscheinen kräftig zur Brust genommen und es in alle nur denkbaren Richtungen verfremdet: Da sieht man etwa nur das blaue Meer ohne Sarkozy und die Aufschrift: "La France Libre".
Oder im Hintergrund auf dem Meer das Wrack der Costa Concordia . Oder: Merkel an Stelle von Sarkozy und das Wort "Francfort". Im Handumdrehen war auch eine Webseite entstanden: nicht wie Sarkozys offizielle "lafranceforte.fr", sondern "mafranceforte.fr", wo die Häme seitdem kübelweise über den wahlkämpfenden Präsidenten ausgeschüttet wird. Das Peinlichste bei all dem: Nicolas Sarkozys Werbeleute hatten als Originalhintergrund für das Plakat nicht mal ein französisches Stück Meer gewählt, sondern ausgerechnet ein griechisches!
Sarkozys Webseite
Ein wenig peinlich ist auch die Gestaltung der Startseite der Wahlkampfhomepage von Nicolas Sarkozy. Oben in der Mitte prangt - neben dem Schriftszug "La France Forte" - ganz dick, weiss und auf blauem Hintergund die Formel "NS 2012"!
Keiner unter den geputzten und perfekt gebügelten Herrschaften mit den langen Schneidezähnen und der Arroganz der "Winner" in der Umgebung Sarkozys hat mit diesem NS offensichtlich Probleme gehabt - da konnte von Deutschland jüngst noch so viel die Rede sein in diesem Land. Bei NS fällt diesen Söhnen und Töchtern aus besserem Hause eben nur Nicoals Sarkozy und sonst nichts ein! Offensichtlich war keiner in der Mannschaft, der in der Lage gewesen wäre zu sagen: Hoppla, da gibt es ein kleines Problem. NS ist irgendwie schon besetzt, ist zwar schon lange her, aber es könnte trotzdem ein wenig peinlich sein.
Vorbild Deutschland
Und noch etwas Unangenehmes brachte das Ende der letzten Woche für Nicoals Sarkozy: den Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff. Wochenlang hatte der französische Präsident nicht aufgehört, Deutschland als absolutes Vorbild hoch zu halten. Es gehe zwar nicht darum, Deutschland zu kopieren, sondern man solle sich vom Nachbarn und dem, was dort gut funktioniere, inspirieren lassen, betonte er immer wieder. Nun könnte es Nicolas Sarkozy aber fast ein wenig kalt den Rücken runter gelaufen sein, als er gesehen hat, wie gut in dem so hoch gehaltenen Deutschland zum Beispiel auch die Justiz funktioniert und wie relativ schnell dort ein Politiker von der Bühne verschwindet, wenn da etwa beim Hausbau oder beim Bezahlen von Reisen nicht alles mit rechten Dingen zugeht.
Denn es könnte ja in Frankreich jemand auf den Gedanken kommen und dumme Vergleiche ziehen. Sich zum Beispiel daran erinnern, dass Nicolas Sarkozy früher mal auf der Seine-Insel La Jatte im Nobelvorort Neuilly eine Eigentumswohnung besass, zu einer Zeit, als er in dieser symbolträchtigen Vorstadt der Superreichen noch Bürgermeister war. Er liess sich in dieser Wohnung vor seinem Einzug ein paar zusätzliche Luxus- und Umbauarbeiten ausführen, die er sich von einem Bauunternehmer – einer der wichtigsten in der Stadt Neuilly – hat bezahlen lassen. Oder aber Nicolas Sarkozy "vergass", die gesamte Rechnung für die Arbeiten zu begleichen – zwischen Kosten und Zahlungen des damaligen Bürgermeisters klafft ein Loch von ca. 170 000 Euro.
Die Affaire um Bettencourt und Woerth
Immerhin gab es in dieser Angelegenheit eine gerichtliche Voruntersuchung, bevor die Affäre zu den Akten gelegt und unter den Teppich gekehrt wurde. "Ein Glück, dass ich nicht in Deutschland lebe", dürfte sich Nicolas Sarkozy plötzlich sagen, "so toll ist das Modell dort in mancher Hinsicht dann vielleicht doch nicht."
Ganz zu schweigen davon, dass in Deutschland schwerlich einer Kandidat für das Kanzleramt sein könnte, wenn gegen den Schatzmeister seines vorhergehenden Wahlkampfs gerade ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde wegen Verdachts auf illegale Parteienfinanzierung - die Rede ist von Eric Woerth und 150 000 Euro in bar aus dem Hause der L'Oreal Erbin Bettencourt, die da geflossen sein sollen. Was in dem einen oder in dem anderen Land politisch tragbar ist und was nicht- dazwischen liegen offensichtlich Welten, dürfte Nicolas Sarkozy da siedend heiss bewusst geworden sein.
Nix mehr Merkel
Irgend jemand muss ihm dieser Tage dann auch noch gesagt haben, dass es nicht wirklich dienlich ist, sich Deutschland und Angela Merkel derart an den Hals zu schmeissen, wie Nicolas Sarkozy dies in den letzten Monaten getan hat. Die Franzosen goutieren das nicht, und manche können das nicht einmal ertragen. Kaum war er in das Gewand des Wahlkämpfers geschlüpft, war auch plötzlich Schluss mit den ständigen Referenzen an den Nachbarn Deutschland. Und als Nicolas Sarkozy am Samstag seine Wahlkampfzentrale einweihte, da sah er sich sogar gemüssigt zu betonen, Angela Merkel verfüge dort über kein Büro und im übrigen werde es - entgegen vorhergehender Ankündigungen - auch keinen gemeinsamen Wahlkampfauftritt geben. Wer da jetzt wen ausgeladen hat, wurde nicht bekannt. Vielleicht aber hat ja ein etwas hellhörigerer Berater der Kanzlerin ihr doch die Geschichte mit dem Siegel "NS 2012" gesteckt?