Das geplante neue Buch von Tim Krohn macht bereits im Entstehungsprozess von sich reden. Es befasst sich mit menschlichen Stärken und Schwächen. Das ist zwar nicht sonderlich neu, aber aus dem Rahmen fallen die angestrebte lexikalische Systematik und der Einbezug von Interessierten aus dem Publikum als Takt- und Geldgber.
Profilierter Schriftsteller
Das wird spannend, weil Tim Krohn zu den profilierten Schriftstellern gehört. Und gerade weil er sich diesen Rang mit seinen Büchern, Theaterstücken und Hörspielen erwarb, liefert die Übungsanlage auch Grund fürs Kopfschütteln, wenn nicht gar fürs Rütteln an den Bürotischen jener, die in der Literaturförderung ihre Berufung erkennen. Der Reihe nach:
Tim Krohn, 1965 in Nordrhein-Westfalen geboren, wuchs in Glarus auf, studierte Germanistik, Philosophie und Politik, bürgerte sich in Zürich ein und lebt heute mit seiner Frau und zwei Kindern als freier Schriftsteller zwischen Il Fuorn und Umbrail in Sta. Maria in der Val Müstair.
Mit Romanen wie "Aus dem Leben einer Matratze bester Machart", "Ans Meer" oder "Vrenelis Gärtli" und mit dem "Einsiedler Welttheater" erreichte er eine starke Resonanz. Der Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis, die Schiller-Stiftung und Kantons Glarus mit dem Kulturpreis würdigten das unverwechselbare Schaffen.
Gefühlslage unserer Zivilisation
Tim Krohn begründet sein Vorhaben "Menschliche Regungen" mit dem Hinweis, Gefühle, Eigenheiten und Abgründe hätten schon immer im Zentrum seiner Texte gestanden. Nun habe er eine Liste von 777 Eigenschaften von "aalglatt" bis "zynisch" erstellt, wolle jedes Stichwort in einer eigenen Kurzgeschichte erforschen und diese miteinander verweben.
Für die ersten 111 Begriffe seines "leicht grössenwahnsinnigen Langzeitprojekts" braucht Tim Krohn wenigstens 40.000 Franken, beigebracht mit milden Gaben und generösen Spenden. Wer seine Brieftasche öffnet, darf sein "liebstes Gefühl", seinen "spitzesten oder charmantesten Charakterzug" ins Münstertal melden, wird mit seiner Geschichte belohnt und ermöglicht sozusagen im mäzenatischen Vorbeigehen einen umfangreichen Roman, "der die gesamte Gefühlslage unserer Zivilisation spiegelt". Die Chance, sich an der Sozialisierung des Schreibaktes zu beteiligen, bietet sich nicht jeden Tag.
Lust auf Neuland
Tim Krohn hat das Experiment sorgfältig durchdacht und den Ablauf attraktiv bis in die Einzelheiten geregelt. Sie finden sich auf der Homepage www.timkrohn.ch, wo das Bienensummen den fürs Gelingen notwendigen Fleiss symbolisiert. Für die nicht minder wichtige Kreaitivität bürgt der Autor mit seiner Erfahrung, dem eindrücklichen Werkverzeichnis und der Lust, Neuland zu beschreiten. Der Sammlungsstart ist schon mal geglückt.
Aus der Not eine Tugend
Die Finanzierungsmethode ist die berühmte aus der Not entwickelte Tugend. Bevor aber Tim Krohn zum Schreiben kommt, nimmt ihn die Spendenadministration hart in Beschlag. Vielleicht benötigt er auch - was wir ihm nicht wünschen - Energie, um sich gegen den Anspruch zu wehren, "Wer zahlt, befiehlt". Immerhin böten solche Anmassungen Stoff für die Erörterung der Eigenschaften "borniert", *dumm" oder "dreist".
Bleibt es beim Minimalbeitrag von 40.000 Franken, ist dem Autor die Bereitschaft abverlangt, für einen kärglichen Stundenlohn zu arbeiten. Er würde in allen anderen Berufszweigen die Gewerkschaften auf den Plan rufen. Doch bis in der Kultur der Normalfall als Alarmfall wahrgenommen wird, dauert es die Ewigkeit. Das ist die erste bittere Bemerkung.
Hoffen auf die Ausnahme von der Regel
Die zweite bezieht sich auf die Aussichtslosigkeit, das Projekt durch staatliche und private Förderinstanzen finanzieren zu können. Es sprengt den Rahmen, der fälschlicherweise "bewährt" genannt wird, aber richtigerweise als "untauglich" oder "vorgestrig" zu bezeichnen wäre. Einem Autor wie Tim Krohn müssten nicht nur für konventionelle und noch bescheidener budgetierte Vorhaben die Türen offen stehen, sondern auch für ein ungewöhnliches und literarisch zweifellos wertvolles.
Wir hoffen, in Tim Krohns Buch ein Kapitel lesen zu können, das freudig dem "Grossmut" gewidmet ist und die Ausnahme von der Regel des kümmerlich dotierten Schriftstellers bestätigt.