Die Politik schaut auf Verordnungen und Gesetze. Sie betrachtet die Bürger wie Maschinen, die von aussen über bestimmte Schaltkreise richtig gesteuert werden müssen. Eine Maschine tut nichts von sich aus. Sie braucht für ihre Steuerung Fachleute.
Unerwünschte Effekte
Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat den Staat ebenfalls wie eine Maschine betrachtet, die nur dann funktioniert, wenn sie sachgemäss bedient wird. Als Soziologe wusste er, wie störanfällig diese Maschine ist. In seiner Zeit als EU-Kommissar hat er sich bei seinen Kollegen ganz und gar nicht beliebt gemacht, als er auf Bedienungsfehler hinwies, die auf die Dauer das Europa-Projekt zum Scheitern bringen würden.
Die Klimadebatten führen jedem vor Augen, wie kompliziert es ist, Steuerbefehle zu geben, die beim Bürger und in den Systemen des Staates die gewünschten Wirkungen erzielen. Alles, was geschieht oder auch nur angestrebt wird, löst unerwünschte Nebeneffekte aus. Zum Teil sind sie vorhersehbar, zum Teil nicht.
Furcht vor Veränderung
Ein Beispiel für viele ist die Windkraft als wichtiges Element der erneuerbaren Energien. Eine Mehrheit der Bevölkerung ist für den Kohleausstieg, und Merkels abrupter Beschluss, der Kernkraft ein Ende zu setzen, findet bis heute überwiegend Befürworter. Aber der Ausbau der Windkraft bleibt weit hinter dem Notwendigen zurück, weil sich vor Ort Bürger gegen die Belästigungen durch die Windräder und die mit Stromtrassen verbundenen Risiken vehement zur Wehr setzen.
Das „Institut für Demoskopie Allensbach“ stellt in seiner jüngsten Erhebung fest, dass die „Energiewende nach wie vor von der überwältigenden Mehrheit für richtig gehalten wird“. Jedoch sei „nur eine Minderheit bereit, zugunsten von Klimaschutz höhere Energiepreise zu akzeptieren“. Das gilt auch für die jüngere Generation.
Reflexartig suchen Politiker nach Massnahmen, die die dringend benötigten Effekte haben, aber dem einzelnen Bürger, der ja immer zugleich Wähler ist, nicht weh tun. Solche Massnahmen gibt es aber nicht, und eigentlich weiss das auch jeder. Politiker und Bürger sind wie ein verkrachtes Ehepaar. Jeder Partner weiss, dass sich dringend etwas ändern muss. Jeder will auch eine Veränderung. Aber da er davon überzeugt ist, dass der Ehepartner jede Veränderung ablehnen wird, nimmt er selbst keine in Angriff.
Greta Thunberg
Was geschieht bei solchen Blockaden in der Gesellschaft? Das „Institut für Demoskopie Allensbach“ stellt fest, dass eine Mehrheit der Bevölkerung die Demonstrationen von „Fridays for Future“ befürwortet, auch wenn die Zustimmung von 69 Prozent auf 57 Prozent zurückgegangen ist. Ebenso gross ist die Zustimmung für Greta Thunberg: „51 Prozent haben von ihr eine gute Meinung, 57 Prozent sehen sie als Vorbild für die junge Generation – wenngleich nur 25 Prozent sie für kompetent beim Thema Klimaschutz halten.“
Die Zustimmung der Grünen für Thunberg ist hoch, während sie erwartungsgemäss bei der AfD auf scharfe Ablehnung stösst. Das ist nicht anders zu erwarten, denn die AfD hält die Klimaproblematik ohnehin nur für dummes Gerede. Merkwürdig ist aber, dass Greta Thunberg bei denjenigen, die die Klimaproblematik anerkennen, auf grosse Zustimmung stösst, auch wenn man ihr keine besondere Fachkompetenz bezüglich der Klimaproblematik zutraut. Wie passt das zusammen?
Greta Thunberg ist ein Ersatzsymbol und die Demonstrationen von „Fridays for Future“ sind Ersatzhandlungen für das, was an wirksamen Massnahmen unterbleibt. Es gibt ein verbreitetes Unwohlsein. Man merkt, dass das Klima schneller kippt als erwartet, aber vor diesem gewaltigen Geschehen spürt der Einzelne seine Ohnmacht. Er weiss, dass sein Lebensstil Teil des Problems ist, aber er kann ihn nicht einfach über Bord werfen. Der Effekt, der dadurch bewirkt würde, wäre ohnehin kaum messbar.
Kognitive Dissonanz
Sozialpsychologen haben für diesen Zustand den Begriff der „kognitiven Dissonanz“ geprägt. Kognitive Dissonanzen bestehen zwischen Wahrnehmungen, die sich widersprechen. Dafür gibt es viele Auslöser. Einer besteht darin, dass man sich anders verhält, als es eigentlich dem Wissen und der Überzeugung entspricht. So wissen viele, dass Autos umweltschädlich sind, aber wir benutzen sie trotzdem. Das damit verbundene schlechte Gewissen wird entlastet, indem man Personen und Gruppen, die für Umweltschutz eintreten, gut findet.
Die Grünen werden mit diesen Symbolhandlungen identifiziert und profitieren davon, ohne dass sie durch konkrete politische Massnahmen besonders auffallen würden. Sie besetzen geschickt eine Leerstelle, die dadurch entsteht, dass Politik heute überwiegend technokratisch begriffen wird. Würden Politiker die Bürger in ihren kognitiven Dissonanzen wahrnehmen, könnten sie sie zu kleinen Verhaltensänderungen ermuntern.
Zum Teil geschieht das schon im Bereich der Mobilität. Anstatt aber ständig mit den ungedeckten Checks der Elektroautos herumzuwedeln, wäre es sinnvoller, die schon jetzt vorhandenen Möglichkeiten stärker zu betonen, zum Beispiel Kleinkrafträder. Es gibt keine Patentlösungen gegen die Klimaproblematik. Aber aus der Not der vielen Einzelnen, die spüren, dass sie etwas ändern sollten, kann durchaus die Tugend kleiner Schritte entstehen. Dazu sollte die Politik ermuntern.