Er strahlt in die Kamera wie immer. Er redet anderthalb Stunden lang, und am Schluss hat der 77-Jährige einen leichten Schwächeanfall. Auch seine Partei schwächelt. Mehr noch: sie bricht auseinander.
Wie immer attackierte Berlusconi an diesem Samstag mit wuchtigen Worten die Linke, die Kommunisten und die roten Richter. Die Linke wolle „seinen Kopf auf einem Silbertablett“. Der Regierung des linken Ministerpräsidenten Enrico Letta warf er Unfähigkeit vor, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Einmal mehr verging er sich in einer anti-europäischen Tirade.
Jene, die er am meisten attackieren müsste, attackierte er nicht: die Fahnenflüchtlinge in seiner eigenen Partei. Sie sind es, die ihm und seinen Ambitionen gründlich einen Strich durch die Rechnung machen. Vielleicht hofft er, dass sie eines Tages zurückkehren. Doch da hofft er wohl vergebens.
Die "Neue rechte Mitte"
Rund 60 Parlamentarier, die zu Berlusconis Partei gehörten, haben sich von ihm losgesagt und eine eigene Formation gegründet: die „Neue rechte Mitte“, der "Nuovo centrodestra" (Ncd). Diese Dissidenten sind – im Gegensatz zu Berlusconi – bereit, die Regierung von Enrico Letta weiter zu unterstützen. Die wirtschaftlich schwierige Lage Italiens erlaube es nicht, erneut eine Regierungskrise herbeizuführen, argumentieren die Abtrünnigen.
Für den siegesgewohnten Berlusconi bedeutet diese Spaltung eine bittere Schmach. “Ich kann nicht mehr schlafen, wenn ich an all das denke, was man mir antut”, hatte er vor einigen Monaten gesagt. Am Samstag erklärte er wieder: “Die Spaltung schmerzt mich sehr, ich kann nicht mehr schlafen”.
Der untreue Ziehsohn
Schmerzhaft ist vor allem, dass die Dissidenten von seinem einstigen Ziehsohn angeführt werden: von Angelino Alfano, Vizepräsident seiner Partei und Vize-Ministerpräsident. Er, der von Berlusconi immer wieder gedemütigt wurde, war es, der im Oktober den Sturz der Regierung verhinderte - ein Sturz, den Berlusconi inszeniert hatte. Schlimm für Berlusconi auch: alle fünf Minister der Berlusconi-Partei stehen auf Seiten von Angelino Alfano.
Alfano und seine Anhänger erklärten, sie würden Berlusconis neuer Partei nicht beitreten. Diese neue Partei, die “Forza Italia”, war am Samstag im Römer Kongresspalast mit Pauken und Trompeten der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Berlusconi hatte sein bisheriges Parteibündnis “Popolo della Libertà” (PdL) aufgelöst und seine alte Partei ”Forza Italia” (FI) wiederbelebt. Mit diesem Parteinamen war er 1994 an die Macht gestürmt. Jetzt hoffte er, mit dem alten Namen neuen, starken Wind in die Segel zu bekommen.
Eine Zäsur in Berlusconis Leben
Doch statt starkem Wind weht ein laues Lüftchen. Seine Attacken gegen all seine Feinde wirken blutleer. Seine Anhänger hatten Transparente ausgerollt: “Die Freiheit unseres Landes hängt einzig von uns ab”. Und: “Forza Silvio”. Am Ende der Neugründung seiner neu-alten Partei las er erneut seine Rede vor, die er 1994 gehalten hatte und ihn an die Macht katapultierte. Nach seinem Unwohlsein musste er sich setzen. Man reichte ihm ein Glas Wasser.
Auch wenn er sein steifes Strahlen aufsetzte, auch wenn seine Falken ihm zujubelten – alle wussten: diese Tage sind eine wichtige Zäsur in Berlusconis Leben.
Jetzt wird es schwierig
Alfano, der Abtrünnige, muss sich von den hartgesottenen Berlusconi-Anhängern sagen lassen, er sei ein Verräter. Etwa 30 Abgeordnete der grossen italienischen Kammer, des Abgeordnetenhauses, und etwa 30 Senatoren sind es, die Alfano die Stange halten.
Berlusconi hat sofort erklärt, er unterstütze die Regierung nicht mehr wie bisher und gehe in die Opposition. Er hofft offenbar, dass – wenn es irgendwann dann doch einmal Neuwahlen gibt – er seine Populirität ausspielen kann.
Doch mit dem Absprung eines grossen Teils seiner Parlamentarier wird dies schwierig. Schon oft ist Berlusconi politisch tot gesagt worden. Doch jetzt wird es tatsächlich schwierig für ihn.
Alfano: "Die Zukunft sind wir"
Demnächst wird der italienische Senat entscheiden, ob Berlusconi wegen seiner Steuervergehen aus dem Senat ausgeschlossen wird. Laut geltendem Gesetz sollte er seinen Sitz in der kleinen Kammer verlieren.
Immer erklärte er, er werde die Regierung stürzen, wenn man ihn ausschliesse. Nur: jetzt kann er die Regierung nicht mehr stürzen; mit dem Absprung von 30 Senatoren fehlt ihm die Mehrheit dazu. Die grosse Frage ist, ob all die abtrünnigen Senatoren wirklich für den Ausschluss stimmen werden. Offenbar wollen viele von ihnen, kein Öl ins Feuer giessen und für einen Verbleib Berlusconis im Parlament stimmen.
Alfano verhält sich versöhnlich. Er spricht nach wie vor von “meinem Freund” Berlusconi. Seine neue Mitte-Rechts-Gruppe ist auch bereit, mit Berlusconi eine Allianz einzugehen. Doch Alfano betont: “Die Zukunft sind wir”. Er weiss, die Zeit arbeitet gegen Berlusconi.
Die Spaltung der Berlusconi-Formation bedeutet eine Verschnaufpause für den unter Druck strehenden Ministerpräsidenten Enrico Letta. Wie lange die hält, weiss niemand. In Italien ist übermorgen oft alles anders, als es morgen ist.
Gesuch um Begnadigung
Nach dem baldigen Ausschluss-Entscheid im Senat muss Berlusconi seine einjährige Strafe antreten. Diese will er als Sozialarbeiter verbüssen. Dann stehen weitere Prozesse an, unter anderem jener um "Ruby", das damals leichte minderjährige marrokanische Mädchen Karima el Mahroug, das in Berlusconis Villa verkehrte. Ferner wird bald ein weiteres Gericht über eine jahrelange Polit-Sperre für Berlusconi entscheiden. Auch da sieht es nicht gut aus.
Laut einem engen Freund von Berlusconi haben seine Kinder Staatspräsident Napolitano gebeten, ihren Vater zu begnadigen. “La legge è uguale per tutti”, steht in jedem italienischen Gerichtssaal. Vor dem Gesetz sind alle gleich.