Im Herbst 2023 werden die Gesamteurneuerungswahlen in den National- und Ständerat stattfinden. Gewählt werden Damen und Herren aus den verschiedenen politischen Parteien. Aber – kennen wir ihre Einflüsterer?
Viele von uns politisch Interessierten orientieren sich via Medien darüber, wer im Bundeshaus welche Voten einbringt, welche Partei sich für ein Anliegen einsetzt. Doch warum sich wer wofür, wann und warum engagiert – dies ist in den wenigsten Fällen klar ersichtlich.
Lobbys noch und noch
Natürlich regieren die Lobbyisten nicht, doch sie beeinflussen jene, die regieren. Es ist das Recht und wohl auch die Pflicht unserer Abgeordneten im Bundesparlament, sich von Vertretungen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur über deren wichtigste Anliegen informieren zu lassen. Dadurch soll garantiert werden, dass Bundesbeschlüsse fundiert und praxisnah ausfallen. Da treten also die Lobbyisten in Aktion, viele von ihnen haben eine Zutrittsberechtigung zum Bundeshaus. Andere treffen sich mehr oder weniger regelmässig mit ihnen persönlich bekannten Parlamentariern oder Parlamentarierinnen, um sie diskret zu informieren (und zu beeinflussen).
Zurzeit sind 137 Lobbygruppen auf diese Weise aktiv. Sie sind auf der Website von Lobbywatch, der Transparenzplattform, aufgelistet. Die überraschte Reaktion auf diese Zahl mag sein: So viele? Für welche Interessengruppen stehen sie? Die Antworten sind vielsagend. Wer sich für eine transparente Politik einsetzt, tut gut daran, sich in diese Materie zu vertiefen.
Hier die Hauptgruppen mit der Anzahl relevanter Untergruppen in Klammern in der Reihenfolge ihrer Grösse:
- Wirtschaft (34)
- Agrarwirtschaft (14)
- Gesundheit (12)
- Staatspolitik (11)
- Energie (7), Sicherheit (7), Kommunikation (7), Verkehr (7),
- Aussenpolitik (7), Kultur (7), Umwelt (6), Soziale Sicherheit (5), Sport (3), Bildung (2), Diverse (8)
Aus Platzgründen kann hier nicht auf die Untergruppen eingegangen werden. Bei Interesse können diese auf der oben erwähnten Website aufgeklappt werden.
Wie viel verdienen Ratsmitglieder?
Gemäss «interessen-nr.pdf» (parlament.ch) erhalten die Ratsmitglieder jährlich folgende Entschädigungen:
Nationalrat: Jahreseinkommen CHF 26’000.00, Taggelder CHF 44’231.00, Spesenpauschale CHF 33’000.00, Mahlzeitenvergütung CHF 10’782.00, Übernachtungen CHF 9’943.00
Ständerat: Jahreseinkommen CHF 26’000.00, Taggelder CHF 47’941.00, Spesenpauschalte CHF 33’000.00, Mahlzeitenvergütung CHF 10’782.00, Übernachtungen CHF 10’711.00.
Zusätzlich erhalten aber die Parlamentarier und Parlamentarierinnen je nach Anzahl ihrer Lobbymandate – wenn diese durch die Auftraggeber bezahlt werden – weitere Vergütungen. Es gibt auch Lobbydienste, für die auf Bezahlung verzichtet wird.
Wer hält für wen Lobbymandate und lässt sich dafür bezahlen?
Hier gibt das Dokument «interessen-nr.pdf» Auskunft. Die Frage, wer wie viele Mandate hält, ist insofern vielsagend, als «das Volk» vielleicht wissen möchte, für welche guten Dienste ihrer Auftraggeber die Lobbyisten bezahlt werden (zusätzlich zu den oben aufgeführten Ratsentschädigungen).
Im Herbst 2022 vermeldeten Printmedien, dass mehr als ein Drittel aller ausserparlamentarischen Jobs der Ratsmitglieder von deren Auftraggebern bezahlt werden. So liessen sich zum Beispiel die Mitglieder der Mitte/EVP-Fraktion und der SVP-Fraktion beinahe für jedes zweite Mandat bezahlen. Auf diese Spitzenpositionen folgen FDP (38%) und GLP (33%), weit abgeschlagen SP (25%) und Grüne (23%).
Aus derselben Quelle stammt die Liste, wer am meisten an seinen/ihren bezahlten Interessenverbindungen verdient: So lassen sich z. B. Ruth Humbel (Mitte, 21 Mandate) und Martin Schmid (FDP, 16 Mandate) für 100 Prozent ihrer Mandate bezahlen. An dritter Stelle folgte im Oktober 2022 Albert Rösti (SVP, 16 Mandate), inzwischen Bundesrat, der einen Anteil von 84 Prozent an bezahlten Mandaten auswies (Tages-Anzeiger, 25.10.2022).
Gerade in Zusammenhang mit Röstis 16 Mandaten ist auf ein weiteres Phänomen innerhalb der Dunkelkammer Parlament hinzuweisen: dass wir nicht wissen dürfen, auf wie viele Franken sich solche Vergütungen belaufen («Die Bruttoleistungen kann ich aus Gründen der Vertraulichkeit gegenüber meinen Kunden nicht bekannt machen», schrieb Rösti damals auf entsprechende Anfragen …) (Tages-Anzeiger).
Wer investiert am meisten ins Lobbying?
Einer Studie von Lobbywatch zufolge stehen die Krankenversicherer an erster Stelle; in den Gesundheitskommissionen beider Räte sind 25 bezahlte Mandate eruiert worden. Pikant: Wir bezahlen mit unseren Prämien diesen Aufwand. Es folgt die Wirtschaftskommission mit elf bezahlten von insgesamt 13 Mandaten, davon sind die Versicherungen mit sieben bezahlten Mandaten dominant; von der Pharmabranche sind es vier bezahlte Mandate.
In der Agrarwirtschaftskommission sind zehn Vertreter von landwirtschaftlichen Organisationen vertreten. Jene, die in einflussreichen Verbänden auf nationaler oder kantonaler Ebene aktiv seien, erhielten für diese Tätigkeiten eine Entschädigung, heisst es. Die Auswertung zeigt weiter, dass in der Umweltkommission 46 Interessenverbindungen bestehen, wovon aber nur fünf bezahlt sind.
Diese Analysen zeigen, dass finanzkräftige Branchen «praktisch nach Belieben» Politikerinnen und Politiker für ihre Sache einspannen und entsprechend entlöhnen können, wie Lobbywatch schreibt. Dabei komme ihnen entgegen, dass die Ratsmitglieder die Höhe der Entschädigung nicht deklarieren müssen. Lobbywatch fordert deshalb, dass Parlamentsmitglieder deklarieren müssen, wie viel sie bei einer Tätigkeit für ein Unternehmen oder einen Lobbyverband verdienen (lobbywatch/watson).
Keine Transparenz im Lobbysystem
Im Herbst 2022 hat die staatspolitische Kommission (SPK) des Ständerats das vorgeschlagene Gesetz für ein Verbot des «Parlamentarier-Shoppings» von Interessengruppen einstimmig abgelehnt. Ausgelöst hatte diese Initiative die Nachricht über einen Nationalrat, der als VR-Präsident einer Krankenkasse 50’000 Franken kassierte. Konkret war die Transparenzpflicht für solche Bezüge anvisiert worden. Doch die Mehrheit der verantwortlichen Kommission fand, dass «die Publikation der Bezüge der Mandatsträger das Problem des Interessenkonflikts nicht lösen, sondern nur die Neugier des Publikums befriedigen würde».
Wieder einmal eine traurige Demonstration des Ständerats, was er von der längst eingeforderten Transparenz im Staatsbetrieb hält. Eine Haltung aus dem letzten Jahrhundert.