Vergleicht man die Reflexe in Israel auf die Richtlinien der Europäischen Union vom 28. Juni zur Beendigung der Förderung israelischer Einrichtungen und Aktivitäten in den 1967 eroberten Gebieten mit der öffentlichen Aufregung früherer Jahre, fällt die relative Gelassenheit auf. Die grossen Demonstrationen in Tel Aviv und auf dem Zionsplatz in Jerusalem, wo im Oktober 1995 in Anwesenheit des Oppositionsführers Benjamin Netanjahu zum Mord an Yitzhak Rabin aufgerufen wurde, sind ausgeblieben, obwohl die Sanktionen jeden Israeli belasten würden.
Unklare Wirkung der EU-Beschlüsse
Kritische Kommentare in Israel fürchten einen «diplomatischen Tsunami». Denn bei EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso sind die Telefonate, die sich wie üblich jede «Einmischung» verbitten, auf taube Ohren gestossen. Barack Obama soll Netanjahu lapidar zu Verhandlungen mit Machmud Abbas aufgefordert haben, nachdem die israelische Politik die ganze Welt zum Narren gehalten habe. Freilich mag man bezweifeln, ob die Einbeziehung der Golanhöhen in den Brüsseler Mechanismus zum gegenwärtigen Zeitpunkt politisch klug gewesen ist.
Dass sich die mediale Begleitung im Ausland in Grenzen hält, kann angesichts der unendlichen Geschichte des Konflikts niemanden verwundern. In den 28 europäischen Hauptstädten hingegen werden die Leitlinien, die auf der Erklärung der EU-Aussenministerkonferenz vom 10. Dezember 2012 fussen, für Diskussionen sorgen. Denn wieder einmal stehen nationale Interessen und Parallelstrukturen in den Brüsseler Entscheidungsprozessen einer gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik im Wege.
So haben London und Berlin schon bestritten, Israel Schaden zufügen zu wollen. Obwohl es dem Zeitpunkt der Veröffentlichung kritisch gegenübersteht, dürfte die deutsche Regierung befürchten, dass Israel als Strafe deutsche und europäische Bankeinlagen einfriert, humanitäre und Entwicklungsprojekte in der Zone C der Westbank stoppt sowie die Arbeit der politischen Stiftungen kurz hält; «zufällig» liegt ein entsprechender Entwurf zur Beratung in der Knesset.
Washingtons ehrgeizige Zielmarken
Wie jüngst in Amman vorgetragen, setzt John Kerry voll und ganz auf Verhandlungen, ungeachtet der Tatsache, dass die Palästinenser quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und politischen Kreise der unproduktiven Gespräche müde sind, während 61 Prozent der israelisch-jüdischen Bevölkerung zwar für die Zwei-Staaten-Lösung plädieren, aber im Verlauf der «Trennungsmauern» die künftige Grenze sehen und 23 Prozent für einen gemeinsamen Staat plädieren, ohne der palästinensischen Bevölkerung volle staatsbürgerliche Rechte einräumen zu wollen. Die Ergebnisse liegen ungeachtet seiner Bekenntnisse zur Zweistaatenregelung voll auf der Linie Netanjahus: Jede Vereinbarung müsse sich in einem Referendum bewähren.
Kerrys Pendeldiplomatie ist der Nachteil anzumerken, dass er sich in einem machtpolitisch asymmetrischen Feld bewegt. Bei Henry Kissingers Reisetourismus zwischen Jerusalem, Kairo und Damaskus 1974/75 für ein Truppenentflechtungsabkommen im Sinai und auf den Golanhöhen war die nationale Souveränität der Parteien unstrittig. Kerry hingegen sieht sich trotz aller Dementis dem Vorwurf ausgesetzt, dass er zwar dem politischen Prozess zwischen Israelis und Palästinensern absolute Priorität einräumen will, aber den Palästinensern konkret nur die weitere Unterstützung für den massiven Abbau der Arbeitslosigkeit und für die Verdoppelung des Bruttosozialprodukts in den kommenden drei Jahren anbieten kann.
Klimawandel in Zeiten der zementierten Unebenbürtigkeit
Die zementierte Unebenbürtigkeit seit den Osloer Vereinbarungen findet eine Fortsetzung. Denn nach allem, was bislang auf der Ankündigung neuer Verhandlungen in einigen Wochen bekannt geworden ist, soll Kerry zugesagt haben, dass Netanjahu und Abbas öffentlich ihre Einwände zu Protokoll geben können: Eine Rückkehr zu den Grenzlinien vor 1967 komme nicht in Frage, und die Anerkennung Israels als jüdischer Staat sei ausgeschlossen. Wenn der Chef des State Department also glauben sollte, Israelis und Palästinenser nachhaltig auf einen Verhandlungsrahmen festlegen zu können, hat er auf beiden Seiten schlechte Karten.
In Amman hat Kerry bedauert, dass es für Nahost-Prognostiker am leichtesten sei, eine Sackgasse vorherzusagen – was er nachvollziehen könne. Wenn ihm wie seinen Amtsvorgängern der Erfolg versagt bleibt, sind seine Autorität und die des Präsidenten nach der diplomatischen Energieleistung der sechsfachen Pendeldiplomatie beschädigt. Der Durchbruch wäre eine Riesenüberraschung.