Westliche Medien informieren ausführlich über die Verlautbarungen der Regierungen auf beiden Seiten der Konfliktlinie. Darüber, was sich für die russische Bevölkerung als Bild von den Vorgängen ergibt, wird wenig berichtet. Dieses Bild könnte als Hinweis auf Putins Absichten gelesen werden.
Auch autoritäre Regierungen sind darauf angewiesen, dass ihre Aussenpolitik von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wird. Dafür geeignet ist eine Stimmung ernsthafter Bedrohung durch aggressive Feinde, aber zwingend auch der erfolgreiche Ausgang einer riskanten Konfrontationsstrategie. Beides war beim Anschluss der Krim gegeben, Putins Beliebtheit stieg rasant aus einem Tiefpunkt auf einen Spitzenwert. Die Ideologie von der Krim, die schon immer russisch war und vor faschistischer Bedrückung mit einem klugen Handstreich bewahrt werden musste, traf eine empfängliche Stelle in der russischen Seele.
Aber eine Krim gibt es kein zweites Mal. Was unternimmt die russische Regierung gegenwärtig zur Einstimmung der Bevölkerung auf einen möglichen, wohl unpopulären Krieg um die Ukraine?
Der Rahmen für die Journalisten
Der Fokus dieses Berichts liegt auf der Strategie der russischen Staatsmedien, die ein weitgehendes Informationsmonopol (besonders im Bereich des Fernsehens) durchgesetzt haben, sofern die Menschen – vor allem die jüngeren Generationen – nicht auf die sozialen Netzwerke und Internetmedien ausweichen. Der Graben zwischen den wenigen verbliebenen, diskriminierten Medien der zerschlagenen Opposition mit geringem Radius einerseits und den staatstreuen Medien – in welchem Eigentum sie sich formell auch immer befinden – anderseits, ist klar gezogen. Vermittelnde, nach beiden Seiten kritische, differenziert Schuld zuteilende Stimmen in der Ukrainefrage kommen kaum zur Geltung.
Eine absolute Einigkeit in den staatstreuen Medien herrscht darüber, dass Absichten und Vorgehen des Präsidenten nie kritisch zu hinterfragen sind. Die Strafbarkeit der Verbreitung von Nachrichten, die militärische Geheimnisse enthalten könnten, ist im letzten Jahr verschärft worden. Das betrifft alle Recherchen zum Truppenaufmarsch oder Berichte, die auch nur indirekt auf diesen schliessen lassen.
Einen gültigen Rahmen für die mediale Perspektive auf die Ukraine hat Putin mit seinem historischen Essay vom 12. Juli 2021 über das Verhältnis von Russland zu seinem Nachbarn gesetzt: Eigentlich sind wir ein gemeinsames grossartiges Volk, aber ein Teil unserer Brüder ist leider in die Hand von Marionetten und Verbrechern geraten. Die Journalisten fügen dem kaum einen neuen Aspekt hinzu, allerdings treten die negativen Seiten fast ausschliesslich hervor.
Im Folgenden wird zitiert aus der zentralen staatlichen Nachrichtenagentur RIA, aus dem zentralen staatlichen TV-Nachrichtenkanal Pervyj Kanal (PK) und aus dem auflagenstarken privaten, aber regierungsnahen Boulevardblatt Komsomolskaja Pravda (KP).
Das mediale Bild der Ukraine in Russland
Das Bild der Ukraine soll in mehreren Richtungen geformt werden. Deren Widersprüchlichkeit kann nicht als Pluralismus gedeutet werden, denn gerade die Mischung soll die erwünschte Stimmung erzeugen. Die widersprüchliche Kombination von verächtlicher Schwäche und existenzbedrohender Gefährlichkeit im Bild des Gegners ist ein wesentliches Element vieler Feindbilder, nicht zuletzt im Antisemitismus. Schwer wiederzugeben ist ein bevorzugter Stil in den kommentierenden Texten: Durch einen populären, echt russischen, bildhaften Jargon werden Spott und Ironie der Aussagen noch bekräftigt, was wohl russische Souveränität gegenüber westlicher Nervosität markieren will.
- Die Ukraine ist ein gescheiterter Staat, man weiss nicht, soll man lachen oder weinen. «Sie bewegt sich am Rand der kommunalen und ökonomischen Katastrophe, mit einer unübertreffbaren Korruption und Gesetzlosigkeit. Ihr Hauptexportgut ist Provokation. Zwei Drittel des Landes haben die Regierung satt bis zum Hals.» (PK 26.12.21) Die Menschen sind verzweifelt, weil sie einen Winter ohne (russisches) Gas ertragen müssen in kalten Wohnungen. (RIA 17.1.22)
- Die Ukraine ist vom Westen fallen gelassen worden und steht betrogen und hoffnungslos draussen vor der Tür. «Endlich begreifen viele in der Ukraine, dass in einem Krieg ihr Land das Schlachtfeld wäre mit dem ukrainischen Volk als Opfer, während dieses für die Amerikaner nur Kanonenfutter, Ausschuss ist.» (PK 26.12.21) Es wird enthüllt, dass Selenski schon die Flucht vorbereitet.
- Die Ukraine wird zum Aufmarschgebiet der NATO und damit eine ernste Bedrohung der russischen Sicherheit. Das macht Manöver mit «verbündeten Staaten» und eine Bereitstellung von Truppen entlang der Grenze unvermeidlich. Lawrow versichert, dass die Ukraine sich unter der Leitung der USA befinde. (RIA 17.1.21) Was bevorstehe, sei in Wirklichkeit eine Okkupation der Ukraine durch die NATO, sagt der Sprecher der Duma. (RIA 18.1.22) Für einen Krieg mit Russland werde Kiew bezahlt. (PK 26.12.2021) Putin entwirft eine inakzeptable Perspektive: «Da wird ein Antirussland geschaffen mit einem ständigen Zufluss moderner Waffensysteme, die in die Hand von Radikalen gelangen, um den Donbass mit Gewalt zu erobern, und mit Gehirnwäsche für die Bevölkerung. Wie sollen wir damit leben?» (PK 26.12.21)
- Die hilflose ukrainische Armee hat keine Chance in einem Krieg gegen Russland. Aber durch die NATO ermutigt, setzt sie in ihrer Verblendung dennoch auf Krieg. Dabei scheut sie nicht vor Kriegsverbrechen zurück gegen die «eigenen Leute», die friedlichen Bewohner des Donbass. Ukrainische Spezialeinheiten werden in den USA vom CIA trainiert, Terroranschläge im Donbass zu verüben um, laut einem Augenzeugen, «Russen zu töten». (RIA 17.1.22) Die Regierung verbreitet Panik und Hysterie, z. B. indem sie eine militärische Dienstpflicht für Frauen ankündet oder Partisanenverbände organisiert. Darüber «lacht man in Grossbritannien», seit in der Daily Mail zu sehen war, dass dafür mit Holzgewehren geübt wird: «Lustig, dass kürzlich der ukrainische Präsident volle Kampfbereitschaft zur Rückeroberung der verlorenen Territorien verkündet hat», wird ein englischer Kommentar zitiert (RIA 18.1.22) Die ukrainische Kriegsflotte wurde seit vielen Jahren ruiniert und ist nichts mehr wert. (Sputnik 17.1.22)
- Die Ukraine ist eine Diktatur, geprägt von Faschismus und Antisemitismus. Schon Putin beklagte im Essay die Missachtung der Pressefreiheit im Nachbarland und die Verfolgung von Journalisten. Die stärksten Worte findet Sergej Naryschkin, der Direktor des Auslandgeheimdienstes und zugleich (!) Vorsitzender der Russländischen Historischen Gesellschaft, bei der Eröffnung der Ausstellung «Verletzung der Menschenrechte in der Ukraine 2017–2020»: Nach dem blutigen Umsturz haben Nationalisten einen Bürgerkrieg entfesselt, in dem seit acht Jahren friedliche Menschen umkommen. «Die welche töten und welche das Töten in Auftrag geben», verwandeln die Ukraine in «ein Anti-Russland, das ein wahrhaft schreckliches, unmenschliches, korruptes Gesicht trägt, eine wirkliche Diktatur ist. Wir sind zurückversetzt in die furchtbarsten Jahre der Hitlerschen Okkupation, als auch Tausende friedlicher Bürger vernichtet wurden und die Bewohner litten unter den faschistischen Kommandos und ihren Helfern.»
Die Ausstellung erzähle vom «Staatsterror in der gegenwärtigen Ukraine, vom Mord an Frauen, Kindern, Alten und von Folterung der nicht Einverstandenen». Beim selben Anlass versichert Naryschkin, Russland sei «maximal interessiert an gutnachbarlichen engen Beziehungen zwischen den zwei Teilen eines Volkes». (RIA 18.1.22)
Die massivsten Lügen durfte der renommierte «Polittechnologe» Timofej Sergejzev am 10.4.21 bei RIA ausbreiten, zur Zeit der ersten Phase der Truppenverschiebungen: Bei der Ukraine handelt es sich nicht nur um eine gesetzlose faschistische Diktatur nach dem Vorbild Mussolinis, sondern um einen Nazismus, welcher der ganzen Bevölkerung verdeckt hinter dem Motto «Wendung nach Europa» eine Moral der rassischen Überlegenheit auferlegt und sie in einen Volkskrieg gegen die fremden Untermenschen treibt. Eine solche nazistische Gesellschaft kann nicht liquidiert werden nur dadurch, dass man die Spitze abhaut, sondern erst durch eine Reinigung des nazifizierten Volks selbst.
Chassidische Rabbiner aus dem Ausland beklagen sich über Schikanen der lokalen Behörden sowie Geldgier der Bewohner anlässlich ihrer Pilgerfahrt, von der Redaktion präsentiert unter dem beängstigenden Titel «Nicht zu beschreiben, was vorgeht. In der Ukraine begann das Unvermeidliche». (RIA 7.9.21) (Die offiziellen Vertretungen der ukrainischen Juden verneinen entschieden, dass die Ukraine über das europäische Mass hinaus von Antisemitismus geprägt sei.)
- Die Ukraine ist ein Staat, der durch westliche Intrigen getrieben die Einheit der «Russischen Welt» zerstört. Ausgiebig wird über die tatsächlich diskriminierende Gesetzgebung zur Geltung der Staatssprache berichtet samt den absurden Blüten in der Anwendung (wenn z.B. dem Präsidenten verboten werden soll, im Amt Russisch zu sprechen), auch über Terror gegen die Kirchen, die dem Moskauer Patriarchat treu bleiben wollen. Eine Lehrerin kommt zu Wort, der gekündigt wurde, als sie ihren Schülern sagte, sie sei stolz auf ihre russische Staatsbürgerschaft.
- Die Verwundbarkeit des arroganten Gegners im Westen
Auch das Bild der Nato und insbesondere der USA wird mit einem Doppelgesicht entworfen: Einerseits sind sie ständig auf Aggression und Konfrontation bedacht (RIA 16.1.22), anderseits unfähig, einen Krieg mit Russland zu wagen und erfolgreich zu führen, da sie sich im Gegensatz zum stabilen Russland in einer Dauerkrise befinden. Gerne wird aus den Nato-Staaten berichtet, in der Regel auf westliche Quellen verlinkt, über Polizeigewalt gegen Demonstranten, Protest von Gefangenen gegen medizinische Experimente, über einen Bericht in der «New York Times» zu den vielen zivilen Opfern der US-Interventionen – über alle politischen, ökonomischen und moralischen Schwachstellen dieser im Niedergang befindlichen Staaten mit ihren tief gespaltenen Gesellschaften.
Möglichst viele Stimmen werden in westlichen Medien zusammengesucht, die den antirussischen Kurs ihrer Regierungen kritisieren. Mit Bezug auf Leserkommentare im Wall Street Journal heisst es zum Beispiel: «In den USA erklären sie, warum man nicht gegen Russland Krieg führen soll.» (RIA 19.1.22) Sehr willkommen sind Analysen westlicher Militärexperten, welche die Schwachstellen der Nato und die unüberwindbaren Stärken der neusten russischen Atomwaffen mit Bewunderung und Erschrecken bestätigen. Ja, die USA sind verletzlich mit ihren «hoffnungslos verwahrlosten» Atomwaffen, denn vor den russischen Hyperschallwaffen gibt es keine Rettung. Begreiflich, dass die Amerikaner hysterisch werden, dann depressiv – und schliesslich Russlands Bedingungen annehmen. (RIA 18.1.22)
Die Voraussagen eines russischen Einmarschs in die Ukraine werden weniger mit Entrüstung zurückgewiesen, als vielmehr mit Spott überschüttet. Der schont auch Amtsträger nicht: Lawrow empfiehlt Stoltenberg, eine andere Arbeit zu suchen, da er seiner Aufgabe nicht gewachsen sei, und er macht einen Witz über die 18 Szenarien einer möglichen russischen Aggression, die Victoria Nuland im Ernst vorträgt. Beamte seines Aussenministeriums appellieren an die westlichen Kollegen, endlich «den Kopf einzuschalten und gesunden Menschenverstand walten zu lassen». Sonst könnten, meint ein Journalist, die eindrücklichen gemeinsamen Manöver mit Belarus «die Köpfe der westlichen Generäle kühlen». (KP 18.1.22)
«Ihr werdet lachen, aber die Amerikaner wollen schon wieder Sanktionen einführen!» (RIA 18.1.22) «Sie wurden in Schrecken versetzt», als der stellvertretende Aussenminister Rjabkov die Errichtung von Stützpunkten in Venezuela und Kuba nicht ausschloss. (RIA 14.1.22) Dabei bestätigen doch auch westliche Experten, dass die USA seit zwei Jahrhunderten mit der Monroe-Doktrin das Prinzip der gesicherten Einflusszone für rechtmässig halten und mit Interventionen verteidigen. (RIA 15.1.22
Von den Schwächen westlicher Politiker hebt sich umso kräftiger der Präsident der Russischen Föderation ab, immer souverän und gelassen im Auftritt, sicher in seinen Zielen, so dass man ihm auch das Oberkommando in einem Krieg zutrauen kann – mehr als dem «Greis» in den USA.
Lässt sich aus der inländischen Medienstrategie auf Putins Absichten schliessen?
Worauf die Bevölkerung Russlands nicht eingestimmt wird, ist ebenfalls zu beachten: auf eine Notwendigkeit, gegebenenfalls weitere Teile der Ukraine zu besetzen oder sich für eine bevorstehende Invasion von Westen her oder ein Ausgreifen der eigenen Armee nach Westen hin bereit zu halten:
- Der Ton gegenüber der Nato ist in militärischer Hinsicht defensiv. Folgt man der Stimmung, die in der eigenen Bevölkerung angeregt wird, steht kein Krieg mit der Nato bevor, da Russland ohnehin nur friedliche Pläne hat und da die unter Bruch des Versprechens näher gerückten Truppen und Raketen der Nato aktuell keine Invasion vorbereiten, wohl wissend von ihrer Schwäche. Immerhin «üben wir schon einmal mit Belarus das Zurückschlagen eines Nato-Angriffs.» (KP 18.1.22)
Dass die russischen «Sicherheitsinteressen» dennoch bedroht seien, folgt, scheint mir, dem Narrativ der USA in der Karibik: Eine Grossmacht darf sich jederzeit bedroht fühlen, wenn der Konkurrent sich im beanspruchten Einflussgebiet auch ohne konkrete Angriffsplanung breit macht. Das stellt hier und dort ein höheres Recht dar als das Recht auf Selbstbestimmung kleinerer benachbarter Nationen.
- Die einzigen Andeutungen, die tatsächlich aufhorchen lassen, betreffen die gelegentlich angedeutete Unvermeidlichkeit einer Intervention «zum Schutz der friedlichen Bevölkerung im Donbass», unter denen ja «Hunderttausende russländische Staatsbürger» seien. (KP 18.1.22)
Eine ukrainische Aggression gegen die «Volksrepubliken» wird als ähnlich wahrscheinlich geschildert wie in unseren Medien eine Aggression Russlands gegen die Ukraine. Die Wahrscheinlichkeit wird damit begründet, dass schon die halbe ukrainische Armee an der «Kontaktlinie» zusammengezogen wurde, die OSZE vertragswidrig anrückende Panzerkolonnen bestätigt, auch Rechtsextremisten wieder an der Front auftauchen, Jarosch (der ehemalige Führer des «Rechten Sektors») wieder ins Verteidigungsministerium berufen wird, und dass die ukrainische Führung (mit Videos belegt) eine Rückeroberung der verlorenen Territorien mindestens in ihrer Rhetorik nicht ausschliesst. Bei der geistigen Verwirrtheit der dort Verantwortlichen sei generell nicht auf Vernunft zu rechnen.
Auf eine grossangelegte Intervention im Donbass anstelle der verdeckten, auch vor der eigenen Bevölkerung geleugneten Anwesenheit russischer Soldaten, wäre also das russische Medienpublikum vorbereitet. Allerdings ist der Nutzen einer solchen Besetzung für Russland nicht zu finden.
«Inwieweit die Fürsten ihr Wort halten sollen …» (Machiavelli)
Die Täuschung des Gegners, auch mit Lügen, galt seit je als ehrenhaft. Das zelebrierte auch Putin, als er beim ersten Jubiläum des Sieges auf der Krim die Kriegslist mit den «Grünen Männchen» lächelnd vor der Kamera gestand. Das massive Belügen der eigenen Bevölkerung in Bezug auf Kriegsplanungen hingegen ist für den Mächtigen riskant und wird als unmoralisch von der Bevölkerung kaum verziehen, besonders wenn der Krieg misslingt – auch in den USA nicht.
Wenn die russische Bevölkerung nun täglich liest, wie Putin und seine Minister eindeutig versichern, keinen Einmarsch in die Ukraine zu planen, nehme ich das ernst, nicht weil ich diese Regierung für glaubwürdig halte, sondern weil der Bruch eines so fundamentalen Versprechens, auch der eigenen, keineswegs kriegswilligen Bevölkerung gegeben, innenpolitisch problematisch wäre. Auch ein autoritärer Populist muss davor zurückschrecken, ganz im Einklang mit Machiavelli.
Allerdings wird auch das Versprechen für die russische Bevölkerung vernehmbar täglich wiederholt, auf keinen Fall auf die Sicherheitsgarantien zu verzichten und eisern die «Roten Linien» zu verteidigen. Eine Kriegsdrohung, die das Versprechen bekräftigen würde, ist mir aber nicht begegnet.
Gibt es eine Symmetrie der west-östlichen Medienkampagnen?
In der Sorge, dass jede einseitige Wahrheit zu einer Unwahrheit wird, scheint es mir notwendig, nun auch das Bild zu beschreiben, das in den westlichen Staaten durch Politiker und Medien von Russland erzeugt wird, und ebenfalls einer schonungslosen Kritik zu unterstellen – wie weit es der komplexen Wirklichkeit nahekommt und worauf es emotional einstimmt, mit welchen Sprachregelungen und mit welcher Absicht, wenn der Einmarsch «der Russen» als immer wahrscheinlicher dargestellt wird. Das kann im Rahmen dieses Artikels nicht angemessen und differenziert geschehen. Nur kurz sei angedeutet, was mir zunächst auffällt.
Die gegenseitigen Medienkampagnen sind nicht symmetrisch in ihrem Feindbild: Der Bevölkerung im Westen wird mehrheitlich ein dämonisches Bild des Putin-Regimes gezeichnet – ein kaltblütiger Diktator, gefährlich in seiner schlauen Bösartigkeit und zu jeder Aggression entschlossen, sobald sein Gegner eine Schwäche zeigt. Zuhanden der russischen Bevölkerung hingegen wird von den russischen Medien die Lächerlichkeit, Zerstrittenheit und Hilflosigkeit der Feinde im Westen in den Mittelpunkt gerückt, die es verhindert, dass die durchaus vorhandenen bösen Absichten tatsächlich für Russland gefährlich werden könnten.
Medial erzeugte Bilder und ein zukünftiger Frieden
Eine Einstimmung der Bevölkerungen auf erfolgreiche Diplomatie zur Friedenssicherung mit Vertrauensbildung kann ich in beiden Tendenzen nicht erkennen, im Gegenteil. Sind die Stimmungen einmal über genügend lange Zeit durch Medien und Regierungen erzeugt, wird es nicht einfach sein, den Bevölkerungen zu vermitteln, dass der bösartige bzw. verächtliche Gegner plötzlich in eine weise Friedenslösung integriert werden soll. Das gilt ganz besonders für einen Friedensprozess zwischen Russland und der Ukraine selbst. Frieden zwischen einem Staat, dessen Wesen Aggression und dessen «Kultur toxisch» ist, und einem Staat, dessen Wesen Verrat, Faschismus und Dummheit ist?