Dem Mainstream entspricht, die Bestimmungen, die mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in unsere Bundesverfassung aufgenommen wurden, absolut zu setzen.Alles, was nicht diesen entspricht, ist verfassungswidrig, wird immer wieder kühn behauptet und niemand widerspricht.
Das Gleiche war bei der Ausschaffungsinitiative der Fall. Das Bundesgericht kam jedoch zu einem anderen Schluss, nämlich dass die Verfassungsbestimmungen, die auf deren Annahme zurück gehen, nicht gelten können, wenn sie den Vorrang geniessenden Grund- und Menschenrechten sowie rechtsstaatlichen Grundprinzipien wie der Verhältnismässigkeit widersprechen. National- und Ständerat folgten dieser auch für die anderen Staatsorgane im gewaltenteiligen Rechtsstaat verbindlichen Rechtsprechung, indem im Umsetzungsgesetz dazu eine Härtefallklausel aufgenommen wurde, die gänzlich unverhältnismässige Landesverweisungen ausdrücklich verbietet. Volk und Stände pflichteten dem mit der deutlichen Ablehnung der Durchsetzungsinitiative bei, die alle rechtsstaatlichen Garantien hätte aufheben wollen.
Bei unserem mit der Europäischen Union abgeschlossenen Freizügigkeitsabkommen (FZA) kam das Bundesgericht ebenfalls zum Schluss, dieses gehe gemäss seiner langjährigen und konstanten Rechtsprechung zum grundsätzlichen Vorrang des Völkerrechts den Bestimmungen der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) vor. Nicht die mit der EU vereinbarte Personenfreizügigkeit ist daher verfassungswidrig, vielmehr die Asolutsetzung der MEI.
Die Bundesverfassung ist einem möglichst schonenden Ausgleich der verschiedenen Verfassungs- und Grundrechtsinteressen auszulegen und anzuwenden, wie das Bundesgericht unter Betonung, die Bundesverfassung sei als einheitliches Ganzes zu verstehen, festhält. Dass eine Verfassungsbestimmung absolut gelten und im Einzelfall keiner Abwägung mit anderen Interessen zugänglich sein solle, sei zwar nicht ausgeschlossen; dies sei aber nicht leichthin anzunehmen, erst recht nicht, wenn eine Verfassungsnorm in Widerspruch zu grundrechtlichen Ansprüchen gerate, welche in für die Schweiz verbindlich übernommenen Menschenrechtsabkommen garantiert sind. Im Falle eines Konflikts zwischen dem Völkerrecht und späteren Bestimmungen des Landesrechts geht grundsätzlich das Völkerrecht vor; bei einem Widerspruch mit von uns ratifizierten Menschenrechtsabkommen ist dies stets der Fall, dies auch wenn der Gesetzgeber einen solchen bewusst in Kauf genommen haben sollte. Die sog. Schubert-Praxis gilt in diesem Falle ausdrücklich nicht, weil die Menschenrechte andernfalls ihres eigentlichen Sinnes und Zweckes entleert würden, der gerade darin besteht, unzulässige Eingriffe des Gesetzgebers in diese zu verhindern.
In seinem jüngsten Entscheid zum FZA mit der EU ging das Bundesgericht davon aus, ein Konflikt der MEI-Bestimmung der Bundesverfassung zu völkerrechtlichen Verträgen könnte entstehen, wenn eine Verhandlungslösung mit der Europäischen Union nicht möglich wäre, innerstaatliche Rechtsänderungen vom FZA abweichen sollten und diese nicht durch völkerrechtskonforme Auslegung in Übereinstimmung mit diesem angewendet werden könnten. Im Falle eines tatsächlichen Normkonflikts gehe gemäss den dargelegten Grundsätzen das FZA vor. Das Bundesgericht stützte sich dabei ausdrücklich auch auf den mit der Annahme der MEI zum Ausdruck gelangten Volkswillen ab. Mit dieser wurde in einer Übergangsbestimmung festgelegt, völkerrechtliche Verträge, die ihr widersprächen, seien neu zu verhandeln und anzupassen. Daraus folgt aber, dass das FZA mit der EU eben zu gelten hat, solange es nicht neu verhandelt werden konnte.
Damit erweist sich der allenthalben erhobene Vorwurf der Verfassungswidrigkeit oder gar des Verfassungsbruchs der Bemühungen namentlich unserer Justizministerin, mit der EU Verhandlungen zu führen, um die MEI im bestmöglichen Masse mit dem FZA kompatibel umsetzen zu können, als unhaltbar. Ja, dieser fällt auf die Urheber zurück, da sie die Vorschriften unserer Verfassung missachten, die besagen, das Völkerrecht sei zu beachten und für das Bundesgericht und alle rechtsanwendenden Behörden verbindlich. Und diese missachten hier in verfassungswidriger Weise auch die erwähnte Bestimmung der Masseneinwanderungsinitiative selber, die die weitere Geltung der Personenfreizügigkeit festlegt.