Das Schweizer Volk hat verschiedentlich Bestimmungen in die Verfassung hinein geschrieben, die in Sackgassen führen, weil sie mit gleich- oder höherrangigen Grundsätzen zusammenstossen. Das ist für den Rechtsstaat Schweiz heikel; doch solche Fälle sind bisher eher selten. Häufiger sind Kollisionen anderer Art. Da es im Bund direkte Politikgestaltung durch das Volk einzig auf Verfassungsebene gibt, muss das Grundgesetz ändern, wer im Staat von unten her etwas bewegen will. Als Folge davon enthält die Bundesverfassung zahlreiche Bestimmungen, die eigentlich auf die Gesetzes- oder gar Verordnungsstufe gehörten. Eine Übersicht der Initiativen zeigt das eindrücklich. Die Schweiz zahlt für diesen Wildwuchs einen hohen Preis. Zum einen wird der Sinn für die Gewichtigkeit der Verfassung untergraben, wenn sie dauernd als Instrument für die Durchsetzung (partei-)politischer Ziele herhalten muss. Zum andern unterläuft diese Verfassungsbastelei auch die Gewaltenteilung: Das Volk greift über auf den Job des Parlaments und nicht selten auch noch auf den der Exekutive. Wo solches sich als Quasi-Norm etabliert, wird das ebenso diffizile wie dynamische Zusammenspiel von Grundentscheiden, gestaltender Reflexion und strategischer Führung platt gemacht durch die Wucht plebiszitärer Befehle. Dem Staat droht eine Beschädigung seines Wertekompasses, ein Verlust seiner Fähigkeit des Aushandelns und eine gefährliche Verminderung seiner Agilität. (Urs Meier)