Letzte Woche sind wir auf die Solveig VII zurückgekehrt. Jetzt suchen wir einen Weg aus dem Burgund nach Frankfurt am Main, der weder durch defekte Schleusen noch durch Hochwasser blockiert ist.
Geduld war noch nie meine Stärke. Vielleicht führt mich meine zwinglianische Erziehung gerade deswegen immer wieder aufs Wasser, wo alles langsam und bedächtig vonstatten geht und jede übertriebene Hast nur Wirbel und Wellen produziert. Und wo würde das Gesetz der „Wassergeduld“ nicht besser exemplifiziert als in Frankreich, wo man es erleben kann, dass ein Schleusenwärter wegen eines blockierten Schleusentors im Regionalbüro der VNF (Voies Navigables de France) um eine Stange nachfragen muss, mit der er den unter dem Tor vermuteten Stein oder Autopneu ertasten und wegschieben kann, und man noch froh ist, dass das Regionalbüro nicht seinerseits Paris kontaktieren muss.
Eine geniale Erfindung
Aber kein böses Wort über die Basistruppe der VNF. Auch hier gilt das Gesetz vom (stinkenden) Fisch. Da gibt es beispielsweise den Schrägaufzug von Arzviller am Canal de la Marne au Rhin. Nicht weit westlich von Saverne, im Aufstieg in die Vogesen durch das enge Tal des Teigelbachs, wurden hier im Jahre 1964 17 eng hintereinander liegende Schleusen durch einen Schräglift ersetzt. Eine riesige Badewanne, 40 Meter lang, 5 Meter breit und gegen 3 Meter tief, wird auf Schienen seitwärts über eine Höhendifferenz von rund 45 Meter heraufgezogen. Je zwei wasserdichte Tore an jedem Ende der Wanne bzw. am entsprechenden Kanalstumpf erlauben es, das Wasser während der Schrägfahrt in der Badewanne zu behalten und gleichzeitig zu verhindern, dass die anschliessenden Kanalstrecken auslaufen.
Eine geniale Erfindung französischer Ingenieurkunst möchte man bewundernd sagen, nur fehlt später oft der Schnauf, die Meisterwerke entsprechend zu unterhalten. Ein anderer „Wasserlift“ in Montech am Canal latéral à la Garonne, der westlichen Fortsetzung des Canal du Midi, funktioniert seit Jahren nur noch sporadisch. Was funktioniert, in Montech so gut wie in Arzviller, ist die Vermarktung der technischen Wunderwerke über diverse Tourismus-Portale. Das war auch der Fall, nachdem im Juli 2013, mitten in der Saison, sich bei der Einfahrt eines Touristenschiffes bei geöffneten Toren die Badewanne in Bewegung setzte und das Schiff einklemmte. Zum Glück gab es nur Sachschaden, aber das Wasser aus der Badewanne und, schlimmer noch, aus einem 33 km langen Kanalstück oberhalb des Schrägliftes, lief als Bergbach durch das Tal der Zorn nach Lutzelbourg und Saverne.
Wochenlange Umgehungsfahrten
Danach herrschte bei allen Beteiligten Ratlosigkeit. Der Schräglift bleibe bis zur Abklärung der Unglücksursache ausser Betrieb, hiess es zunächst, das könne einige Wochen dauern. Tatsächlich wurde aus den Wochen fast ein Jahr. Als ich im November des vergangenen Jahres am Ort des Geschehens einen Augenschein vornahm, stand das havarierte Ausflugsboot noch genau so neben dem Kanal, wie es nach dem Unfall aus dem Wasser gehievt worden war, und die leere Wanne des Liftes dämmerte still vor sich hin.
Da während des Stillstandes des Liftes die durchgehende Verbindung des Kanals von der Marne und Moselle nach Strasbourg blockiert war, mussten Boote, welche im Sommer durch die Sperrung am falschen Ort erwischt worden waren, tage-, ja wochenlange Umgehungsfahrten entweder über die deutsche Mosel nach Koblenz oder über den Canal du Rhône au Rhin nach Mulhouse in Kauf nehmen. Auf der offiziellen Webseite der VNF wurde einem zwar an prominenter Stelle mitgeteilt, wann der Kanal zwischen Nancy und Strasbourg wegen Renovationsarbeiten geschlossen sein würde, aber dass die durchgehende Verbindung unterbrochen war, fand man nur irgendwo versteckt im Labyrinth der VNF-Webseite. Und an anderer Stelle wurde weiter für eine Besichtigung des technischen Wunderwerkes geworben.
Die Ungeduld
Am 2. Mai dieses Jahres fand dann doch eine feierliche Wiedereröffnung des Schrägliftes statt. Soweit so gut, sagten wir uns, und planten unsere Rückfahrt von der Rhone zum Main über Strasbourg. Zum Glück waren wir noch nicht unterwegs, als der Lift nach kaum sechs Wochen wegen einer technischen Panne erneut ausser Betrieb ging, wovon wir eher durch Zufall erfuhren. Diesmal kalkulierten die Oberen der VNF die Ungeduld ihrer Kunden wohl besser in ihre Kommunikationsstrategie ein und liessen ziemlich rasch verlauten, der Lift werde bis zum Saisonende ausser Betrieb bleiben. Und deshalb sind wir jetzt statt nach Strasbourg auf dem Canal du Rhône au Rhin in Richtung Mulhouse unterwegs. Ich frage mich allerdings, wie Schiffsvermieter am Canal de la Marne au Rhin, vor allem derjenige, der seine Basis unterhalb des Schrägliftes in Lutzelbourg hat, das zweimaliger Saisondisaster überleben werden.
Aber ich wollte ja über meine Ungeduld schreiben. Auch wenn wir mit unserer neuen Routenwahl Arzviller buchstäblich umschiffen werden, höhere Mächte hielten weitere Geduldsproben für den Ungeduldigen bereit. Zuerst gab es Hochwasser auf dem Doubs, welches die Schifffahrt Richtung Montbéliard und Mulhouse während mehrerer Tage unterbrach. Auch das ist unterdessen überstanden. Als wir dann am vergangenen Samstag Vormittag, zeitig wie es sich für gute Schweizer gehört, den Motor starten wollten, liess sich aus dem Schiffsbauch trotz mehrmaligem Versuchs nur ein einziges müdes Rumpeln verlauten.
Das sind wohl jene Momente, wo ein Schiffsbesitzer bereit wäre, sein Kleinod für einen Schleuderpreis an den nächstbesten Käufer zu verhökern. Noch am Vortag hatte ich den Motor mühelos zum Testlauf gestartet. Die Batterien waren voll, die Dieseltanks ebenso, der Anlasser konnte es, dem Ton nach zu schliessen, auch nicht sein. Ich ahnte Böses: Rückgelaufenes Kühlwasser in den Zylindern, war meine Vermutung! Die Zylinder selber zu öffnen und die Einspritzdüsen zu entfernen, wagte ich aus mangelnder Erfahrung nicht. Und der Mechaniker vom Hafen war erst am Montag wieder verfügbar, wenn überhaupt. Notfälle lieben bekanntlich das Wochenende.
Der Helfer in der Not
Doch halt, hatten wir da nicht am Vortag auf dem Steg Bekanntschaft mit einem gewissen George aus Quebec gemacht? Und hatte dieser nicht gesagt, wir könnten ihn jederzeit rufen, falls wir ein technisches Problem hätten? – Mehr aus Verzweiflung als aus Hoffnung ging ich zu seinem Schiff. Seine Frau holte ihn aus dem Bett, und fünf Minuten später beugte sich George über meinen Motor und nahm, wie ein Spürhund, die Fährte auf. Das war schon fast ein religiöses Ritual, das sich vor unseren Auen abspielte. Ich musste an das Kultbuch meiner Jugend denken, „Zen and the Art of Motorcycle Maintenance“ von Robert M. Pirsig. Meine Vermutung treffe wahrscheinlich zu, meinte George, und demontierte in Windeseile die Dieselleitungen und die Einspritzdüsen mit dem sicheren Wissen, beim Zusammensetzen für alle Teile wieder Verwendung zu haben.
Während George im Motorraum arbeitete und schwitzte, erfuhren wir so nebenbei seine Lebensgeschichte. Er hatte einst Chemie studiert, dann in Kanada Volvomotoren verkauft, und seit einigen Jahren befahre er im Sommer mit seiner Frau, mit der er seit über 40 Jahren verheiratet ist, die Kanäle und Flüssen Europas.
Nach etwas mehr als einer Stunde lief der Motor wieder. Ein Handschlag, das war alles, was George für sich beanspruchte. “We are all in the same boat“, sagte er, meinte damit, wir Schiffersleute seien alle manchmal sowohl Helfer als auch Hilfesuchende, gab uns seine Mobiltelefonnummer und verschwand. Ich nahm mir vor, ein Stück meiner Ungeduld für Leute wie Goerge zu opfern.
PS: Bis heute haben wir die Telefonnummer von George nicht gebraucht. Dafür führt der Doubs wieder Hochwasser. Heute haben wir es gerade noch bis Baume-les-Dames geschafft, für morgen ist starker Regen angesagt. Falls die Porte de Garde, welche den Kanal vor dem hochgehenden Doubs schützt, morgen geschlossen sein sollte, so denke ich an George, lese ein gutes Buch oder mache mit dem Hund einen langen Spaziergang und freue mich an der „nicht nutzbaren Zeit“.